Manche sagen, es liege an den Technologien: Social Media sei schuld, dass das Debattenklima derzeit rau ist. Aber das stimmt nicht: Der Debattenklimawandel ist in erster Linie menschengemacht. Sagt jemand „Gender“, fügt sofort jemand „Gaga“ hinzu – und da kann ja die Technik nichts für. Berichtet jemand vom Leben als Veganer, macht ein anderer eine „Belehrung“ aus dem „Elfenbeinturm“ daraus. Und sagt man „Der Klimawandel ist real“, kriegt man prompt das Etikett des „Klimanazis“.
Tatsächlich geht es vielen in vielen Debatten weniger um Ausleuchtung von Erkenntnisräumen als darum, dass sie sich ihre Normalität nicht von Argumenten schlecht machen lassen wollen. Ihr Ärger ist eine Empörung zweiter Ordnung: Es geht nicht um das Debattenthema, sondern um die Frechheit, dass es für andere überhaupt eines ist.
Ein Musterbeispiel dafür, wie man sich unter koketter Vorgaukelung von Ahnungslosigkeit an Debatten beteiligt und dabei jegliche Erkenntnis im Handstreich abräumt, hat jetzt Heinz Buschkowsky, der ehemalige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, geliefert. Er hat eine Bild-Kolumne geschrieben, in der es irgendwie ums Würstchengrillen geht, irgendwie auch um Klimawandel – eigentlich aber darum, dass er von so Kinkerlitzchen wie Wissenschaft nicht behelligt werden will.
„Ich gehöre zu den Bösen, denn mir macht Grillen Spaß“, beginnt sein Text. „Und nun wird mir eingeredet, dass ich damit schuld am Klimawandel bin.“ Unfair, findet Buschkowsky: Früher sei „am Klimawandel ja die Atombombe schuld“ gewesen (das steht da wirklich). Dass nun plötzlich sein Kotelett in die Gleichung genommen werden soll, nur weil es Belege gibt, dass die Fleischproduktion zwingend hineingehört – nein, da versteht der „normale Mensch“ die Welt nicht mehr. Buschkowsky schimpft auf „Belehr-Rechtsstaat“, „Volkshochschulpolitik“, „Moralimperialismus“ und „so viele scheinbar oberkluge Menschen“ wie „Autohasser“, die „Sozialgerechten“ und „Veggie-Jünger“. Frappierend ist vor allem diese Formulierung: „Ich bin weder Forscher noch Wissenschaftler. Aber ...“ Aber Buschkowsky lässt sich natürlich nicht davon abhalten, deren Erkenntnisse für wurst zu erklären. „Man wird ja wohl noch grillen dürfen“ ist das „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“ der Klimadebatte.
Vor einigen Tagen erschien im Magazin der New York Times ein großer, erhellender Artikel über die Klimapolitik der Jahre 1979 bis 1989. Es ist ein Text, der nicht nur Aufschluss darüber gibt, dass vieles von dem, was wir heute über Ursachen des Klimawandels wissen, seit Jahrzehnten bekannt ist. Sondern auch darüber, warum dieses Wissen nicht zu den entsprechenden Konsequenzen geführt hat. Kurz: Die Sache ist außergewöhnlich komplex; und Veränderung war von bestimmten politischen Kräften nicht gewollt.
Wenn man sich fragt, warum viele auch drei Jahrzehnte später noch so tun, als gehe uns das nichts an, kommt man nicht drum herum, Argumentationen wie die von Buschkowsky zu bedenken: Zu viele Leute haben einfach keinen Bock. Klimapolitik? Not in my backyard. Buschkowskys „normaler Mensch“, der einfach nur seine blöden Würstchen fressen will, macht da nicht mit. Dieser „Normale“, der auf die Leute im „Elfenbeinturm“ schimpft, die alle anderen in Klimafragen „belehren“ wollen – ein Bild, das selbst kluge Leute wie Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt dieser Tage bedienten –, ist wahrscheinlich der größte Chauvi unter der Sonne.
Kommentare 11
Und es ist eh nur nen Strohmann. Niemand sagt man darf sich kein Würstchen mehr braten. Sondern es geht darum jeden Tag nen Kilo Wurst zu fressen, wie der letzte Barbar.
