Wahnsinnsrock „Use Your Illusion I + II“ wird mit sehr viel Schnickschnack neu aufgelegt. Guns N’ Roses wirkten schon vor 30 Jahren komplett aus der Zeit gefallen, und doch kam man an ihnen nicht vorbei. Und heute?
Typ aus dem US-Nirgendwo nach Boutiquen-Shopping in Beverly Hills
Foto: Kevin Mazur/Wireimage/Getty Images
Lange nichts gehört von der besten saudummen Rockband der Welt. Vierzehn Jahre ist es her, dass Guns N’ Roses – oder das, was davon nach dem Ausstieg von zwei Dritteln der Bestbesetzung geblieben war – das letzte Album veröffentlicht hat. Es handelte sich um eine Art Aufbäumen von Sänger W. Axl Rose, der gerne noch einmal wie früher geklungen hätte. Aber den Verlust der anderen, vor allem der Gitarristen Izzy und Slash, konnte er nicht kompensieren, zumal auch die spektakulärsten Teile seiner Stimme offensichtlich ausgestiegen waren aus der Band. Und wenn sich die Kritiker damals, 2008, auch stritten, ob dieses Album namens Chinese Democracy komplette Grütze war oder doch halbwegs anhörbar: Unstrittig ist heute, dass das keine
s das keine Rolle mehr spielt. Oder hat irgendjemand einmal jemanden getroffen, der jemanden kennt, der einen Song daraus erkennen würde, wenn jemals einer im Radio liefe? Nein, wann immer jemand den Namen Guns N’ Roses sagt, meint er die Hardrockband von 1985 bis maximal 1993 und schweigt aus guten Gründen über alles, was bislang danach kam.Nun aber hat es die Band doch noch einmal geschafft, etwas zu veröffentlichen, das exakt so gut ist wie das opulente, energiegeladene, melodienreiche, zwischendurch ziemlich bauerntheaterhaft wirkende, alles in allem aber erstaunlich großartige Doppelalbum Use Your Illusion I + II von 1991, das den Ruf der sogenannten Gunners als schillerndste und vorübergehend größte Band der Welt begründet hatte. Es handelt sich bei dieser Veröffentlichung um: eine Neuauflage von Use Your Illusion I + II in verschiedenen Schnickschnack-Varianten, deren teuerste, eine 12-LP- und Blu-ray-Luxusedition mit viel Livematerial, knapp 500 Euro kostet. Wie man’s eben so macht als größenwahnsinnige, aber einst auch irre erfolgreiche Band.Die Frage ist nur, was diese Alben der Welt heute noch zu sagen haben. Solche Neuauflagen alter Werke zielen ja in erster Linie auf alte Fans, die mittlerweile Geld verdienen und es für etwas auszugeben bereit sind, das ihnen ihre Jugend zurückbringen soll. Manche dieser Fans werden die Plattenschuber sichtbar im Regal drapieren; und wenn alte Kumpels zum Geburtstag reinschneien, werden sie Sixpacks trinken und zuhören, wie Slash seine Gibson-Gitarre bearbeitet und wie Axl poetische Zeilen über das Wetter und die Liebe im November singt, bevor er schließlich den einen oder anderen „Motherfucker“ adressiert; und dann werden sie „So geil!“ sagen. Lebensweltlich betrachtet, ist diese Edition genau dafür vorgesehen. Und hey, wenn’s jemandem für zwei Stunden gute Laune macht – bitte schön. Aber Ähnliches könnte man auch über die Neuauflage eines Roy-Black-Albums sagen.Guns N’ Roses: Als hätte sie den Rock erfundenDer Beitrag von Guns N’ Roses zu den 90ern war seinerzeit doch etwas spezifischer. Die Veröffentlichung von Use Your Illusion I + II am 17. September 1991 fiel in eine Zeit des Umbruchs. Exakt eine Woche später erschienen die Alben Blood Sugar Sex Magik von den Red Hot Chili Peppers, Trompe Le Monde von den Pixies und, vor allem, Nevermind von Nirvana; allesamt Alben, die zum Kanon gehören würden, gäbe es einen. Genau wie die der Smashing Pumpkins, von Pearl Jam oder Soundgarden, die in diesem Wahnsinnsrockjahr 1991 herauskamen. All diese Bands wussten sehr gut, wie herum man E-Gitarren hält und wie man auf Schlagzeuge eindrischt. Aber sie waren im Plattenladen allesamt unter „Alternative“ oder „Indie“ einsortiert. Guns N’ Roses nicht.Während die Band Guns N’ Roses so tat, als hätte sie den Rock selber erfunden, verorteten sich die anderen, vor allem Nirvana, stärker in der Zeit. Die große melancholische Stilikone Kurt Cobain, der ein Allerweltsringelshirt trug, als er seine Gitarre zerdepperte, räumte mit seiner Band