Schweinekapitalismus?

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Am Rand des boomenden Grenzgebiets von Berlin-Neukölln und Berlin-Kreuzberg, wo eine Karstadt-Filiale steht, sinkt erstmals seit längerer Zeit eine Miete: Nach monatelangen Verhandlungen hat Karstadt-Investor Nicolas Berggruen den Gläubigern des Karstadt-Vermieters Highstreet kürzlich abgerungen, dass die Mieten gesenkt werden. Daran hatte er, der Sohn des Berliner Kunstsammlers Heinz, seinen Einstieg geknüpft. Was das auf die Dauer bringt, wird man sehen, fürs Erste heißt das, dass 25.000 Jobs in 120 Karstadt-Filialen erhalten bleiben. "Wir sind gerettet", sagt die Verkäuferin an der Kasse im Keller, wenn man sie fragt, was denn nun sei. "Jedenfalls für heute."

Aus diesem Anlass eine kleine kritische Würdigung des Kaufhauses unter besonderer Berücksichtigung von Karstadt.

Groß ist immer schlecht

Große Kaufhäuser schaden den Kleinen, weil so viele bei den Großen einkaufen.

Groß ist nicht immer schlecht

Große Kaufhäuser nutzen den Kleinen, weil eine gewachsene Kaufhauskultur Gegenden belebt, die ohne ihre Karstadts trister wären. Die Berliner Karl-Marx-Straße etwa wurde 2005 vorübergehend ein solch trauriger Ort, als Hertie schloss. Für Metzger und Bäcker bedeutete das: weniger vorbei flanierendes Publikum und damit weniger Zufallskundschaft.

Ist das dieser Schweinekapitalismus?

Kürzlich ein neues Spielzeugschwein gebraucht. Weil: Das alte war verschwunden. Es gibt aber nicht ein Spielzeugschwein zu kaufen in Kaufhäusern. Es gibt nur das Komplettset mit vier Schweinen, Traktor, Anhänger, Bäuerin, Bauer und Schweinegehege für 29,95 Euro. Bisschen viel.

Sozialer Ort

Kaufhäuser sind nicht nur Fixerstuben für Kaufsüchtige. Es sind auch Treffpunkte: Wenn man zum Beispiel einen Berliner Journalisten treffen will, der Bücher und zahlreiche Artikel über den Neuköllner Blick auf die Welt geschrieben hat, empfiehlt es sich, die Raucherlounge im vierten Stock des Karstadts am Hermannplatz aufzusuchen. Er weiß schon, warum er da sitzt: weil alteingesessene Neuköllner Kaffee in Pötten und Apfelkuchen auf Tabletts dorthin balancieren, um einander und auch ihm zu erzählen, wie sich das Leben verändert hat.

Die, die nicht dort sitzen, sitzen im Kellergeschoss, bei "Zapfhahn". Bei "Zapfhahn" kostet der Mariacron 1,80 Euro und das Schultheiss 2,70 Euro. Immer was los dort. Es ist eine Eckkneipe zwischen Einkaufswagengarage und Kittelschürzenständern. Nur ein paar Meter weiter, in hellem Ambiente und zum Feinkosthandel gehörig, kostet der Grappa 2,00 Euro und das Schöfferhofer 2,50 Euro. Die Preise sind nicht schuld, dass dort weniger Durchgangsverkehr ist.

Das gilt nicht für den Karstadt-Premiumbereich. Bei KaDeWe im Westen Berlins etwa, auch zu Karstadt gehörig, trifft man sich in der Feinschmeckeretage und deutet auf das Tier im Aquarium, das gekillt werden soll. Bei KaDeWe heißt der Mariacron "Fish&Seafood", was nur die Anpassungsfähigkeit des Kaufhauses an seine soziale Umgebung belegt.

Nicht nur shoppen

Es gibt einen Grund, warum die deutsche Sprache voller englischer Lehnwörter ist: weil es im Restdeutschen für manche Begriffe keine Entsprechung gibt. Shoppen bedeutet, sich ein bisschen highty-tighty zu machen und sich unbezahlbaren Quatsch im Schaufenster anzuschauen. Einkaufen bedeutet, eine Einkaufsliste abzuarbeiten: Pesto aus dem Glas für wenn's mal wieder schnell gehen muss, Doppelkekse, Fünferpack Socken und an der Fisch-und-Gedöns-Theke ein Häppchen abstauben. Große Kaufhäuser erweitern das Shopping um die Möglichkeiten des Einkaufens und umgekehrt.

Getriebensein

Der Weg vom Tierhaus (wo es auch nur ein Meerschwein gibt, genau wie eine Morelia viridis, den Grünen Baumpython, meldepflichtig, 1200 Euro) zur Postfiliale führt vorbei an Büchern, Schreibwaren, einem Schlüsseldienst, Blumen Stylingzeug, Jogi Löws Nivea-Werbegesicht, an der Filiale eines Telekommunikationsunternehmens, an Brillengestellen (zwei kaufen, eines bezahlen), einer Apotheke, Koffern, Goldschmuck, Silberschmuck, Diamantschmuck und einem Typen vorbei geschleust, der fragt: "Der Herr, auch kostenlos die Brille sauber machen? Fernseher auch kein Problem, zwei, drei Spritzer drauf, einfach abwischen." Die engen Schleusen, die zwischen die Waren geschlagen werden, verhindern, dass sich ein Gefühl des Bummelns einstellen kann, ein Gefühl des Sich-Treiben-Lassens. Kaufhaus verursacht ein Gefühl des Getriebenseins.

Wetter

Wer sich in einem Kaufhaus aufhält, wird bei Regen nicht nass.

Abkürzung

Der kürzeste Weg, am Berliner Hermannplatz vom Matratzengeschäft zum sehr beliebten vietnamesischen Restaurant zu gelangen, führt durch das Kaufhaus, vorbei an Büchern, Jogi Löws Nivea-Werbegesicht, an Brillengestellen, Schmuck und der Postfiliale. Nicolas Berggruen hat diese Abkürzung gesichert. Dafür herzlichen Dank.

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