Neulich auf Twitter, Facebook oder wo auch immer: Irgendjemand fragte: Wann habt ihr euch endlich eingestanden, dass CDs zu hören nicht mehr geht, und habt die alle aussortiert? Das war eine sehr gute Frage. Und es gab keine Antworten, nicht für mich. Denn ich habe den Thread zur Frage gar nicht erst aufgeklickt. Stattdessen schweifte mein Blick vom Sofa weg, über die Wohnzimmerdielen, hin zu einer archaischen Inszenierung: Auf einem alten Hocker (der, auf dem meine Oma früher saß, wenn sie Salat schnippelte) steht ein Radio-Kassettenrekorder (der, mit dem meine Tochter früher ihre Hörspiele gehört hat). Am Radio-Kassettenrekorder sind zwei kleine Lautsprecher angeschlossen, die einen richtig doll mittelmäßigen Sound abgeben. Und drum herum liegen, in mehreren Stapeln: CDs.
CDs aus den 80ern. CDs aus den 90ern. CDs aus einem neuen, immer noch nicht ganz begriffenen Jahrtausend. Wann immer Besuch kommt, spüre ich in die Stimmung hinein, die in der Luft liegt, oder ich wittere eine Stimmung, die ich vielleicht gerade erst erzeugen möchte, und aus ihren Stapeln lacht mich jede einzelne CD mit ihrer ganz speziellen Klangfarbe an, die irgendwo in einem noch viel zu wenig erforschten Hirnzentrum abgespeichert ist. Dann lege ich eine auf. Und der Abend kommt auf die richtige Schiene. Andere Menschen, so höre ich, haben vom Konzept des „Albums“ gar keine richtige Vorstellung mehr. Unter dem Ansturm von Spotify, im Wald ihrer Playlists, im Orkan vollumfänglicher Verfügbarkeit von allem hat ihr Dasein sich auf der musikrezeptiven Ebene verflüssigt. Sie kennen keine Grenzen mehr, alles wird ihnen reingedrückt, reingeschwemmt, sie lösen sich auf, werden Teil einer Konsumentenmasse, ihre Musikanlage, wie fancy auch immer, ist ein glänzender, effizienter Einfüllstutzen, durchs Ohr rein ins Hirn, sie selbst zur Passivität verdammt.
Nostalgiker? Ich doch nicht!
Ich bin froh, dass ich in diese Kultur nie so richtig reingeraten bin. Mal fehlten Lautsprecher, dann war das WLAN nicht in Ordnung, dann hatte ich meine Spotify-Einladung verschlampt. Wer bösen Willens ist, könnte mich einen Nostalgiker schimpfen, er bewiese doch nur, wie wenig er mein revolutionäres Potenzial zu erkennen vermag: Ich stemme mich, und mein Stereo-Radio-Kassettenrekorder stemmt sich, und meine selige gute Oma, die mir Volkslieder vorsang – unsichtbar auf ihrem Hocker in der Küche –, stemmt sich: gegen den perfekten Konsumstrom, der unsere Persönlichkeit zu unterstreichen vorgibt und sie doch in Wahrheit negiert. Der auch den Charakter der abgedudelten Künstler in Beliebigkeit und Willkür ertränkt.
Bei mir ist das so: Die Musik ist vorbei, nach, sagen wir, 48 Minuten. Dann bin ich wieder gefordert. 48 Minuten lang habe ich den Gestaltungswillen einer Band oder einer einzelnen Künstlerseele auf mich wirken lassen, mit ihren Ecken und Kanten, und sie hat mich gestärkt, in meinen Ecken und Kanten – statt dass ich in einem ewigen Mahlstrom von Beats und Stimmen unterstrudelte: Welche Musik bei mir zu hören ist, ist nicht beliebig, und ich muss dafür geradestehen. Ich verantworte etwas. Ich hole mir im CD-Laden siffige Finger vom Durchklackern der Regale, komme mir alt vor, ich muss die schiefen Blicke der Verkäufer ertragen. I take pride in the words: Ich bin ein CD-Hörer. Und anders als die Vinylspinner muss ich auch nicht mitten im Album aufstehen, hinlaufen, hochklappen, umdrehen, Nadel aufsetzen, kratz, knirsch – wie peinlich ist das denn?
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.