Puh. Erst mal schütteln. Nicht ärgern! Nur wundern: Warum sind diese billigen Tricks in der Krimibranche so erfolgreich, diese allzu leicht durchschaubaren Erzählkniffe? Etwa: Der Super-Superbösewicht, der erst umgänglich erscheint, mit fortschreitender Handlung aber immer öfter seine Maske fallen lässt, um hohnzulachen, „Raubtierzähne“ zu blecken, Dinge zu zerstampfen. Etwa: Die Kleinstadt, in der eine große Missetat wacker totgeschwiegen wird. Oder: Dass am Ende plötzlich alle mit allen verwandt sind – was man aber nicht ahnen konnte, da sich ja Namen auch ändern (oder ausgespart wurden). Oder: Dass manche Handlung überhaupt nur geschieht, weil der Autorin bestimmte Orte und bestimmte atmosphärische Effekt
ekte gut gefallen – wie jener fiese Bunker, in dem einmal ein bestialischer Mord stattgefunden hat und in dem jemand 19 Jahre später aus mysteriösen Gründen ein okkultes Ritual abfeiert, hübsch mit Großpentagramm aus europäischer Überlieferung, aber auch Piekspuppe aus dem Voodookult. Boah, wie gruselig!Und wieso gehört eigentlich nicht vermieden, dass am Ende, nach der eigentlichen Handlung, auf ein paar Seiten noch mal alles Geschehene erklärt werden muss, damit der ganze Knust sich halbwegs zusammenfügt? „Mathers hatte schnell festgestellt, dass Rivett Ward eine manipulierte DNA-Probe gegeben hatte.“ / „Das Ship Hotel, wo Ward geschlafen hatte, wurde nach Hinweisen durchsucht, wobei herauskam, dass der Sohn der Wirtin Computerexperte war.“ / „Rivett hatte es aussehen lassen wollen, als hätte Smollet Francesca bei einem Einbruch überrascht.“ Ist das schlicht lieblos gemacht oder Lachtherapie für den Leser, der am Ende eines sehr düsteren Krimis angelangt ist?Knülleridee DNA-SpurNa gut, fassen wir also zusammen, worum es in diesem Buch gegangen sein sollte: Verschlafenes Küstenstädtchen, England. Tatzeitpunkt: 1984. Ermittlungszeit: 2003. Halt, stopp, warum eigentlich da und nicht heute? Kann es sein, dass Cathi Unsworth ein noch unbekanntes Manuskript aus ihrer pentagrammbeschnitzten Übungsschublade gekramt hat, nachdem sie sich in den vergangen Jahren als Krimi-Noir-Autorin etablieren konnte? Na, egal: Jugendliche Person wird abgeschlachtet. Pentagramm aus Blut. Andere jugendliche Person wird eingebuchtet. In den Medien als Hexe und Satanistin verkauft. Sitzt bis 2003. Jetze: Neue DNA-Spur taucht auf. (Knülleridee! DNA-Spur!) Ermittler ermittelt. Ehemaliger Polizist. Schwer angeschossen worden. Aus Dienst ausgeschieden. Gebrochener Held! Wird alles gleich auf Seite zwei referiert. Damit man das schon mal weg hat. Funktioniert nicht. Egal. Ermittlungen zeigen, dass alles irgendwie ganz anders war!Ist jetzt natürlich ein bisschen doof wiedergegeben. Aber der Roman hat es so gewollt. Natürlich ließe sich diese Geschichte auch auf eine packende Weise erzählen. Dafür aber wäre mindestens eine vernünftige Konstruktion vonnöten. Cathi Unsworth aber lässt viele Chancen ungenutzt, ganz so als ob sie in entscheidenden Momenten nicht an ihre Gestaltungskraft geglaubt hat. So verzichtet sie auf die initiale Schilderung der Tat oder immerhin des Tatorts: Wo ein richtig fieser Leichenfundort der Handlung Momentum beschert hätte, lässt Unsworth nur 19 Jahre später ihren wirklich beeindruckend farblosen Ermittler durch den Regen fahren, in dessen trübem Sinn ein ferner Nachhall der Schreckenstat echot.Viele Schocker, wenig ThrillIst man da doch etwas enttäuscht, so ahnt man, was die Autorin stattdessen vorhat: Der Ermittler nämlich ist unterwegs zu einem mindestens ebenso fiesen Ort – jene Sicherheitsverwahranstalt, wo die mutmaßliche Täterin seit ’84 vor sich hinvegetiert. Okay, denkt man nach dem ersten Kapitel, als Ermittler Sean sich dem Bau nähert und der Begegnung entgegensieht, okay, das könnte jetzt unangenehm werden. Wird es aber nicht: Schnitt, zweites Kapitel, back in 1983, Kleinstadtnest, eigentlich reichlich belanglos. Aber dafür ist ja das Thrillerformat da, dass man sich in den Ödnispassagen ein bisschen von den Schockerkapiteln erholen kann. Folgt mit Kapitel drei der Sprung zurück nach 2003, gleich wird Sean der Hexe begegnen! Ach nee: Er fährt ja schon wieder nach Hause, das Treffen wird nur ein wenig im Plusquamperfekt gestreift. Also, bitte! So sind schon auf den ersten Seiten zwei Plot-Fixpunkte ausgespart worden, allerdings nicht auf eine reiz- oder kunstvolle Weise: Cathi Unsworth hat‘s einfach nicht gepackt. Sie wird bis zum Schluss das Porträt ihrer Tatverdächtigen meiden. Sie wird sich freuen, an die eine oder andere Band aus der aufkeimenden Gothicszene erinnern zu können. Sie wird, ein Pageturner der anderen Art, ausdauernd das Geplänkel und Gezicke unter Kleinstadtjugendlichen beschreiben. Sie wird es wagen, eine Figur etwas in einer Kristallkugel erblicken zu lassen. Und sie wird am Ende, nach fast 400 Seiten, das übliche Lamento zum Klingen gebracht haben: Oh, wie schrecklich falsch und kaputt diese Welt doch ist.