Gute Zeiten für Abmahnanwälte

Kulturkommentar Die SPD will das Leistungsschutzrecht nicht. Mit guten Gründen, wie ein Blick auf Gewinner und Verlierer zeigt
Die klassische Variante des Goldschürfens
Die klassische Variante des Goldschürfens

Foto: Jay Directo / AFP / Getty Images

Einen Abmahnanwalt kann man sich vorstellen wie den Wiedergänger eines gefräßigen Mönchs im Mittelalter: Er lebt von den Sünden der vielen kleinen File-Uploader und Foto-Sharer; die schicken ihm als Ablassgabe, weil er qua Beruf eine Instanz ist, ihr Erspartes rüber. Das Problem mit der Abmahnerei ist, dass sie aus dem Ruder gelaufen ist: Es geht bei Urheberrechtsabmahnungen in vielen Fällen nicht um die Verhinderung künftiger Rechtsverstöße. Sondern darum, dass eine Batterie windiger Gold-schürfer in einer rechtlichen Grauzone das meiste für sich herausholen will. Dass Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im März bekräftigt hat, das Treiben eindämmen zu wollen, ist daher richtig. Vergangene Woche nun wurde der Entwurf des Justizministeriums für das von der Koalition beschlossene Leistungsschutzrecht für Internetinhalte von Verlagen öffentlich. Und wem nützt er vor allem? Der Abmahnindustrie.

Man braucht schon einen Tunnelblick, um das Leistungsschutzrecht nur als das zu verstehen, was die Befürworter darin sehen: das Recht von Verlagen, ihre Leistungen zu schützen, und etwa von News-Aggregatoren und Suchmaschinen Geld zu bekommen, wenn die kurze Auszüge aus Verlagstexten in ihren Linksammlungen nutzen. Es reicht viel weiter: Erstens erschweren Verlage, die das Recht anwenden, ihren potenziellen Kunden selbst den Zugang zu ihren Presseerzeugnissen, wenn sie deren Verbreitung infrage stellen; das ist kurzsichtig, aber bitte sehr. Zweitens jedoch wird das Prinzip der Informationsweitergabe im Netz zugunsten einer Interessengruppe dekonstruiert: Das Prinzip also, Inhalte zu verlinken, zu teilen, zu sammeln und auf Quellen direkt zu verweisen. Man darf nach dem Gesetzentwurf zwar weiter aus fremden Texten zitieren (also: eine Passage mit Quelle in ein eigenes Werk einbetten) und verlinken. Neu wäre aber etwa, dass „bereits kleine Teile des Presseerzeugnisses“ unter Schutz stünden, also auch sehr kurze Textauszüge und sogar Überschriften: Wer sie „gewerblich“ nutzt, bräuchte eine Lizenz.

Rechtsunsicherheit als Geschäftsmodell

Die Gefahr, dass dadurch die alltägliche Internetpublizistik eingeschränkt würde, haben selbst Fürsprecher des Leistungsschutzrechts erkannt. Ein Verlagslobbyist twitterte am Sonntag: „Tweets mit Überschriften + Links fallen nicht unter #Leistungsschutzrecht. Sind laut Gesetzentwurf nicht gewerblich. Gut so.“ Das stimmt nur nicht, genau das steht nämlich nicht im Entwurf. Als gewerblich gilt vielmehr „jede Nutzung, die mittelbar oder unmittelbar der Erzielung von Einnahmen dient sowie jede Nutzung, die in Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit steht“. Jeder, der einen Flattr-Button auf einem Blog hat, publiziert unter Umständen auch bei Twitter mittelbar gewerblich. Das Leistungsschutzrecht könnte jede Netzschau, jede kuratierte Linksammlung, viele Status-Updates bei Facebook und eine Menge Tweets betreffen.

Der Entwurf wirkt beinahe wie der Versuch der bislang in Netzfragen eher klug operierenden Justizministerin, ein von ihr selbst kritisch betrachtetes, aber leider beschlossenes Koalitionsvorhaben durch die Hintertür zu kippen. Käme das Leistungsschutzrecht, könnten die Abmahnanwälte neue Standardschreiben aufsetzen. Es würde neue Geschäftsmodelle für Leute ermöglichen, die von Rechtsunsicherheit leben. Alle anderen haben in Wahrheit kein Interesse daran, dass es Realität wird. Das scheinen nur nicht alle zu wissen.

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