Das Popkultur-Magazin Spex erscheint im Dezember zum letzten Mal. Nach 38 Jahren und 384 Ausgaben werde sie eingestellt, teilte der Chefredakteur des Musikmagazins, Daniel Gerhardt, mit. Das ist ein paar Momente des Bedauerns wert, handelt es sich bei der Spex doch um die einzige deutsche Zeitschrift der vergangenen Jahrzehnte, die vorübergehend die Deutungshoheit über Popmusikphänomene beanspruchen durfte.
Andererseits muss man konstatieren, dass sich jenseits der Social Media, in denen allerlei „Oh neins“ verbreitet wurden, ein eher routinierter Umgang mit der Nachricht vom Ende beobachten ließ. Jan Kedves etwa, ein ehemaliger Chefredakteur, warf in der Süddeutschen Zeitung die Frage auf: „Warum eigentlich erst jetzt?“
Das ist eine gute Frage. Mit der Einstellung der Zeitschrift mag eine Ära enden, aber eine, die schon vorbei war. Nachrufe auf die Spex wurden bereits formuliert, als die Redaktion 2007 von Köln nach Berlin umziehen musste, und noch früher, um die Jahrtausendwende, als die selbstgemachte Spex an einen Verlag verkauft wurde. Damals schon nannte Mark Terkessidis sie eine Überlebende der Achtziger. Jegliche Dissidenz sei aus der Popkultur gewichen, befand er; selbst widerspenstige Gesten würden „nur noch als Differenzstrategien gelesen“. Denkbar ist, dass im Zuge dieser Entwicklung auch der spezielle Spex-Sound eine andere Wirkung bekam: dass schwierige Texte, die Verknüpfungen herstellen, für deren Verständnis einige Regalmeter kulturtheoretischer Literatur nicht schaden konnten, zunehmend weniger als intellektuelle Herausforderung gelesen wurden denn als Herumgetünsel oder als Fall für den Verbraucherschutz.
Es wäre aber unangemessen, den wechselnden Redaktionsteams vorzuhalten, sie hätten Fehler gemacht. Der Umstand, dass in diesem Jahr bereits das Aus für den britischen New Musical Express, für das Musikmagazin Intro und die Spex-Verlagsschwester Groove verkündet worden sind, weist deutlich darauf hin, dass ein Jahresabschluss ohne Defizit in diesem Segment kein Selbstläufer ist. Viel mehr als 20.000 Spex-Ausgaben dürften auch in den besten Zeiten selten verkauft worden sein; die aber liegen eine ganze Weile zurück. Die gedruckten Anzeigen im Heft konnte man zuletzt knapp an den Saiten einer Gitarre abzählen.
Chefredakteur Daniel Gerhardt verweist etwa darauf, dass sich die „Gatekeeperfunktion von Pop-Journalist_innen“ erledigt habe, und natürlich ist das richtig. Redaktionen haben längst kein Herrschaftswissen über die Neuerscheinungen mehr; damit ist ein Teil ihrer Bedeutung flöten gegangen. Versuche, mit dem Wandel der Musik- und Mediennutzungsbedingungen umzugehen, den Prozess des Verglühens aufzuhalten, gab es. Vor einigen Jahren etwa wurde die Albumrezension ersetzt durch ein schriftliches Round-Table-Gespräch mehrerer Expertinnen, eine multiperspektivische Besprechung also; und da wurden schon wesentlich dümmere Ideen umgesetzt. Man habe, so beschreibt es Gerhardt nun, zuletzt weniger auf „eine Empfehl-O-Mat-Funktion“ gesetzt, die nicht mehr gefragt sei, sondern sich „als Magazin begriffen, das seine Geschichten dort sucht, wo Pop und Gesellschaft am heftigsten aufeinanderprallen“, etwa bei der Ratlosigkeit Popschaffender angesichts der Wut der Bürger. Und auch das war ein guter Umgang mit den Umständen, die längst gegen die Spex waren. Dass sie nun eingestellt wird, ist deshalb nicht die Nachricht. Die Nachricht ist, dass sie es bis hierhin geschafft hat.
