Ab durch die Vordertür

Alltagskommentar Wesentlich für das Gelingen eines Herrenwitzes ist, dass er nicht zu vertrackt ist. Und: Bloß keine Ironie! Sonst läuft er nämlich Gefahr, zum Herrenwitzwitz zu werden

Man hat mich gebeten, über den Herrenwitz zu schreiben. Da ich mich gern auf mir unbekanntes Terrain begebe, habe ich zugesagt. Es handelt sich, wie ich herausgefunden habe, beim Herrenwitz um ein aus zwei Komponenten zusammengesetztes Hauptwort: Herren und Witz. Ein Witz ist ein in der Regel kurzer Text, der häufig mit einem überraschenden Effekt endet. Ein Beispiel: „Kommt ein Schwein rein und sagt“ – jetzt kommt der Effekt – „muh.“

Der Herrenwitz als Sonderform des Witzes ist nicht, wie der Name zu suggerieren scheint, als Witz eines Herrn zu verstehen; dann wäre jeder von einem Herrn gemachte Witz ein Herrenwitz. Es handelt sich vielmehr um einen Witz von und für Herren. Er erfordert daher ein präzises Verständnis der sozialen Rolle des Herren in Abgrenzung zu Nicht-Herren wie Ärztinnen, Blondinen, Hausdrachen, Schwiegermüttern und Schwulen. Der Herr ist ein die Freuden des Körperkontakts schätzendes Mitglied der Gesellschaft, das deren Undurchlässigkeiten erträgt, verteidigt, nicht kennt oder sich nicht von ihnen betroffen fühlt.

Schön auf der ersten Ebene bleiben

Wesentlich für das Gelingen eines Herrenwitzes ist, dass er nicht zu vertrackt ist. Eine Blondine ist in einem Herrenwitz immer das Mitglied einer homogenen Menschengruppe, das, wenn es morgens betrunken unter einer Kuh aufwacht, sagt: „Und wer von euch vier fährt mich jetzt nach Hause?“ Es geht also um die klare, unverblümte Wiedergabe von Beobachtungen, die nie jemand gemacht hat.

Und besonders wichtig: Keine Ironie! Sonst läuft der Herrenwitz Gefahr, ein Herrenwitzwitz zu werden, also ein Witz über den Witz, wie die in Harald Schmidts Show rezitierten „Klassiker des Herrenwitzes“. Ein guter Herrenwitz macht sich aber nicht auf der zweiten Ebene über etwas lustig. Er kommt mit Anlauf durch die Vordertür, setzt sich an den Tresen und macht dem Busen der Barfrau schöne Augen.

Das Doppelbödige am Herrenwitz ist, dass er von unüberwindbaren biologischen Unterschieden handelt, diese aber selbst infrage stellt. Der Herrenwitz tut nämlich so, als handle er von der Natur der Blondine. In Wahrheit aber handelt er von der Kultur der Männer. Kultur kann man lernen. Auch Frauen können daher unter bestimmten Umständen (masochistische Grundveranlagung; vollzogene Komplettanpassung an die Kultur eines männlich dominierten Aufsichtsrats; vorherrschender Wunsch, sich von anderen Frauen abzugrenzen) glaubhaft einen Herrenwitz erzählen, sofern sie Herren im Geiste sind.

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