Es geht um die Wurst

Debattenkultur Früher war „am Klimawandel ja die Atombombe schuld“, meint Heinz Buschkowsky und will in Ruhe Würstchen grillen. Mit Wissenschaft möchte er lieber nicht behelligt werden
Ausgabe 32/2018
„Man wird ja wohl noch grillen dürfen“ ist das „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“ der Klimadebatte
„Man wird ja wohl noch grillen dürfen“ ist das „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“ der Klimadebatte

Foto: Frank Sorge/Imago

Manche sagen, es liege an den Technologien: Social Media sei schuld, dass das Debattenklima derzeit rau ist. Aber das stimmt nicht: Der Debattenklimawandel ist in erster Linie menschengemacht. Sagt jemand „Gender“, fügt sofort jemand „Gaga“ hinzu – und da kann ja die Technik nichts für. Berichtet jemand vom Leben als Veganer, macht ein anderer eine „Belehrung“ aus dem „Elfenbeinturm“ daraus. Und sagt man „Der Klimawandel ist real“, kriegt man prompt das Etikett des „Klimanazis“.

Tatsächlich geht es vielen in vielen Debatten weniger um Ausleuchtung von Erkenntnisräumen als darum, dass sie sich ihre Normalität nicht von Argumenten schlecht machen lassen wollen. Ihr Ärger ist eine Empörung zweiter Ordnung: Es geht nicht um das Debattenthema, sondern um die Frechheit, dass es für andere überhaupt eines ist.

Ein Musterbeispiel dafür, wie man sich unter koketter Vorgaukelung von Ahnungslosigkeit an Debatten beteiligt und dabei jegliche Erkenntnis im Handstreich abräumt, hat jetzt Heinz Buschkowsky, der ehemalige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, geliefert. Er hat eine Bild-Kolumne geschrieben, in der es irgendwie ums Würstchengrillen geht, irgendwie auch um Klimawandel – eigentlich aber darum, dass er von so Kinkerlitzchen wie Wissenschaft nicht behelligt werden will.

„Ich gehöre zu den Bösen, denn mir macht Grillen Spaß“, beginnt sein Text. „Und nun wird mir eingeredet, dass ich damit schuld am Klimawandel bin.“ Unfair, findet Buschkowsky: Früher sei „am Klimawandel ja die Atombombe schuld“ gewesen (das steht da wirklich). Dass nun plötzlich sein Kotelett in die Gleichung genommen werden soll, nur weil es Belege gibt, dass die Fleischproduktion zwingend hineingehört – nein, da versteht der „normale Mensch“ die Welt nicht mehr. Buschkowsky schimpft auf „Belehr-Rechtsstaat“, „Volkshochschulpolitik“, „Moralimperialismus“ und „so viele scheinbar oberkluge Menschen“ wie „Autohasser“, die „Sozialgerechten“ und „Veggie-Jünger“. Frappierend ist vor allem diese Formulierung: „Ich bin weder Forscher noch Wissenschaftler. Aber ...“ Aber Buschkowsky lässt sich natürlich nicht davon abhalten, deren Erkenntnisse für wurst zu erklären. „Man wird ja wohl noch grillen dürfen“ ist das „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“ der Klimadebatte.

Vor einigen Tagen erschien im Magazin der New York Times ein großer, erhellender Artikel über die Klimapolitik der Jahre 1979 bis 1989. Es ist ein Text, der nicht nur Aufschluss darüber gibt, dass vieles von dem, was wir heute über Ursachen des Klimawandels wissen, seit Jahrzehnten bekannt ist. Sondern auch darüber, warum dieses Wissen nicht zu den entsprechenden Konsequenzen geführt hat. Kurz: Die Sache ist außergewöhnlich komplex; und Veränderung war von bestimmten politischen Kräften nicht gewollt.

Wenn man sich fragt, warum viele auch drei Jahrzehnte später noch so tun, als gehe uns das nichts an, kommt man nicht drum herum, Argumentationen wie die von Buschkowsky zu bedenken: Zu viele Leute haben einfach keinen Bock. Klimapolitik? Not in my backyard. Buschkowskys „normaler Mensch“, der einfach nur seine blöden Würstchen fressen will, macht da nicht mit. Dieser „Normale“, der auf die Leute im „Elfenbeinturm“ schimpft, die alle anderen in Klimafragen „belehren“ wollen – ein Bild, das selbst kluge Leute wie Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt dieser Tage bedienten –, ist wahrscheinlich der größte Chauvi unter der Sonne.

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