Beirut, Neukölln

Serie Es war der Aufreger der vergangenen Wochen: Die fünfte Staffel des TV-Blockbusters „Homeland“ wird tatsächlich in Berlin gedreht!
Ausgabe 19/2015

Und Berlin stand kopf. Beziehungsweise das in Berlin vor einigen Jahren gelandete Medienraumschiff stand kopf. Die Berliner selber kommentierten den Mega-Aufreger nicht so. Sie hatten zu tun: Buletten zu essen. Grafittis zu übersprühen. Über den möglichen Leinenzwang für Hunde zu diskutieren. Der Berliner nämlich weiß eine echte Sensation von einem Journalistenaufreger gut zu unterscheiden. Auf den echten Aufreger wartet er gern ein wenig länger und lässt sich die seltene Sonne zwischen die Zehen scheinen. Den echten, wahrhaftigen Aufreger aber, den haben wir!

Und zwar ist uns auf dunklen Kanälen die komplette fünfte Staffel Homeland zugespielt worden. Anders als alle sagen, ist die nämlich längst im Kasten. Und nur um die allgemeine Hysterie anzustacheln, hat man behauptet, in Berlin erst noch drehen zu wollen: Welche Mitteilung könnte die Homeland-Gemeinde denn wohl mehr in selige Ungewissheit versetzen? Berlin – könnte das funktionieren? Würde es jemals etwas werden mit der heiß ersehnten Fortsetzung des Spionagekrachers?

Es ist etwas geworden. Stolz und exklusiv präsentieren wir hier – pssst! – den Episodenführer zur fünften Staffel.

Episode 1

Carrie Mathison (Claire Danes) ist bei der CIA ausgestiegen und verdingt sich in Lübeck (Berlin-Friedenau) bei einer privaten deutschen Sicherheitsfirma. Alle Mitarbeiter sprechen Englisch immer mit „v“ statt dabbljuh („Vi heff öh propplim“), ihr Deutsch klingt allerdings noch bizarrer. Mathison führt all das auf Nebenwirkungen eines undurchschaubaren Medikamentenmix aus Antidepressiva, Speed und Bullrichsalztabletten zurück, die ein deutscher Arzt (diabolisch von unten angeleuchtet: Ulrich Tukur) ihr verschrieben hat: „Säj vill du juh gutt, hähä.“ In Beirut (Berlin-Neukölln) kommt es zeitgleich zu einer furchtbaren Explosion.

Episode 2

Auf dem Weg zu einem Kampfyogaseminar in Berlin (Berlin-Mitte) wird Carrie in der Ringbahn S 42 auf einen verdächtigen S-Bahn-Musiker aufmerksam, der mehrere Instrumente fehlerfrei beherrscht und Touristen in perfektem Englisch Hinweise auf Berliner Sehenswürdigkeiten gibt: Wo die stünden; wann die nicht von Bauzäunen verdeckt seien; ob dort demnächst Terroranschläge stattfänden. Nachdem sie zwischen Jungfernheide und ICC einen zudringlichen Sexmaniac mit mehreren Handkantenschlägen erledigt und die S-Bahn per Notbremsung vor einem umstürzenden Baukran gerettet hat, ist der geheimnisvolle Musiker wie vom Erdboden verschluckt. Sie fragt einige der Mitreisenden in bestem Deutsch („Kennen Sie mick Hutschnur Kotlätt Siebenburgen?“) nach dem Verbleib des Mannes, aber niemand im ganzen Waggon spricht Deutsch.

Carrie Mathison spürt, dass etwas nicht in Ordnung ist, überhaupt nicht in Ordnung, und ruft ihren alten Weggenossen Virgil (David Marciano) an, der sich in ein vergessenes Satellitensystem aus dem Kalten Krieg hackt und so herausbekommt, dass Carrie in die S 41 umsteigen muss, um die befahrene Strecke noch einmal abzusuchen. Carrie entsichert ihre schwere Handfeuerwaffe unter den anerkennenden Blicken einiger Jugendlicher, die ihr sofort eine CD mit selbstproduziertem Gangsta-Rap verkaufen wollen. Carrie schüttelt ganz leicht den Kopf und äußert ein zart empörtes „T!“.

Episode 3

Der Kampfyogakurs war eine Falle! Kann Carrie zunächst noch einige Übungsdummies (Joko Winterscheidt, Lars Eidinger) locker ausschalten, gerät sie sehr bald an den praktisch schmerzfreien, ultrabösen Supergegner Woldemar Oberbolle (Ben Becker), der sie mit einer geheimnisvollen, in den Brustkorb implantierten Infraschallwaffe außer Gefecht setzt. Kurz bevor er ihr den Todesstoß versetzt, kommt es zum lange gefürchteten soziopsychologischen Erklärungsmonolog, für den sich die deutschen Filmförderer von Homeland eingesetzt haben.

