Paolo Sorrentinos Film La Grande Bellezza beginnt mit einer Täuschung: mit einer moralisch anmutenden Zweiteilung der Welt in a) die stille christliche Andacht – es ist Tag, alles Laute schläft jetzt, und im Glockenturm steht ein Chor, dessen Gesang den Rhythmus der Bilder vorgibt – und dann direkt im Anschluss b) eine ins Ekstatische kippende Party. Man sieht Leiber, die sich zu lauter, stampfender Balzmusik verausgaben, und an diversen Fronten, die man bei all den aufgetakelten Herausstechern schnell nicht mehr überblickt, geht es um den Austausch von Körperflüssigkeiten, wobei nur die Hauptfigur, der galante Jep Gambardella, ohne jede Anstrengung zum Zug kommt.
Das sind zwei auch in der Länge musikvideoartige, aber ganz unterschiedliche Szenen, und so plump die Gegenüberstellung zwischen Heiligem und Profanem zunächst wirkt, so hübsch ist die Idee im Rückblick: Regisseur Sorrentino zieht damit zwar tatsächlich das Koordinatensystem seines Films auf; der aber ist, anders als man zunächst glauben mag, keineswegs moralisch. Wir sehen vielmehr zwei Szenen, die das Gleiche zeigen: einen Teil des Lebens, dem man mit Sachlichkeit nicht beikommt. Wir sehen Glauben und Bunga-Bunga als Zeitgenossen, wir sehen Gott und Mensch auf Augenhöhe. Wir sehen Rom.
La Grande Bellezza ist also nicht nur wegen der auftretenden Klosterschwestern und des überzeichneten Kardinals ein katholischer Film. Weil das aber für alle, die mit kulturkatholischen Filmen nichts anfangen können, vielleicht abtörnend klingt, kann man auch sagen: Es ist ein Film über das Feuilleton. Die Bewunderung der Keuschheit, die Umarmung der Zügellosigkeit; ein Bekenntnis zum Zauber des Irrationalen, das aber ganz vernünftig hergeleitet wird; ein Lob der Aufklärung und ein Ausloten ihrer Grenzen; der moderne Mensch und die Frage, ob er modern sein kann – all das steckt in La Grande Bellezza, der damit seinem Gegenstand, der Großen Schönheit, nicht nur deshalb gerecht wird, weil das Kolosseum im Bild herumsteht und sich die am Älterwerden leidende Hauptfigur mit schönen Frauen umgibt.
Es ist ein Film, in dem das ganze Leben als Suche nach der Schönheit erscheint, was immer das sein mag. Und auch wenn einem die Komplettästhetisierung der Welt, die auch affirmativ eingesetzt wird, irgendwann ein wenig auf die Nerven gehen kann, muss man zugestehen, dass der Film große Ambitionen hat und daran nie scheitert; er ist ein Gesamtkunstwerk.
Die Welt ist eine Lüge
Im Mittelpunkt steht der für ein Magazin arbeitende Schriftsteller Jep Gambardella (Toni Servillo), der sich seit 40 Jahren weigert, seinen zweiten Roman zu schreiben. Gambardella ist ein stilgewandter, rhetorisch versierter Lebemann, der es, auch dank seines einzigen, aber bekannten Romans Apparat Mensch, geschafft hat, der „König der mondänen Welt“ zu werden, der die Macht hat, jede Party zu sprengen.
In einer Szene beklagt eine Freundin in der gewohnten Abendrunde, wie unnütz alle um sie herum seien, während sie engagierte Romane geschrieben habe und sich um vier Kinder kümmere. Jep dekliniert daraufhin vor versammelter Mannschaft ihre Lebenslügen durch. Er weiß, dass die Welt eine Lüge ist und ihre Bewohner beschränkt, aber er akzeptiert das nicht – er handelt, allerdings nur insofern, als er sich auf die Verhandlung von Nichtigkeiten verlegt. Aufwändige Recherchen geht er schon aus Faulheit nicht an. Die Welt, wie er sie versteht, ist das Nichts, das von Momenten der Schönheit ummantelt ist. Jep könnte ein konservatives Zeitungsfeuilleton leiten. Er ist klug, aber glaubt nicht an das Engagement; er setzt Stil über alles, aber wird ihn nie erklären. Jep ist der Typus des lebenserfahrenen, gelangweilten Ästheten. Die Polonaisen auf seinen Partys hält er etwa deshalb für die besten Polonaisen, weil sie verlässlich nirgendwohin führen.