den ganzen nach Whiskey und Haarspray riechenden Gitarrengott- und Männerscheiß des Heavy Metal ab. Mit Cobains „teenage angst“ begannen die 90er; Nirvana wurde von einem poptheoretisch bewanderten, aber auch leicht snobistischen Indie-Publikum regelrecht geliebt. Guns N’ Roses wirkte im Vergleich wie eine Hardrockband alten Zuschnitts, ohne einen Überbau, der in die Zukunft wies. Nirvana war neu. Guns N’ Roses wollte lieber groß sein.Axl Rose, der esoterische Schlängeltänze tanzte, bevor er seine Stimmbänder Song für Song an den Starkstrom anschloss und wie aufgezogen über Bühnen zu rennen begann, zog sich an wie ein Typ aus dem amerikanischen Nirgendwo (der er auch ist), der in Beverly Hills in eine exklusive Boutiquenzeile geraten war und dort wahllos auf Klamotten gedeutet hatte: weiße Radlerhosen, Stars-and-Stripes-Zeug, Bandana-Tuch um den Kopf, violettes Leder, Holzfällerhemd, Zirkusdirektorenjacke. Und hörte man Slash eine Weile dabei zu, wie er in seinen zahlreichen Soloparts die Melodien verzierte, konnte man den Eindruck bekommen, er wolle nicht einfach nur ein besserer Gitarrist sein als alle, die vor ihm da gewesen waren. Nein, Slash spielte, als sei er der verdammte Mozart höchstpersönlich. Ein Kette rauchender, einen Zylinder auf dem Kopf tragender, Schlangen als Haustiere haltender Mozart. Um das Spektakel beispielhaft gebündelt zu sehen, muss man nur das (natürlich sauteure) Musikvideo zum (natürlich epischen) Song November Rain ansehen: die Geschichte eines (natürlich!) Mannes, gespielt von Axl, der auf die spießigste Hochzeitstorten-Art ein schon bald das Zeitliche segnendes Supermodel in Strapsen heiratet, während der bauchfreie Slash, in den Knien eingeknickt wie ein Wäscheständer, in der Wüste ein phallisches Solo darbietet. Da fehlten nur die Motorräder zum idealtypischen Rockerkram. Die gab es im selben Jahr dafür im Film Terminator 2, wo der junge John Connor zu den Klängen von Guns N’ Roses’ You Could Be Mine davonrast, dem Titelsong.Laut war die Band und glamourös und extravagant, und sie versprühte genug Energie, um alle Jugendzentren der Welt damit zu heizen. Aber sie war eben auch auf eine merkwürdige Art uninteressant. Wer sich für minderheiten- oder gegenkulturelle Dynamiken interessierte, fand bei Guns N’ Roses jedenfalls: nichts. Die Zeichen sprachen gegen sie.Peinlich? Niemals!Allerdings, und auch das gehört zur Geschichte, gab es auch Zeichen, die gegen diese Zeichen sprachen. Denn man kam ja trotz allem nicht um die Band herum, während man an Mötley Crüe, Bon Jovi oder den, ha!, Scorpions sehr wohl vorbeikam. Guns N’ Roses schillerte nicht nur, weil Axl Rose ein derartiger Spinner ist und so viele Schlagzeilen für die „yellow press“ produzierte. Das Schillern rührte vielmehr von einer Uneindeutigkeit, die man aus ihrem musikalischen Beritt nicht gewohnt war. Guns N’ Roses, so formulierte es der Reporter John Jeremiah Sullivan, war „die letzte große Rockband, die es nicht irgendwie auch ein bisschen peinlich fand, eine Rockband zu sein“. Das stimmt. Es war nicht so, dass die Band deshalb auf dem alten humorlosen Rockscheiß hängengeblieben wäre, weil ihr die Ideen fehlten, während sich die Welt, von ihr unbemerkt, weiterdrehte. Es war vielmehr so, dass ihre besten Songs von einer Verspieltheit und Leichtigkeit durchzogen waren, die selbst das stiernackigste Brüllen inspiriert wirken ließen. Die wollten ihr Ding spielen.Hört man Use Your Illusion I + II heute wieder, hört man die beiden Alben tatsächlich noch einmal neu. Die Popmusik ist 30 Jahre weiter; auch an den alternativen Rockmodellen von damals sind die Jahre nicht spurlos vorbeigegangen: Die Zukunft, die seinerzeit – von anderen begründet – begann, ist vorüber. Was geblieben ist, sind Songs, und die können Bestand haben – oder eben nicht. Die Songs von Guns N’ Roses jedenfalls sind die einer Band, die damals unbeeindruckt das Victory-Zeichen machte und sagte: Scheiß’ drauf, jetzt wird gerockt, Mo’fuckers. Und hey, genau das hört man immer noch. Luftgitarrensolo!
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