Schlaaand?

Partynation Lena-Meyer Landrut als Chance: Vor ein paar Monaten gab es die Idee eines linken Patriotismus. Doch die Leichtigkeit ist in der Sarrazin-Diskussion verloren gegangen

September 2010. Eine Deutschlandfahne ist zu sehen. Ein paar hundert Leute sind zum Public Viewing gekommen, viele in einheitlicher, nicht undeutscher Montur: Multifunktionskleidung und Gürteltaschen. Vorm Reichstag hat sich eine lange Schlange gebildet, die Leute wollen von oben, von der Kuppel aus, auf Deutschland gucken.

Aber schwarz-rot-goldene Schminke? Lena Meyer-Landrut? Schland hurra? War da was? Die Stimmung ist lädiert in diesen Tagen. In den Medien geht es um Zuwanderungsgrenzen und Entfremdung von der Politik. Außerdem nieselt es. Wäre es nicht wieder einmal Zeit für ein wenig Hulahula in den Deutschlandfarben, Frau Kipping? Katja Kipping, Vize-Vorsitzende der Linken, sitzt in einem Arbeitsraum des Paul-Löbe-Hauses am Reichstag. „Ich trage gerne Farbkombinationen“, sagt sie, „es gibt so schöne, Türkis und Weinrot zum Beispiel. Aber Schwarz-Rot-Gelb ist nicht der Entwurf, den ich anziehen würde.“

Die Quizfrage, die immer aufpoppt, wenn ein emotionaler Bezug zu Deutschland herumwabert, lautet: Und wenn es doch so viele tun, wie deutsch ist das dann? „Der Party-Patriotismus, den wir erleben, wenn Weltmeisterschaft oder Eurovision Song Contest ist, zeigt erst einmal, dass sich die Symbole gelöst haben von einem starken Nationalismus“, sagt Robert Habeck, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im schleswig-holsteinischen Landtag. „Ich finde die Fahne nicht schön. Aber für mich hat sie sich komplett entkoppelt von einem politischen Inhalt.“

Es ist was dran: Wer noch in den Neunzigern vor dem Fernseher die Nationalhymne mitsang, stand schnell im Verdacht, nicht nur Autobahnen gut zu finden. Wer heute auf der Fan-Meile eine Fahne schwenkt, steht zwar im dringenden Verdacht, nicht antideutsch zu sein. Aber wie er sonst so drauf ist? Die Symbole bedeuten nichts Eindeutiges mehr. Wie sonst ist es zu erklären, dass gerade die extreme Rechte verwirrt ist, ob sie beim Fußball noch in Schwarz-Rot-Gold auflaufen darf, wenn einer wie Mesut Özil, dessen Eltern in der Türkei geboren sind, zu den wichtigsten Nationalspielern gehört?

Vom Deut befreit

Während der WM 2006 – solange die deutsche Mannschaft nicht gegen Italien verlor – fühlte es sich an, als sei Deutschland komplett vom Deut befreit. Deutschland war Schland, und für Schland zu sein, hieß, das deutsche Team anfeuern zu können, ohne all den Blutgrätschen-, Deutschland-über-alles- und preußischen Diszipliniertheits-Deut mitzufeiern.

Der ProSieben-Moderator Stefan Raab ist einer der Katalysatoren des Schland-Patrio­tismus. In seiner Sendung hatte er einmal Bilder von Fans gezeigt, die ihre „Deutschland“-Rufe so unsauber intonieren, dass es wie „Schland“ klingt. 2005 ließ seine Produktionsfirma sich dann „Schland“ als Wortmarke schützen. Was als Witz über das Fan-Unwesen begann, wurde zum Schlagwort für ein neues Fan-Wesen. Raab war seiner Zeit damit voraus. Niemand im deutschen Fernsehen versteht es wie er, die Bedürfnisse einer großen Zielgruppe im Herzen des Mainstreams zu erkennen und sie radikal zu bedienen. Raab hat erkannt, dass Leute, die sich Sport anschauen, nicht zwangsläufig was über Doping hören wollen. Sie wollen unterhalten werden und mit Identifikationsfiguren fiebern. Also setzte Raab Rennrodler in Woks. Und er hat auch erkannt, dass seine Fan-Basis sich unter Nation eine Partyzone vorstellen kann. Bevor er 2010 Lena Meyer-Landrut castete, präsentierte er der Presse sein Vorhaben auf dem Reichstagsdach. Party. Reichstag. Raab ist der Zeremonienmeister des euphorisierten Moments.

Was aber, wenn der Moment vorbei ist? Was ist eigentlich jetzt?

Robert Habeck von den Grünen hat 2010 ein Plädoyer für einen linken Patriotismus veröffentlicht – einen Patriotismus ohne Nation. „Ohne eine starke Idee von Gesellschaft, und das meine ich mit linkem Patriotismus, wird linke Politik nicht funktionieren“, sagt er. Und der Party-Patriotismus, mit dem sein linker Patriotismus freilich nicht verwechselt werden darf, sei „eine Chance. Er kann genutzt werden für eine nach vorne gerichtete Debatte über die Frage, ob es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, der größer ist als Fußball oder Lena“.

Idee der Öffnung

Er sagt aber auch: „Ich respektiere die Angst vieler Leute, die sagen: Das öffnet gefährliche Schranken.“ Katja Kipping gehört zu ihnen. „Was immer meine Skepsis bei dem Spaßding war“, sagt sie, „ist, dass es anschlussfähig ist für Antidemokratinnen und Antidemokraten.“ Bestätigung erfährt sie vom Sozialpsychologen Ulrich Wagner, der sich, teils mit dem Soziologen Wilhelm Heitmeyer, mit dem vermeintlich entspannten Patriotismus seit 2006 beschäftigt hat. Es sei denkbar, sagt er, dass man Nation offener definiere, so, wie Habeck es vorschlägt. „In Ländern, die sich über den Platz der Geburt definieren, wie die USA, geht das Wir-Gefühl nicht so stark mit Ablehnung einher wie in Deutschland, wo ja immer noch die Vorstellung vorherrscht, dass deutsch zu sein mit Blut und Genen zu tun hat.“ Er fürchte nur, dass „nationale Symbolik, auch wenn sie partyartig daherkommt“, dazu beitrage, „dass man alle anderen, die nicht zur Nation zu gehören scheinen, immer stärker ablehnt. Und im Moment sind das die Muslime.“

Einen Aspekt, den auch Habeck mit Schrecken beobachtet. Die gesellschaftliche Diskussion „kriegt durch Sarrazin einen ganz anderen Drive“, sagt er. „Der integrierende Schland-Patriotismus zeigt genau in eine andere Richtung als die Sarrazin-Debatte, die ideengeschichtlich ein Rückfall in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg ist.“ Robert Habeck, der eine Idee der Öffnung vertritt, sagt jetzt: „Ich hatte gehofft, dass wir weiter sind. Aber der Sommer ist vorbei.“

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