Amerikanischen Zuschauern erklärt eine Einblendung: Der deutsche TV-Zuschauer sei es nicht anders gewohnt; hölzerne, überflüssige, bizarr-quälend sich hinziehende Erklärpassagen seien ein unverzichtbares, gewachsenes Kulturgut, welches hierzulande vielen Dialogschreibern ihre Honorare sichere; für das Schreiben der Dialoge kämen keine Tiere zu Schaden und würden keine Zigaretten geraucht, und Gottes des Herrn werde nicht geflucht. Am Ende der Einblendung ist Carrie wieder zu sich gekommen, kann durch eine Bresche entfliehen, die ein plötzlich aufgetauchter Baukran beim Umstürzen in die Hauswand schlägt, und wird von einem mysteriösen Leierkastenspieler in seiner Drehorgel versteckt, bis die Berliner Luft wieder rein ist.

Episode 4

Der geheimnisvolle Straßenmusiker ist niemand anderes als Carries alter Weggefährte Saul (Mandy Patinkin). Da er in den bisherigen Folgen immer eine Sonnenbrille trug, konnte Carrie ihn nicht an seiner Iris identifizieren – sie leidet an einer sehr seltenen Wahrnehmungsstörung, die nur durch Bullrichsalztabletten gelindert werden kann. Saul schleust Carrie in die geheime Kommandozentrale ein, die ein bislang unbekannter USA-Auslandsgeheimdienst („BND“) im Zentrum Berlins gebaut und als „Stadtschloss“ getarnt hat. Hier befinden sich eine Abhörstation, drei McDonald’s, acht Wellnessbereiche und ein unterirdischer Atom-U-Boot-Hafen, der vom Berliner Putzpersonal liebevoll die „Zijarrenwanne“ genannt wird. Ein Briefing öffnet Carrie die Augen: Die Explosion in Beirut war nur eine Übung. Eigentliches Ziel ist der neue Berliner Interkontinentalflughafen (BER), dessen Eröffnung unmittelbar bevorsteht.

Episoden 5 bis 11

Wie man schon bemerkt hat, wird es nun sehr unrealistisch. Im Bemühen, das Attentat auf den Berliner Flughafen zu verhindern, hetzt Carrie durch den Irak (Berlin-Wedding), Nordkorea (Berlin-Hellersdorf) und die Wüste Gobi (Dallgow-Döberitz), sie wird wegen mehrfachen Totschlags von der Berliner Polizei festgesetzt und am nächsten Morgen mit einer milden Ermahnung („Aba nisch wieda machen, hamse jehört? Nisch in diesem Abschnitt!“) wieder entlassen, eine Befreiungsaktion in Berlin gerät zum Horrortrip, weil kein Taxifahrer die Straßen kennt, am Kollwitzplatz schaltet Carrie einen Berliner Islamistenführer (Wolfgang Thierse) aus, nicht ohne dabei von einer Horde Jungmütter beschimpft zu werden, weil sie zu nah am Zebrastreifen geparkt hat, und als Krönung wird uns noch eine wirre Räuberpistole aufgetischt, wonach die deutsche Regierung in dubiose US-Spionageaktivitäten verwickelt sein soll … diese Amis!

Episode 12

Hier kommt nun alles zur Auflösung. Der krasse Showdown, der eigentlich im Berliner Olympiastadion stattfinden sollte, konnte aufgrund eines S-Bahn-Streiks dort nicht gedreht werden, die Produzenten haben sich daher spontan entschieden, die abschließende Schießerei, Schlägerei, Folterei und Bombenentschärferei in der Weddinger Kneipe Zum Kugelblitz stattfinden zu lassen. Allen Widrigkeiten zum Trotz entpuppt die sich als der ideale Drehort: Die anwesenden schnauzbärtigen Urberliner ducken sich brav unter den herumfliegenden Karatekämpfern, Kugeln, Lampen, Harpunen herum, die Augen fest auf das Herthaspiel auf den Bildschirmen geheftet, erst nach halbstündigem Maschinengewehrgeknatter und mehreren Bombenexplosionen fragt einer der Anwesenden an, „wat se denn alle jejen die Blonde hahm“. Arg derangiert geht Carrie zu Boden, das schwerbewaffnete Sonderkommando Neonazi-Islamisten-Provokateure unter der Führung von Woldemar Oberbolle kommt aus seiner Deckung hinter den umgestürzten Tischen und wird in diesem Moment, weil es die Sicht auf die Leinwand verdeckt, von den aufgebrachten Kneipenbesuchern überwältigt. „Is uns ejal, ob ihr aus Amerika seid. Wenn ihr hier rumballan wollt, wartet, bis dit Spiel vorbei is.“ Für Carrie wendet sich so das Schicksal, gekonnt schaltet sie die Killer aus, gerät dann in einen allgemeinen Torjubel und wird gedrängt, einen schwer definierbaren blauen Schnaps mit weißer Sahnekrone zu trinken, der mit einem Schlag alle ihre medizinischen Probleme kuriert. Allet jut!

Klaus Ungerer lebt als Autor in Berlin. Im Herbst wird im Tropen-Verlag sein neues Buch So rettete ich die Welt erscheinen

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