Den Umständen entgegen

Journalismus Dass die „Spex“ eingestellt wird, ist nicht die Nachricht. Die Nachricht ist, dass das Popkultur-Magazin es bis hierhin geschafft hat
Ausgabe 42/2018

Das Popkultur-Magazin Spex erscheint im Dezember zum letzten Mal. Nach 38 Jahren und 384 Ausgaben werde sie eingestellt, teilte der Chefredakteur des Musikmagazins, Daniel Gerhardt, mit. Das ist ein paar Momente des Bedauerns wert, handelt es sich bei der Spex doch um die einzige deutsche Zeitschrift der vergangenen Jahrzehnte, die vorübergehend die Deutungshoheit über Popmusikphänomene beanspruchen durfte.

Andererseits muss man konstatieren, dass sich jenseits der Social Media, in denen allerlei „Oh neins“ verbreitet wurden, ein eher routinierter Umgang mit der Nachricht vom Ende beobachten ließ. Jan Kedves etwa, ein ehemaliger Chefredakteur, warf in der Süddeutschen Zeitung die Frage auf: „Warum eigentlich erst jetzt?“

Das ist eine gute Frage. Mit der Einstellung der Zeitschrift mag eine Ära enden, aber eine, die schon vorbei war. Nachrufe auf die Spex wurden bereits formuliert, als die Redaktion 2007 von Köln nach Berlin umziehen musste, und noch früher, um die Jahrtausendwende, als die selbstgemachte Spex an einen Verlag verkauft wurde. Damals schon nannte Mark Terkessidis sie eine Überlebende der Achtziger. Jegliche Dissidenz sei aus der Popkultur gewichen, befand er; selbst widerspenstige Gesten würden „nur noch als Differenzstrategien gelesen“. Denkbar ist, dass im Zuge dieser Entwicklung auch der spezielle Spex-Sound eine andere Wirkung bekam: dass schwierige Texte, die Verknüpfungen herstellen, für deren Verständnis einige Regalmeter kulturtheoretischer Literatur nicht schaden konnten, zunehmend weniger als intellektuelle Herausforderung gelesen wurden denn als Herumgetünsel oder als Fall für den Verbraucherschutz.

Es wäre aber unangemessen, den wechselnden Redaktionsteams vorzuhalten, sie hätten Fehler gemacht. Der Umstand, dass in diesem Jahr bereits das Aus für den britischen New Musical Express, für das Musikmagazin Intro und die Spex-Verlagsschwester Groove verkündet worden sind, weist deutlich darauf hin, dass ein Jahresabschluss ohne Defizit in diesem Segment kein Selbstläufer ist. Viel mehr als 20.000 Spex-Ausgaben dürften auch in den besten Zeiten selten verkauft worden sein; die aber liegen eine ganze Weile zurück. Die gedruckten Anzeigen im Heft konnte man zuletzt knapp an den Saiten einer Gitarre abzählen.

Chefredakteur Daniel Gerhardt verweist etwa darauf, dass sich die „Gatekeeperfunktion von Pop-Journalist_innen“ erledigt habe, und natürlich ist das richtig. Redaktionen haben längst kein Herrschaftswissen über die Neuerscheinungen mehr; damit ist ein Teil ihrer Bedeutung flöten gegangen. Versuche, mit dem Wandel der Musik- und Mediennutzungsbedingungen umzugehen, den Prozess des Verglühens aufzuhalten, gab es. Vor einigen Jahren etwa wurde die Albumrezension ersetzt durch ein schriftliches Round-Table-Gespräch mehrerer Expertinnen, eine multiperspektivische Besprechung also; und da wurden schon wesentlich dümmere Ideen umgesetzt. Man habe, so beschreibt es Gerhardt nun, zuletzt weniger auf „eine Empfehl-O-Mat-Funktion“ gesetzt, die nicht mehr gefragt sei, sondern sich „als Magazin begriffen, das seine Geschichten dort sucht, wo Pop und Gesellschaft am heftigsten aufeinanderprallen“, etwa bei der Ratlosigkeit Popschaffender angesichts der Wut der Bürger. Und auch das war ein guter Umgang mit den Umständen, die längst gegen die Spex waren. Dass sie nun eingestellt wird, ist deshalb nicht die Nachricht. Die Nachricht ist, dass sie es bis hierhin geschafft hat.

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