Der HSV noch da, Nürnberg weg

Fußball Die Drei-Punkte-Regel verzerrt seit 20 Jahren die Tabellen der Welt. Ob wir sie jemals fallen sehen werden? Eher wird wohl die Sommerzeit abgeschafft
Ausgabe 34/2014

Wenn zukünftige Sporthistoriker sich fragen werden, an welchem Punkt die Kommerzialisierung den Fußball aufzufressen begann, werden sie an der Drei-Punkte-Regel nicht vorbeikommen. Klar, man hat schon vor ihr fragwürdige Dinge erlebt: Verschobene Spiele, Verstöße gegen das blauäugige Lizenzspielerstatut der Frühzeit, Werksvereine mit unfair prallen Taschen. Mit der Drei-Punkte-Regel aber, die 1994 aus dem Himmel der Fifa-Offiziellen auf die Fußballfelder der Welt herabstürzte, griff das Geld erstmals ins Spiel selbst ein.

Dem Zeitgeist folgend, wollte der Weltverband nun Märkte erobern, und einen wichtigen Zukunftsmarkt sah man in den USA. Der Fußball sollte dortigen Sehgewohnheiten angepasst werden: Mehr Tore! Möglichst keine Unentschieden. Sieger und Besiegte! Mit all der kreativen Macht, über die eine korrupte Funktionärsbude gebietet, wurden verschiedene bizarre Regeländerungen angedacht. Schließlich blieb die Drei-Punkte-Regel übrig, die niemals nur ein einziger Fußballer auf der Welt verlangt hatte.

Seitdem sind 90 Minuten Kampf um Ball und Tor nicht mehr gleich viel wert: Manchmal gibt es hinterher zwei Punkte für die Beteiligten. Manchmal drei. Noch irrer: Erst beim Abpfiff stellt sich heraus, ob man an einem Zwei-Punkte-Spiel (Remis, ein Punkt für jeden) oder an einem Drei-Punkte-Spiel (drei Punkte für den Sieger) teilgenommen hat. Als Spielregel ist das natürlich Unfug. Zwei gleich starke Teams etwa wären gut beraten, sich für die Saison auf je einen Heimsieg zu einigen: So generieren beide Seiten 50 Prozent mehr Punkte als bei zwei Remis.

Kaum nötig zu erwähnen, dass der von den Funktionären erhoffte Aufschwung des Offensivfußballs sich nie eingestellt hat. Studien wiesen nach, dass seit Einführung der „Dreier“ sogar eher weniger Tore fielen: Eine Mannschaft, die einmal in Führung gegangen ist, stellt entschlossener auf Defensive um, wenn es mehr Punkte zu verteidigen gibt.

Der Unterschied zwischen Zwei- und Drei-Punkte-Regel ist nicht groß. Aber er ist spürbar. Bis vor 20 Jahren reihten die Vereine einer Liga sich nachvollziehbar auf: Man konnte die Siege mit den Niederlagen verrechnen, aus der Differenz ergab sich die Tabelle. Heute funktioniert das nicht mehr. Für die Drei-Punkte-Regel ist das über 90 Minuten erkämpfte Unentschieden ein minderer Wert. Dabei ist es nach menschlichem Ermessen schwerer, aus drei Spielen drei Remis zu holen als nur einen Sieg. Und das ist keine Geschmäcklerei: In der Bundesliga hat die Drei-Punkte-Regel schon oft Schicksal gespielt.

Vergangene Saison etwa mussten die schwer schlagbaren Nürnberger direkt absteigen, obwohl sie in der Siegdifferenz besser dastanden als der meist desolate Hamburger SV. 2013 wäre das damals haltlose Hoffenheim verdient abgestiegen statt der verzweifelt kämpfenden Düsseldorfer. Und auch über Deutsche Meister hat die Drei-Punkte-Regel entschieden: Im Jahr 2000 hätten die besten Leverkusener aller Zeiten knapp, aber verdient vor Bayern München gestanden. Und Schalke 04 wäre 2001 nicht nur Meister der Herzen, sondern eben auch Meister der Punkte geworden.

Aber wie der Gang der Welt nun mal ist: Die Drei-Punkte-Regel, sie bleibt. Seit 20 Jahren verzerrt sie die Tabellen der Welt. Ob wir sie jemals fallen sehen werden? Eher wird wohl die Sommerzeit abgeschafft oder die deregulierten Finanzmärkte von klugen Staatenlenkern wieder an die Kandare genommen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden