Überwachung Gesche Joost ist die Netzexpertin in Peer Steinbrücks Kompetenzteam. Sie fordert eine neue Datenpolitik und setzt sich für Bürgerrechte ein – aber nicht so richtig
Für 15 Minuten ist es, als sei nichts passiert, kein Prism, kein Tempora, keine Überwachungsdebatte. Gesche Joost führt erst einmal vor, womit sie sich Tag für Tag beschäftigt. Joost, die für die SPD im Wahlkampf steckt, zeigt einem eine Strickweste mit Achtzigerjahre-Muster.
Joost, 1974 geboren, ist die netzpolitische Expertin in Peer Steinbrücks Kompetenzteam für die Bundestagswahl; sie gehört schon seit 2006 zu seinem Beraterkreis. Nebenbei oder hauptsächlich aber, das ist Auslegungssache, ist sie Professorin an der Berliner Universität der Künste, ihr Fachgebiet ist die Designforschung.
Das Muster der Weste findet sie selbst lustig, aber es ist auch nur ein Testobjekt; ein Kleidungsstück für Leute mit erhöhtem Sch
erhöhtem Schlaganfallrisiko. In die Jacke ist ein Chip eingenäht, zu dem silberummanteltes Garn Impulse leitet. Greift man sich in einer Notfallsituation an eine interaktive Stelle auf der rechten Brustseite, schließt sich der Kreislauf, und das Handy baut eine Verbindung auf, etwa zum Arzt.Es ist ein hübscher Zaubertrick: Man kommt zu Gesche Joost, um in Zeiten der digitalen Spähaffäre über politische Fragen zu reden, die zu immer neuen Fragen führen, die anschließend zu weiteren Fragen führen, welche am Ende dann niemand so recht beantworten kann, der nicht gerade Experte für alle Fragen ist, die die Welt betreffen. Und sie führt einem dann erst einmal vor, dass es heutzutage einfache und praktische digitale Lösungen für beinahe jedes Problem gibt. Gut, manche Geräte werden eher anspruchsvoller – wie der Kaffeeautomat im Aufenthaltsraum ihres Instituts, der alle um sich herum zum Sisyphos macht, indem er ständig Anforderungen stellt: Bitte reinigen, Schale entleeren, Wasser ist alle, ich brauche Pulver. Irgendwas ist immer. Aber man kommt damit klar.Joost erfüllt ihm alle seine Wünsche, macht Kaffee und beginnt dann eine kleine Führung: Sie zeigt eine Touchpad-Anwendung, die Demenzkranken hilft, sich zu merken, ob sie schon ihre Zähne geputzt haben. Oder einen Handschuh für Taubblinde, die damit ihre Kommunikation in gesprochene Sprache umwandeln können. Oder die besagte Weste. Und man weiß dann wieder, was dieser Tage ein wenig in den Hintergrund gerät: dass das mit dem technischen Fortschritt nur schlecht auch wieder nicht ist.Das Magazin Neon hat Joost 2006 unter die „100 wichtigsten jungen Deutschen“ aufgenommen; sie stand auf Platz 55, zwischen Epigenetikern, Solarzellenforschern und Virologen. „Ihre Arbeit trägt dazu bei, dass irgendwann Bedienungshandbücher überflüssig werden – weil die Technik dann intuitiv zu verstehen sein wird“, lobte das Magazin. Von Politik war noch keine Rede.Kein „Supergrundrecht“Aber die Fragen zur Politik kommen nach der kleinen Einführung in ihr Berufsleben dann doch noch dran. Zumal sie direkt anschlussfähig sind. Die Frage, zum Beispiel, wie frei oder unfrei, wie sicher oder unsicher eine Gesellschaft ist, in der Geheimdienste jedes Fitzelchen digitaler unverschlüsselter Kommunikation zur Kenntnis nehmen können – die kann man auch an der Strickweste durchdeklinieren. Sie macht ihren Träger medizinisch sicherer und damit freier, aber, weil man ihn damit womöglich orten kann, auch unfreier.Und so geht das immer, wenn man versucht, zwischen Freiheit und Sicherheit abzuwägen.Man kann am Ende sagen, dass man zwei unterschiedliche Eindrücke bekommt, wenn man im Sommer 2013 Gesche Joost trifft. Erstens: dass es gute simple Lösungen gibt; da spricht dann die Forscherin. Zweitens, da spricht dann die Politikerin, dass das vielleicht doch nicht ganz stimmt. Was wahrscheinlich weniger über sie aussagt als darüber, dass die Politik ein anspruchsvoller Kaffeeautomat wie der in der Institutsküche ist – nur dass er so groß wie ein Hochhaus ist. Ständig ist irgendwo ein neues Problem.Durch die Spähaffäre laviert sich die Politik bislang hindurch. Konkrete Lösungen, wie es sie in ihrem Labor gibt, hat auch Joost nicht. „Was ich bisher nicht erkenne, ist eine Strategie der Datenpolitik“, sagt sie und spricht von einem Dreischritt in der Entwicklung einer solchen: Erst müsse es eine Strategie auf nationaler Ebene geben, dann auf EU-, schließlich auf völkerrechtlicher Ebene. Und noch bevor man fragen kann, wie diese Strategie denn auf nationaler Ebene aussehen sollte, sagt sie: „Kritiker sagen, das wird doch nie was auf UN-Ebene. Aber wir müssen mit ersten Schritten beginnen: mit einer Ombudsperson zum Beispiel, an die ich mich wenden kann, wenn meine Daten missbraucht werden. Und mit einem Code of conduct“, also einem Verhaltenskodex. Klingt abwegig? Falsches Wort, es klingt wahnsinnig schwer zu erreichen.Die Lösungen werden nur leider nicht besser dadurch, dass man es sich einfach macht. Da sind wir dann bei der Frage, wie das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit aussehen könnte. Einfach wäre, die Abschaffung aller Geheimdienste weltweit zu fordern. Demonstrativ als Politiker sein Facebook-Profil zu löschen und das als Strategie auszugeben. Einfach ist auch, was Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich tat. Er sprach in der Debatte darüber, was Geheimdienste dürfen, von einem „Supergrundrecht“ auf Sicherheit, hinter dem demnach die weniger superen Grundrechte zurückstehen müssten.Sascha Lobo, zum Beispiel, der sich als linksliberal beschreibt, ist anschließend an die Decke gegangen. Niemand hat sich derart wortreich über Friedrichs undemokratische Hierarchisierung der Grundrechte aufgeregt wie Lobo in einer Spiegel Online-Kolumne.Wenn man ihn fragt, wie es sich tatsächlich verhält mit Freiheit und Sicherheit, sagt er: „Sicherheit ist auch ein Gefühl der Bürger“, nicht nur ein Bündel von politischen Maßnahmen. Und seit nicht nur jeder Geheimdienstkenner weiß, dass es Spionageprogramme wie Tempora, Prism und wie sie alle heißen gibt, sei „dieses Gefühl abhandengekommen“.Lachen über SchilyDas ist das Komische an Freiheit und Sicherheit: Nimmt man Freiheit weg, bekommt man nicht automatisch Sicherheit, sondern wenn es dumm läuft, auch noch Unsicherheit.Sandro Gaycken, ein Experte für Cybersicherheit von der Freien Universität Berlin, sieht das ähnlich. Er lehrt Sicherheits- und Technikforschung sowie Informatik und berät einige Bundesministerien, auch das Innenministerium, in IT-Fragen. Er sagt: „Ein Mangel an Freiheit ist immer auch ein Sicherheitsproblem, weil die Leute dazu neigen, sich ihre Freiheit dann wiederzuholen.“ Zudem sei es schlicht „undemokratisch, der Bevölkerung was vorzuschreiben“, zum Beispiel in der Frage, ob sie nun ihre Sicherheit oder ihre Freiheit cooler zu finden hat.Er habe „der Bundesregierung strategisch empfohlen“, nicht auf einen „aktiven Sicherheitsschutz wie in den USA“ zu setzen, „mit dem Ziel, zukünftige Angreifer abzuschrecken.“ Seiner Meinung nach sei die Komplettüberwachung weder zielführend noch effizient und kompromittiere außerdem die Bürgerrechte.Und auch Gesche Joost weist das Friedrich-Zitat als „Unsinn“ zurück. Sie sitzt am Tisch im Aufenthaltsraum ihres Instituts, nah am Fenster, weil der Handyempfang für den sehr freundlichen SPD-Pressesprecher da gut ist, und sagt: „Symbolisch bedeutet Prism die Komplettausspähung aller Daten, aber nur symbolisch, nicht technologisch.“ Technologisch lägen die Fakten noch nicht auf dem Tisch. „Es wird die Gleichung aufgemacht, komplette Überwachung heißt komplette Sicherheit. Diese Gleichung geht aber nicht auf.“Die Frage ist, geht irgendeine Gleichung auf? Keine Überwachung heißt komplette Freiheit? Auch nicht, sagt Joost sinngemäß – weil keine Überwachung (im Sinn von: keine Datenerhebung) nicht realistisch sei, sofern man nicht, wie Sandro Gaycken empfiehlt, „von traditioneller IT“ wegkommt und „eine ganz andere Architektur“ schafft, die Computer sicherer macht. Auf der einen Seite träten Innenpolitiker für immer neue Sicherheitsmaßnahmen ein, auf der anderen Seite, so Joost, seien jene, die ein komplett freies Internet befürworten. „Das ist mir sympathisch, aber wird nicht funktionieren.“ Viele Geschäftsmodelle beruhten auf der Währung Daten, also müsse man über Big Data diskutieren. „Das freie Internet wird nicht mehr so offen ohne Rahmenbedingungen gelebt werden können“, sagt sie.Das Zitat vermittelt einen leisen Eindruck von der Wackeldackelhaftigkeit, die die SPD mit schöner Regelmäßigkeit befällt, wenn es um klare netzpolitische Ansagen geht: Vorratsdatenspeicherung, Leistungsschutzrecht – da sagen die Sozialdemokraten auch mal ja und nein zugleich und stimmen dann zu, während sie noch ihre Ablehnung formulieren. Sascha Lobo, ein manchmal verzweifelter SPD-Sympathisant, hat ihnen kürzlich ihre heuchlerische Haltung zur Vorratsdatenspeicherung vorgehalten, die auch Joost nicht klar ablehnt – auch die sei ein Instrument der „verdachtslosen Überwachung“, wie Prism, gegen das man sich so errege.Überhaupt könnte man sich beim Einsatz für Bürgerrechte vorstellen, dass die Partei entschlossener aus dem Quark kommt; Lobo sagt, er hätte sich gewünscht, dass die Partei die Chance ergreife, „sich als sozialliberale Partei herauszustellen“. Stattdessen gibt der ehemalige Innenminister Otto Schily im Spiegel den Rat, mit dem Thema keinen Wahlkampf zu machen, und sagt: „Law and Order sind sozialdemokratische Werte.“ Spricht man Gesche Joost darauf an, reagiert sie mit einem deutlichen Satz, den man so nicht zitieren darf, aber höhnisches Lachen muss man ja nicht autorisieren lassen. Was man zitieren kann, ist dies: „Datenschutz ist Bürgerrecht. ‚Law and Order‘ zum Schutz dieses Bürgerrechts unterstütze ich.“Während es also nicht allen vergönnt ist, klar zu wissen, wo die SPD in manchen Fragen steht, verortet Joost sie und sich selbst im sozialliberalen Bereich. „Ich habe in den frühen Neunzigern diese großartige Vision vom Internet als neuen Raum der Freiheit kennengelernt“, sagt sie, als Raum, der Partizipation und Offenheit ermögliche. „Nach dem 11. September 2001 ist das Pendel zu weit auf die Sicherheitsseite ausgeschlagen. Ich sehe die SPD als Partei, mit der das Pendel zurück zur Freiheit schwingt.“Sie malt dann mit schnellen Strichen eine Skizze auf ein Blatt Papier. Als Symbol für Sicherheit wählt sie das Schloss, als Symbol für Freiheit – sie zögert. Die Wolke? Sieht das nicht zu sehr aus wie eine Cloud, in der man seine Daten ablegen kann, die dann wieder für irgendwelche Zwecke missbraucht werden können? In ihrem Institut hat man gerade darüber gesprochen, die Cloud von Amazon, die Dropbox, nicht mehr zu nutzen. Kurzentschlossen malt sie doch eine Wolke und deutet an, dass es sich dabei aber nicht um eine Cloud handle. Es ist wirklich kompliziert mit der Freiheit.
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