Fruchtbarer Frust

Medien Ultralativ ist Youtube-Kritik und -Phänomenologie mit den Mitteln derer, die mit Youtube aufgewachsen sind
Ausgabe 26/2019

Ein Weg, Youtube ein bisschen besser zu verstehen, besteht darin, sich stumpf davorzusetzen und langsam in einen Zustand schamanisieren zu lassen, den Mark Greif einmal als „Klick-Trance“ beschrieben hat. Man startet mit einem Video, das über eine wahllose Eingabe in die Suchmaske nach vorne gespült wurde – zum Beispiel die Eingabe „kackende Hunde“ (Greifs Idee), woraufhin man umgehend ein erstes entsprechendes Video findet. Von dort aus nimmt das Elend dann seinen Lauf. Man landet von Hunden bei den „Top 10 riskantesten Häusern der Welt“, von dort bei Wasserrutschen („Wir haben schon viel über Wasserrutschen berichtet, aber noch nicht über die zehn höchsten Wasserrutschen der Welt.“), dann bei Kirmesmarkus und bei etwa vier Stunden Achterbahnfahren am Stück. Und am Ende interessiert man sich für einen Thermomix. Man wird ein bisschen blöd davon, aber kommt der Wahrheit näher.

Ein anderer Weg, Youtube besser zu verstehen, ist, Videos wie die des Kanals Ultralativ zu schauen, die eine Schneise durch den Dschungel der unentwegten Video-Uploads schlagen: Jetzt schau’ dir das an!, sagen sie einem, und dann wirf einen Blick dorthin, du hältst es im Kopf nicht aus! Ultralativ, betrieben von zwei Studenten, Fynn Kröger und Paul Schulte, ist Youtube-Kritik und -Phänomenologie mit den Mitteln derer, die mit Youtube aufgewachsen sind.

Nachdem der Youtuber Rezo sein Video „Die Zerstörung der CDU“ gepostet hatte, konnte man in allen Zeitungen des Landes viel lesen über diese Youtube-Kultur. Und die, die sich ärgerten über den Blauhaarigen, teilten dabei am heftigsten aus. Nicht, dass das nicht erlaubt wäre, aber natürlich schreiben Journalisten, die nie ins Theater gehen, eigentlich auch eher selten Theaterkritiken; insofern hatten Teile der Kritik etwas von Schrotflinte: Irgendeine Behauptung wird schon ins Schwarze treffen.

Kröger und Schulte dagegen wissen, wohin sie zielen müssen. In kurzen Videos, hübsch, aber recht effektfrei animiert, handeln sie den ganz alltäglichen Irrwitz ab: Es geht um Influencer, die nicht gratis in Clubs kamen, obwohl sie doch so schöne Fotos für ihren Instagram-Account machen wollten, und die sich nun gerieren, als sei ihnen eine üble Ungerechtigkeit widerfahren. Es geht um aufgeblasene Videotitel wie „Try not to say WOW Challenge“, denen sie stecknadelgleich die Luft ablassen: „Wenn man schon die einfachste Challenge aller Zeiten macht, kann man den Titel ja wenigstens für ein paar mehr Aufrufe komplett auf Englisch halten.“ Oder um irreführende Thumbnails, also Video-Vorschaubilder, die Spektakuläres versprechen, das mit dem Videoinhalt nur wenig zu tun hat. Sie nehmen sich einen jungen Influencer vor, der in einem Buch beschrieben hat, mit welchen Tricks er sein Publikum vergrößert und es zu melken versucht. Sie erklären, was ein Kanal tat, damit trendende Suchbegriffe wie „Nerf Blaster“ abwegigerweise auch zu einem seiner Videos führten. Oder nehmen sich „in langsam“ die EU-Urheberrechtsreform vor. „Der Hauptantrieb“, hat Fynn Kröger kürzlich in einem Interview gesagt, „ist immer noch Frustration.“ Aber die machen Schulte und er ziemlich fruchtbar.

Man kann zu alt für so was sein. Aber dass man die jungen Leute, die Youtube heute mit der gleichen Selbstverständlichkeit nutzen wie die Älteren seinerzeit Tele5, Viva und ihren ersten Atari, mit Zeitungstexten kriegt – das ist dann doch eine abwegige Vorstellung. Schon deshalb wird die Medienkritik von Ultralativ wirklich gebraucht. Soeben hat das Team, „die Stimme der Vernunft im Youtube-Wahnsinn“, einen Grimme Online Award gewonnen.

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