Wenn Fußballvereine Dinge wären, wäre Hertha BSC Berlin wohl aus Plastik. Hertha ist der Verein, der in Berlin, einer an Fußballklubs reichen, an erfolgreichen Klubs aber armen Stadt, über Jahre der beste war. Bis der Verein erst beinahe Meister wurde und im Jahr darauf abstieg, war dennoch alles, was man über ihn sagen konnte, dreierlei: Ein Bär dient als Maskottchen. Man kann sich das Vereinslogo auf eine EC-Karte drucken lassen. Und Herthas Aufstieg vollzog sich etwa zeitgleich zur Regierungssitzwerdung Berlins. Hertha erreichte die Champions-League in jenem Jahr, in dem die Regierung nach Berlin zog, und so verkörpert der Klub quasi die Entwicklung der Stadt vom Zentrum der Nischen zum Vorzeigeprojekt.
Wenn sich am Wochenende die zwei Berliner Vereine 1. FC Union und Hertha BSC in der zweiten Bundesliga gegenüberstehen, treffen damit sehr verschiedene Entwürfe aufeinander. Für Union bauten die Fans das kleine Stadion um, Union ist das, was in England People’s club heißt. Hertha ist das nicht. Hertha ist Klassik-Open-Air mit André Rieu. Union gegen Hertha ist deshalb auch ein beispielhaftes Stadtderby.
Ein echtes Derbywochenende
Nicht nur in Berlin steht am Wochenende ein Derby an: Die TSG 1899 Hoffenheim, der von einem Milliardär gesponserte Verein ohne Geschichte, dessen Trainer wunderbar modernen Fußball spielen lässt, trifft auf den geographisch nahen 1. FC Kaiserslautern, einen Verein, der eine lange Geschichte, aber gerade kein Geld hat. In Gelsenkirchen spielt der FC Schalke 04 gegen den alten Revierrivalen Borussia Dortmund. Vor allem aber findet in Hamburg das erste innerstädtische Erstligaduell seit dem Abstieg des TSV 1860 München statt: Der linke Stadtteilklub FC St. Pauli, der sich mit Totenköpfen schmückt, trifft auf den von großen Ambitionen, gewagten wirtschaftlichen Entwürfen und Streitereien geschüttelten Hamburger Sport-Verein. Mehr regionale Aufladung an einem Spieltag geht kaum.
Die Frage ist: Kann man daraus etwas ablesen? Und zunächst einmal kann man das nicht. Der FC St. Pauli ist nicht aufgrund höherer Gewalt auf- und Hertha BSC nicht deswegen abgestiegen. Aber dass so nun zufälligerweise die ersten innerstädtischen Derbys seit 2004 zustande kommen, ist dennoch zeitgemäß.
Wenn in den vergangenen Jahren von der Globalisierung des Fußballs die Rede war, begünstigt durch den nach oben getriebenen Stellenwert des internationalen Champions-League-Wettbewerbs und den Versuch, bei Weltmeisterschaften einheitliche Fanfeste zu veranstalten, so wurde dabei übersehen, dass das Leben immer noch vor der Haustür beginnt. Das Woche für Woche vollzogene Ritual des Fanseins findet seine Höhepunkte in Wirklichkeit nicht in Mailand oder Madrid, wie uns der Fußballbetrieb gerne glauben macht, sondern im Lokalderby.
Derbys werden nicht nur wegen drei Tabellenpunkten gespielt, sondern auch, um Teil des sogenannten Mythos zu werden und eines Tages in einer Rückschau der Sportschau geadelt zu werden. „Mir ist es egal, wann wir Hertha schlagen“, kündigte der Trainer des 1. FC Union schon vor einer Weile großspurig an. In Hamburg herrscht erhöhte Sicherheitsstufe. Und Schalke hat für das Spiel gegen Dortmund einen Topspielzuschlag auf die Eintrittskarten erhoben, obwohl, tabellarisch betrachtet, lediglich der Siebzehnte gegen den Sechsten spielt. Dortmunds Fans protestieren gegen die überhöhten Preise mit der Aktion „Kein Zwanni für ’nen Steher“. Aber man sieht: Topspielzuschlag wird nicht zwangsläufig nur für Topsport erhoben, sondern vor allem für Topemotionen. Und nichts ist so emotional wie ein Lokalderby. Weil der Gegner nach Abpfiff nicht in den Flieger steigt, sondern im Nachbarhaus wohnt und im Zweifelsfall seinen Müll über den Zaun wirft. Lokalderby ist viel feiner als „Wir gegen die“. Es ist „Wir gegen uns“.
Es gibt ein Set von Zuschreibungen und Projektionen, komischen alten Geschichten und Zahlenhubereien, die, je nach frühkindlicher Prägung, den einen Verein sympathisch und den anderen abstoßend wirken lassen, und es mag sein, dass sich der Mythos dabei oft über den Verstand erhebt. Und doch sind die unterschiedlichen Vereinsmodelle gerade vor Ort oft genug auch mit Händen zu greifen. Man muss nur die Trainingsplätze des FC Bayern und des Münchner Konkurrenten, des TSV 1860, besuchen. Beide Vereine sind im alten Arbeiterviertel Giesing angesiedelt, in Fußnähe zueinander. Doch wo der FC Bayern, der 20 Mal Deutscher Meister war, was zwangsläufig Auftreten, Kontostand und Außenwirkung verändert, ein glänzendes Areal mit Tiefgarage und Café-Bistro hochgezogen hat, von dem aus man das Trainingsgelände überblickt, hat der TSV 1860 eine Art Eckkneipe, das Löwenstüberl, hingestellt. Wirtin Christl kennt hier jeden.
Gegen die Bejaher
Sich als Münchner Kind zum einen oder anderen Stadtverein zu bekennen, ist eine Entscheidung, die nicht nur mit Sport zu tun hat. Natürlich spielt der FC Bayern besser und in letzter Zeit sogar schöner. Es gibt, rein sportlich betrachtet, keinen Grund, die Sechziger anzufeuern. Dass es trotzdem viele tun, hat seine Gründe jenseits des Rasens. Sich vom FC Bayern, vom HSV oder auch von Hertha abzugrenzen, heißt, sich von denen abzugrenzen, die die Welt, wie sie ist, bejahen. Sich dem kleineren Klub anzuschließen, heißt, in Abwandlung der Worte des Schriftstellers Rainald Goetz, auf die Quote um der Wahrheit willen zu verzichten.
Für den zweitbesten Verein der Stadt zu sein, den zweiterfolgreichsten, den zweithochgejazzten, für den in jeder Hinsicht zweiten Verein, ist, wie gegen „Stuttgart 21“ zu demonstrieren. Weil die besonders großen Schweine gerade nicht zu fassen sind, verhindern wir eben diesen blöden Bahnhof vor unserer Haustür. Lokales Dagegensein liegt im Trend. Das Institut Trend Research fand im Mai heraus, dass der kleine FC St. Pauli bei Hamburgern derzeit beliebter sei als der große HSV.
Freitag, 17.09., 18 Uhr: 1. FC Union Berlin - Hertha BSC Berlin
Samstag, 18.09., 15.30 Uhr: 1. FC Kaiserlautern - TSG 1899 Hoffenheim
Sonntag, 19.09., 15.30 Uhr: FC St. Pauli - Hamburger SV
Sonntag, 19.09., 17.30 Uhr: Schalke 04 - Borussia Dortmund
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.