Ohne Pflanze simuliert Merkel ein Interview

Medien Die Kanzlerin beantwortet Fragen von Parteifreunden. Ist das Journalismus – oder kann das weg?
Ausgabe 43/2019

Heiko Maas, der Außenminister von der SPD, hat kürzlich eine Tasse Kaffee getrunken. Ein solches Ereignis ließ sich das Auswärtige Amt natürlich nicht entgehen. Es twitterte ein Foto und schrieb, so ein Käffchen könne „eine Insel der Ruhe zwischen Terminen“ sein. Kann die Union da nachstehen? Kann sie nicht. Die SPD-Leute geben sich zwar alle Mühe; sie verteilen die Hashtags mit der Gießkanne über ihre Tweets. Aber die Union blondiert dem Nachwuchs von der Jungen Union sogar die Haare, bevor sie ihn auf Youtube hochlädt. Es ist schwer zu sagen, wer im Kampf um den albernsten Selbstdarstellungsbeitrag die Nase vorne hat.

Dieser Tage hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nun auf ihrem Youtube-Kanal ein 16-minütiges Interview mit der Bundeskanzlerin veröffentlicht, in dem sie über die Einheit und persönliche Erfahrungen in den Wendejahren spricht. Der Interviewer – oder wer wie einer aussah – war Ralph Brinkhaus, der Fraktionsvorsitzende. Man hatte sich auf schwarzen Sesseln vor einer gewaltigen Bücherwand drapiert. Nur die Topfpflanze fehlte.

Man sollte diese unterwürfige Journalismus-Simulation vielleicht einfach als das nehmen, was sie ist: Transparenz-Blendwerk. Alle sind zwar immer sehr medienlustig, aber keiner sagt etwas. Man kennt das von Fußballvereinen, die ihre Spieler selbst für ihre Vereinssender interviewen, oder von Konzernen, die Kritik mit Selbstironie kontern, um Empörung in Herzchen zu verwandeln.

Möglicherweise ist mit dem Brinkhaus-Interview mit Merkel aber doch eine neue Simulationsstufe erreicht. Mal abgesehen davon, dass man sich freuen würde, wenn die Kanzlerin öfter auch mal unverlangt 16 Minuten lang ihre Regierungspolitik erklären würde, hätte sie so viele andere Bühnen. Sie kann eine Rede halten, einen Gastbeitrag schreiben, ein tatsächliches Interview geben, ihren Podcast vollreden, in dem sie mit kritischen Nachfragen nicht behelligt wird. Aber nein, das Format des Interviews muss es jetzt sein. Sie wildert im Beritt von Journalisten.

Auch solche Praktiken sind zwar keine neue Erfindung. Die SPD hat in den 1970ern im Wahlkampf die Zeitung am Sonntag verteilt, um politische Themen in ihrem Sinn zu verhandeln. Und Franz Josef Strauß drückte seine Senftuben am liebsten im Bayernkurier aus, der Parteizeitung der CSU, die in ihrer gedruckten Form nun eingestellt wird. Nun leben wir aber heute in einer Mediengegenwart, in der man US-Präsident werden kann, wenn man die Journalisten aus dem Spiel nimmt. Die medialen Angebote sind unüberschaubar. Und Parteien und Fraktionen sind derzeit dabei, eigene sogenannte Newsrooms – auch so ein Journalistenkonzept – einzurichten. Zunächst einmal, damit die AfD, die ihre Anhängerschaft etwa bei Facebook umfassend bedient, auf dem Feld nicht davonzieht. Wenn man aber schon dabei ist, kann man ja mal schauen, wie weit man kommt.

Wenn also nun selbst die Kanzlerin lieber Parteifreunden Interviews gibt, liegt die Vermutung nahe, Journalisten sollen in der politischen Kommunikation umgangen werde. Zumindest drohen sich die Prioritäten der Politik zu verschieben, vom Journalismus weiter hin zur PR. Die CDU-Vorsitzende, Annegret Kramp-Karrenbauer, hat im März einmal eine Veranstaltung gelobt, bei der keine Journalisten willkommen waren; es gab nur einen von der Partei selbst produzierten Livestream. „Wir waren Herr über die Bilder, wir haben die Nachrichten selbst produziert – in diese Richtung wird es weitergehen, das ist moderne politische Kommunikation“, sagte sie damals.

Wenn sich die Parteien nicht so blöd anstellen würden, müsste man sich vielleicht Sorgen machen.

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