Als dieser Jep nun 65 wird, bleiben die Orgien, aber seine Lust daran schwindet, und er beschließt, nichts mehr zu tun, was ihm nicht gefällt. Während der Menschheit um ihn herum alles „auf den Sack geht“ – immer wieder das gleiche Zitat wird hier hübscherweise von verschiedenen Statisten im Vorbeigehen benutzt –, verlässt er seinen frischesten One-Night-Stand nun einfach, bevor sie ihm die Nacktfotos zeigen kann, die sie von sich gemacht hat. Überhaupt machen hier viele immerzu Fotos von sich selbst. In Federico Fellinis La Dolce Vita – Sorrentinos La Grande Bellezza ist als Hommage zu verstehen – ist es der Boulevardfotograf Paparazzo, der die Fotoarbeiten erledigt, aber das war halt auch 1960.
Ist die Welt eine Lüge?
Wenn man den Inhalt des Films in einer Redaktionskonferenz anreißt, gibt es sofort jemanden, der sagt: „Ach ja, und dann hat er sicher eine junge Geliebte.“ Und das stimmt dann auch noch so halb. Aber die Kritik, es sei alles so erwartbar, geht ins Leere. La Grande Bellezza ist keine Komödie mit Steve Martin, der seine Frau verlässt, um in Jennifer Aniston seine Jugend wiederzufinden. Bei der jüngeren Frau, die in Jeps Leben eintritt, handelt es sich um eine 42-jährige Stripperin, Ramona, die das Geld, das sie für ihre Auftritte bekommt, in ihren Körper investiert, um weiter strippen zu können. Nicht die schnelle Ablenkung, nicht Gequatsche und Gevögel findet er bei ihr – das hat er schon. Sie stößt ihn eher auf die Existenz des Wahrhaftigen. In einem von den Eltern abgerichteten Mädchen, das für seine Kunstperformances berühmt ist, sieht er etwa die künftige Millionärin. Sie sieht, dass das Kind unglücklich ist. Ramona, die auf einer Party in einem Kleid auftritt, mit dem man auch in einer Sauna nicht auffiele, ist so geerdet wie die meisten Leute, gegen die er keine Abneigung erkennen lässt, seine Haushälterin etwa. Bei ihnen lernt Jep, ein Mann, der fliegen kann, wie man geht.
Abgesehen davon, dass viele hübsche Szenen hier am Ende tatsächlich eine Geschichte ergeben, was man in den ersten zwei Stunden kaum für möglich hält, ist La Grande Bellezza vor allem ein Film der Momente. Das Autofenster des Kardinals schließt sich von vorne nach hinten, wie der Vorhang eines Beichtstuhls. Die Künstlerin, die nackt mit dem Kopf gegen die Wand rennt, was alle außer Jep zu Applaus hinreißt. Die Zwergin, die als Einzige noch weiß, wie man sich als Kind fühlt, und im Büro provinzielle Gerichte auf einem Campingkocher zubereitet, die Jep am liebsten isst. So geht das im Drei-Minuten-Takt.
Man kann sich Regisseur und Drehbuchautor Paolo Sorrentino womöglich als Mann vorstellen, der immer ein Notizbuch dabei hat, aber wartet, bis er eine Figur wie Jep Gambardella gefunden hat, die alle zusammenhält. Eine, die nicht etwa Glamour enttarnt, wie 1960 wäre das denn? Sondern eine, die die Schönheit des Scheins neu zu entdecken versucht. Schön.
La Grande Bellezza läuft ab 25. Juli im Kino
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