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Kommentare 3
SPEX – adieu: Ein Träne aus dem Knopfloch wird sich sicher jede und jeder abquetschen, die oder der an Popmusik interessiert ist. Aus der Zeit gefallen war die Form Rezeption allerdings spätestens mit dem Untergang der vielgerühmten bzw. vielgeschmähten Hamburger Schule. Die Gründe, warum es (letztlich) so kommen mußte, reißt der Artikel zwar an. Allerdings merkt man dem Nachruf an, dass »Pop« für den Nachrufschreiber ebenfalls eine gegessene Geschichte ist – ähnlich wie für die, über die er schreibt, und die sich bereits seit Beginn der Nineties in einer Umgebung wiederfanden, die nicht mehr die ihre war.
Auch wenn der Autor dieses Kommentars entschieden dem Roots-bezogenen, subkulturellen und (wenn man so will) »traditionalistischen« Ansatz der Konkurrenzzeitschrift Rolling Stone entschieden nähersteht, ist das Sterben einer Musikzeitschrift sicher kein Grund zur Freude. Auch und gerade als »Traditionalist« konnte man sich an der SPEX (und den dort vertretenen Inhalten) prächtig reiben. SPEX vertrat konsequent die Avantgarde – ein stetiger Stachel im Fleisch derjenigen, die sich an Niedecken und ähnlichem Friedenskompott delektierten. Eine Lösung – das weiß nicht nur der politische Linkspopulist, der aus mir schließlich geworden ist – konnte der avantgardistische Ansatz zwar nie sein. Hegel-dialektisch war er jedoch die nötige Antithese zur These. Eine Synthese – aus populär und avantgardistisch – wird sich nunmehr zwar ohne die SPEX auftun müssen. Zumindest für meine (Pop-)Generation habe ich allerdings wenig Zweifel, dass die nötige Antithese zwecks Destillation der Synthese auch künftig mitgedacht wird.
Für dieses Schärfen des (kultur)kritischen Denkvermögens: an dieser Stelle einfach mal ein Danke!
SELBSTREFERENZLOOPGEMEINDE
Als ganz langjähriger Abonnent (allerdings nicht mehr in Piranha-Zeiten) sage auch ich mit einem gewissen Bedauern Danke. Dazu kommt, dass ich über einen Freund schon aus Schultagen und Bandmitgründer sozusagen verknüpft bin mit einem Mitbegründer der Zeitschrift.
Allerdings hat mich später immer mal wieder der Zweifel angesprungen, ob die SPEXgemeinde aus Schreibern und Lesern nicht auch ein immer larmoyanter werdender Selbstreferenzloophaufen geworden ist - statt die ewig langen Artikel zu lesen hätte man in der Zeit auch auf der Bühne stehen oder Musik aufnehmen können.
- seit frühen tagen geht ein königs-weg
zur ermittlung von biografie/charakter-merkmalen
eines interviewten über die frage nach dem lieblings-interpreten/der band
des vertrauens.
- wer bei den tsunamis und dümpel-wellen am breiten strand der pop-kultur
ein gate-keeper sein will/wollte muß irre sein.
- wer da konsument ist, hat einen verbraucher-schutz nicht verdient.
- auch die haltungs-bedingungen für musiker sind tierisch.
- wer geschmacks-vermögen aus-bilden will,
tut gut daran, 40-50 jahre zurück zu gehen:
die damaligen mega-rocks haben sich mittlerweile zu kieseln
und wenigen fund-stücken entwickelt.
was dann dazu-kam: ist meist nur ein plus im marketing.
und dient distinktiv einem fake-exklusiv-identitäts-merkmal,
das man braucht, um sich von den vielen zu unterscheiden.