Die, die nicht im Einstein mit euch rumhängt

Saskia Esken Bei der SPD muss man traditionell viel einstecken. Bei der Bundesvorsitzenden wird aber mit zweierlei Maß gemessen
Ausgabe 04/2020
Klausur statt Käffchen: Norbert Walter-Borjans (l.) und Saskia Esken
Klausur statt Käffchen: Norbert Walter-Borjans (l.) und Saskia Esken

Foto: Imago Images/Sven Simon

Erinnert sich noch jemand an die Diskussion, die nach Andrea Nahles’ Rückzug von der SPD-Spitze geführt wurde? Landauf, landab standen große Artikel in den Zeitungen, in denen die Frage „Wie frauenfeindlich ist die Politik?“ gerne mal mit „sehr“ beantwortet wurde. Politikerinnen, egal ob von CDU, CSU, Grünen oder SPD, bestätigten das gerne. Aber die Diskussion war so nachhaltig wie eine Hochzeit in Las Vegas. Nun, wenige Monate später, sagt die Sozialdemokratin Klara Geywitz über die neue SPD-Vorsitzende Saskia Esken: „Ich beobachte, dass vor allem an Saskia Esken sehr harte und hämische Kritik geübt wird. Weil sie eine Frau ist, wird sie in den Medien negativer beurteilt als Norbert Walter-Borjans“, also der andere SPD-Chef. Sie werde „mit anderen Maßstäben gemessen“.

Natürlich ist Klara Geywitz’ Behauptung nicht zwangsläufig zutreffend, nur weil sie sofort einleuchtend klingt. Richtig ist: Politisches Spitzenpersonal kriegt, um mal Andrea Nahles zu zitieren, generell unentwegt auf die Fresse. Frauen, Männer, alle. Und bei SPD-Spitzenpersonal wird traditionell besonders weit ausgeholt. Wer Macht hat, dem muss sie genommen werden: Dafür sorgt die SPD im Zweifel selbst, die als „brutalste Partei Deutschlands“ (Claudia Kade) nachvollziehbar beschrieben ist.

Aber wenn sie es alleine nicht hinkriegt, gibt es immer noch genügend Journalisten, die sich für Machtspielchen mehr als für jeden Inhalt begeistern können.

Kurt Beck war zu provinziell, Rudolf Scharping zu seltsam, Martin Schulz zu naiv. Und Peer Steinbrücks gereckter Mittelfinger hat die Wahlkampfberichterstattung seinerzeit derart geprägt, dass Angela Merkel eigentlich nur nichts tun musste, wenn sie die Wahl wieder gewinnen wollte. Also, nein, es trifft nicht nur Frauen. Nicht nur Saskia Esken, sondern auch Walter-Borjans wurde schon das bevorstehende Ende der SPD angehängt, als sie noch nicht einmal mit der Arbeit begonnen hatten. Wer Angriffsfläche bietet, wird angegriffen. Und Parteichefs bieten immer Angriffsfläche.

Nur ist die Frage, worin die Angriffsfläche in jedem einzelnen Fall besteht. Bei den Männern ist sie je unterschiedlich. Bei Politikerinnen dagegen ist sie – und das ist der Punkt – häufig gleich: Sie können es nicht, und wenn sie es trotzdem tun, dann unsouverän; das ist der Rahmen der Erzählung. Je passende Details, um ihn aufzufüllen, finden sich danach schon. Ähnlich verlässlich wie zu weiblich können politische Figuren höchstens noch zu jung sein.

So war Sakia Esken erst nur die „Hinterbänklerin“, dann gab es die Variation „ehemalige Vizevorsitzende des Landeselternbeirats Baden-Württemberg“, schließlich kaprizierte man sich auf hängende Mundwinkel und ihre Schuhe. Und selbst nun, da sie mit öffentlichen Äußerungen ihr eigenes politisches Profil zu schärfen beginnt, heißt es in der Zeit: „Esken ist sozusagen das Kind von Kevin Kühnert.“ Das ist vielleicht der ultimative Diss – dass ein 30-Jähriger, dessen eigene Angriffsfläche kürzlich noch darin bestand, dass er noch keine 50 ist, sie hervorgebracht hätte.

Man könnte auch über eine Frau schreiben, die ihre Politik nicht zuerst im Berliner Café Einstein erklärt oder in anderen Etablissements, in denen Journalisten und Politiker verkehren. Über eine Frau, die aus der Halbdistanz kommt, was in der Lage, in die andere die SPD gebracht haben, Vorteile haben kann. Die ihren Versuch nun bekommen muss. Berichtet wird über eine Frau, die es nicht draufhat. Vielleicht hat sie es ja nicht drauf, aber woher will man’s denn schon wissen?

Hoffentlich langweilen sich die Leute, die das schreiben, wenigstens selbst.

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