Endlich kommt der Medienstaatsvertrag

Digitalisierung Neue Medien bekommen in Deutschland ihre eigenen rechtlichen Rahmenbedingungen. Es wurde Zeit
Ausgabe 50/2019
Sogenannte Tonangeln bei einem Pressetermin: der gute, alte Rundfunk
Sogenannte Tonangeln bei einem Pressetermin: der gute, alte Rundfunk

Foto: Imago Images/photothek

Im August 1991 wurde vom Forschungszentrum in Genf aus die erste Website öffentlich gemacht. Im selben Monat trat in Deutschland der Rundfunkstaatsvertrag in Kraft, der „grundlegende Regelungen für den öffentlich-rechtlichen und den privaten Rundfunk in einem dualen Rundfunksystem“ enthält. Aus heutiger Sicht eine amüsante Gleichzeitigkeit: Dort begann die Geschichte des Internets für alle, die mittlerweile von weltweit aktiven Megakonzernen weitergeschrieben wird. Hier wurde von da an knapp 30 Jahre lang an einem Vertrag herumgedoktert, der Radio und Fernsehen im Zentrum der Welt sah, und in dem Internetdienste „Telemedien“ hießen.

Als 1996 der Vorläufer von Google seinen Betrieb aufnahm, wurde im Rundfunkstaatsvertrag zum Beispiel gerade die Verwendung des Gebührenanteils der Landesmedienanstalten neu geregelt. Als 2005 Youtube entstand, betraf eine Novelle des Staatsvertrags eine Erhöhung der Rundfunkgebühren auf 17,03 Euro. Und so weiter. Im Grunde war der bis heute gültige Rundfunkstaatsvertrag vom ersten Tag an auf dem Weg, ein Anachronismus zu werden. Medienpolitiker aller Bundesländer redeten sich immer wieder die Köpfe warm, um am Ende dann im Konsens irgendeinen Kleinkram zu regeln, der am Kern der medialen Entwicklungen weit vorbeiging.

Nun aber, endlich, wurde der Entwurf eines Nachfolgewerks vorgestellt, das „Medienstaatsvertrag“ heißen wird, weil es um Rundfunk in der alten Definition längst nicht mehr geht. Rundfunk, das waren einst massenmediale Anbieter, deren Programm in der Hörzu stand. Heute bestückt jeder zweite 16-Jährige einen Youtube-Kanal. Doch schon wer damit 500 Menschen erreicht, braucht bislang eine teure Rundfunklizenz – als wäre es kein Unterschied, ob man ein Fernsehsender ist oder irgendein Linus oder eine Anna, denen ein paar Freunde von Freunden zu viel zuschauen. Damit soll nun Schluss sein, die Schwelle ist unter anderem ums Vierzigfache erhöht worden. Das ist eine der Änderungen, für die es wirklich Zeit wurde.

Es ist aber nicht die wichtigste, auch wenn das viele Youtuber so sehen. Wichtiger ist, dass nun auch Themen angegangen wurden, die 1991 nicht mal Science-Fiction-Autoren realistisch auf dem Radar hatten. Der Medienstaatsvertrag betrifft etwa auch Sprachassistenten wie Alexa oder Smart-TVs, auf denen Inhalte mit einem gesellschaftlichen Mehrwert nun so auffindbar sein müssen, dass sie nicht in der Masse untergehen. Und er betrifft Suchmaschinen oder Netzwerke wie Facebook – sogenannte „Intermediäre“, also Vermittler von Mittlern –, die zwar keine eigenen Inhalte anbieten, die aber die Verbreitung von Inhalten anderer stark gewichten und so über ihre Bedeutung mitbestimmen können; die die Macht hätten, Medieninhalte aus den Timelines ihrer Nutzer verschwinden zu lassen. Sie dürfen, so heißt es nun, „journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote, auf deren Wahrnehmbarkeit sie potenziell besonders hohen Einfluss haben, nicht diskriminieren“.

Nicht alles ist fertig oder gar perfekt, gerade die Digitalbranche ist wohl unzufrieden. Aber immerhin liegt nun ein Regelwerk vor, das mit dem Spiel zu tun hat, um das es geht: Bislang war es, als würde immer wieder die Rugby-Regelkunde aktualisiert, weil alle Welt angefangen hatte, Quidditch zu spielen. Der Medienstaatsvertrag ist, um im Bild zu bleiben, wenigstens mal ein Quidditch-Handbuch.

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