Fragwürdig. Im Wortsinn.

Rassismus? Jürgen Fliege wird Rassismus vorgeworfen, weil er in einer Talkshow sagte, die katholische Kirche sei "türkenfrei". Wie hat er das gemeint? Eine Nachfrage

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Fragwürdig. Im Wortsinn.

Foto: Sean Gallup/ AFP/ Getty Images

Auslöser diverser sog. Shitstorms sind sprachliche Mehrdeutigkeiten. Nehmen wir das Zitat des FDP-Politikers Jörg-Uwe Hahn: "Bei Philipp Rösler würde ich allerdings gerne wissen, ob unsere Gesellschaft schon so weit ist, einen asiatisch aussehenden Vizekanzler auch noch länger zu akzeptieren."

Rassismus? Oder der grammatikalisch eher unglückliche Versuch, Rassismus zu benennen?

Eine neue verbale "Entgleisung" (Bild) gab es am Dienstag im Talk "Menschen bei Maischberger". Es ging um den Papst und die Frage, ob Benedixt XVI. gescheitert sei; Matthias Matussek verteidigte die katholische Kirche mit der Frage: "Warum wollen die Leute ihre Kinder unbedingt in katholische Kindergärten geben, oder warum wollen sie sie unbedingt in katholische Schulen geben?"

Darauf der aus dem Fernsehen bekannte evangelische Seelsorger Jürgen Fliege: "Sie ist türkenfrei!"

Matussek: "Was? Was sagen Sie da?"

Fliege: "Die katholische Kirche ist türkenfrei!"

Matussek: "Also, das ist aber... unverschämt. Was heißt türkenfrei? Das erinnert an das Vokabular des Unmenschen."

Fliege: "Das ist einfach eine Wirklichkeit."

Matussek: "Nein, Herr Fliege, das kann ich Ihnen nicht durchgehen lassen."

Dann geht die Diskussion weiter und kommt nicht mehr auf das "türkenfrei"-Zitat zurück. Klingt natürlich wirklich aufs erste Hören vollkommen beknackt, was Fliege da sagt. Er vertrete "rassistische Thesen", heißt es also. Was er sagt, ist aber vor allem uneindeutig. Denn ob er die Wirklichkeit, wie er sie erlebt, beschreiben wollte, oder ob er die Kirche dafür lobt, dass sie so schön türkenfrei sei – man kann beides verstehen. Focus.de schreibt folgerichtig, es handle sich um eine "fragwürdige Aussage". Wenn die Aussage also fragwürdig ist, hilft fragen. Was sagt Fliege dazu?

Er teilt mit, er habe "darauf aufmerksam gemacht, dass ein Motiv von Eltern, ihre Kinder in Konfessionsschulen anzumelden, ist, dass diese oft frei von Kindern mit muslimischem Hintergrund sind". Er habe also Kritik daran geübt, dass "unsere Konfessionsschulen" benutzt würden, "um sich integrativer Bemühungen zu entziehen".

Per Mail schreibt er kurz darauf zur weiteren Erklärung:

"Herrn Matusseks Hoffnung, dass es mit der katholischen Religion doch nicht ganz so schlimm bestellt sein könnte, schließlich könnten die konfessionellen Einrichtungen sich vor Anmeldungen nicht retten, relativierte ich mit meiner langjährigen Erfahrung als verantwortlicher Pfarrer eines evangelischen Kindergartens"; er habe bei Kinderanmeldungsgesprächen, auch mit kirchenfernen Eltern, über die Motivation geredet, "ihre Kinder ausgerechnet hier anzumelden".

Privatempirie? Vielleicht. Können sich konfessionelle Kindergärten falsch dargestellt fühlen? Womöglich. Kann man über den Sinn konfessioneller Einrichtungen streiten? Wird der eine oder andere da zu anderen Auffassungen als Fliege kommen? Ganz sicher.

Aber so richtig rassistisch will mir Fliege nicht klingen, wenn er, freilich etwas ungeschickt, von Menschen erzählt, die große Vorbehalte gegen andere haben. Auch Matthias Matussek schreibt per Mail heute: Natürlich finde er Flieges Aussage nicht rassistisch, ihn habe allerdings die Wortwahl "türkenfrei" gestört.

"Rassismus-Eklat" (Focus Online) und "Türken-Eklat" (Bild Online) klingt aber schon nach ein bisschen mehr. Wobei – wenn man die Kommentare unter dem Focus-Text liest: "Rassismus-Eklat", ja, vielleicht gibt es ja doch einen.

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