Und wie schlecht denkt eigentlich der Herr Buschkowsky von den "normalen" Leuten?! Hält der die zu blöde um zu begreifen, dass bei der Fleischproduktion Treibhausgase entstehen? Ist man dann "unnormal"? Hochbegabt? Ein Genie, and a very stable at that! Das ist doch ne Methode, wissenschaftliche Erkenntnis als unbegreifbaren Firlefanz abzutun!
Diese ganzen alten Männer haben keine Lust dazu sich zu bewegen. Zu satt, zu gut situiert, zuviel Ego, zuviel Geltungsbewusstsein, zuviel Nebeneinkünfte und zu wenig Zukunft übrig sich darum zu scheren, dass noch eine bewohnbare Biosphäre übrigbleibt, denn sie kamen schon zu ausgiebig zum Fressen.
herr b. ist in seiner wurstigkeit zwar zu übertreffen,
macht aber, was er kann: er versucht sich populär zu machen.
auf allen verfügbaren kanälen.
und gibt sich als normalo-welt-kind in der mitte,
das sich nicht ändern muß. das sollen andere tun.
ist seine senf-zugabe.
man mag ihm übel-mitgespielt haben.
kein grund, seine übel-launigkeit spritzen zu lassen,
wie aus einer angepieksten rost-brat-wurst.
Irgendein Hanswurst betriebt motivated reasoning und landet dabei abseits der Realittät. Dsa hat nichts mit Debattenkultur zu tun, dieser Herr hat sich aus freien Stücken aus der Debatte verabschiedet.Viel dramtatischer ist es as bei anderenn Leuten. Habeck versuchte kürzlich seine eigene Partei zu einer Debatte über liebgewonnen Grundsatzpositionen einzuladen und ist leider krachend gescheitert. Aus den eigenen Reihen hieß es gegen GMO zu sein sei für die Partei wichtig, wichtiger auch als Fakten.Schauen sie sich die aktuelle Twittertimeline von Simone Peter an zum EU-Urteil über CRISPR an. Sie blockiert reihenweise unliebsame Wissenschaftler und schreibt ganz offen, man müsse sich nicht mit Fachleuten auseinandersetzen.
Das klingt nach Monstermäßige Angst im Populismus. Angst das die Grundlage für den bestehenden Populismus, durch eine falsche Bewegung wie ein Kartenhaus zusammenfällt. Und ein Tipp für den Autor. Lassen sie das Wort Komplex weg und ersetzen es durch einen anderen Ausdruck, weil sie ja dann ausversehen den Populismus unterstützen, welchen Sie ja bloßstellen und aufbrechen wollen. Sie wollen doch das dargestellte Sichtfeld von diesem Populismus, als eine unscheinbare, unhaltbare Illusion aufzeigen. Diese Illusionsseifenblase des Populisten B. wollen Sie ja zum platzen bringen. Dann wäre die nächste Person die Ihre Populismusseifenbalse platzen sieht, Frau Simone Peters wie in dem Kommentar von @sehwolf aufgeführt.
yo!
;)
Seine wissenschaftlichen Beiträge, zum Beispiel zur Erforschung so genannter "prekärer" Verhältnisse, bringt Buschkowsky mitunter in wissenschaftsfernen Diskursevents unter, siehe z.B. hier:
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ein-koffer-voller-ekel-vor-rtl
Die einen fahren mit ihrem SUV zum Bioladen, die anderen mit ihrem schicken Rad - und dann fliegen sie mal eben in die Städte der Welt oder sonstwohin, selbstverständlich, aber vegan! Was macht Fliegen mit dem Klima? Lieber sich aufregen über Currywürste..., Kritik ist gut, doch Selbstkritik besser!
Ich fürchte, es sind mehr Karnisten als Veganer, die SUFFs fahren und mehrmals im Jahr umher fliegen.
Ich interessiere mich für den von Klaus Raab im Artikel erwähnten Beitrag aus dem Magazin der New York Times über die Klimapolitik der Jahre 1979 bis 1989. Hat da jemand einen Link?
Entschuldigung, jetzt erst Ihren Kommentar gesehen. Hier der Link: https://www.nytimes.com/interactive/2018/08/01/magazine/climate-change-losing-earth.html
Herzlichen Dank!