Laut Klappentext nur Meisterwerke

Literatur Gewiefte Rezensenten brauchen ihre Exemplare gar nicht mehr lesen. Der Buchrücken reicht
Ausgabe 29/2019

Klappentext ist Deppentext. Weiß man ja. Und er wird immer wichtiger in einer Zeit, in der das Deppentum die Welt übernehmen zu wollen scheint. Wer hätte denn noch Zeit, ein ganzes Buch zu lesen? Als unterbezahlter Journalist zumal. Lese ich also den Deppentext. Ist ja doll, was der Panizza da für ein Buch rausgehauen hat, und das posthum, mit ein klein wenig Hilfe vom nachgeborenen Kollegen Joachim Bessing, gerade mal 60 Seiten, wenn man Bessings üppiges Vorwort mitzählt, und doch: Was für ein Megakracherwerk der Weltliteratur ist hier nun aufgetaucht! Die Menschenfabrik. Geschrieben 1890. Klappi weiß Bescheid: „lange vor Orwell und Huxley“ ... „prophetisch, fesselnd und verstörend“ ... „Optimierung der Menschheit“ ... „drohende Herrschaft der künstlichen Intelligenz“ ... stopp!

Der gute alte Panizza. Hätte man ihm ja gar nicht zugetraut. Man hätte ihm vielleicht eine nette, ausgedehnte Glosse zugetraut, in der ein Wanderer nachts an einem größeren Gebäude anklopft, Einlass findet, von einem Männlein herumgeführt wird in dieser Fabrik, wo menschenförmige Gestalten produziert werden, welche sich dann – hoho! – erst ganz am Ende, weil der Panizza Oskar es nun erst auflöst, als Porzellanfiguren herausstellen, und das Gebäude als die Meißener Porzellanmanufaktur!

Auf eine neckische, spielerisch philosophisch angehauchte, in Maßen fesselnde und überhaupt gar nicht verstörende Lektüre hätten wir uns eingestellt, denn es ist ja der Panizza Oskar, und da ist ja auch nichts dagegen zu sagen. Und wenn wir ganz, ganz ehrlich sind, liebe Leserinnen – und wir hoffen, Sie bleiben diesem Text hier trotzdem noch bis ans Ende gewogen, wir werden uns eine ganz dolle Abschlusspointe ausdenken für Sie –, wenn wir ganz, ganz ehrlich sind: Dann hat der Panizza Oskar genau das auch geschrieben. Und jeder, der dort einmal hineinblättern würde, könnte das auch ganz leicht erkennen, so er sich denn nicht vom Vorwortbessing einlullen lässt, der zu Orwell und Huxley auch noch ein bisschen Proust, Nabokov und Schirrmacher reinrührt in den argumentativen Quark, in den der Panizza Oskar nun unverschuldet geplumpst ist, doch siehe da:

Es funktioniert! Wir wissen nicht, ob Vorwortbessing die Geschichte zu Ende gelesen hat, ehe er sich einer großen Begeisterung und seinem Vorwortschrieb anheimgab, wissen nicht, ob es im Verlag jemand tat. Sicher ist nur, bei den Rezensenten hat das Buch fast niemand gelesen, im Sinne von: klaren Geistes und unvoreingenommen auf sich wirken lassen. Überall dröhnt’s, rumpelt’s und robotert’s brav nach, was Klappi vorgab: „Die Lektüre dieses prophetischen Werks ist verstörend“ (Südkurier) ... „eine Parabel von erstaunlicher Aktualität“ (changeX.de) ... „Dystopie zum Thema Mensch“ (Welt am Sonntag Kompakt) ... „hellsichtige und zukunftsweisende Erzählung“ (Lebensart) ... „beklemmend aktuelle Zukunftsvision“ (ekz.bibliotheksservice) ... „scharfsinniger Appell an das Gewissen der Wissenschaft“ (Altmühl-Bote) ... „heute aktueller denn je“ (diezukunft.de) ... so geht das nun seit Monaten, seit Erscheinen, zuletzt hat die katholische Tagespost vor ein paar Tagen einen „Roman über das Klonen“ ausgemacht – Porzellan-Klonen! –, und so quietscht und rasselt das Verkaufsband voran, geistlos wie Golems plappern sie das alles nach, was sie meinen, nachplappern zu müssen, und womit sie meinen, Aufmerksamkeit erregen und Leser generieren zu können – und wenn Sie jetzt vom Autor dieser Zeilen, einem Vertreter dieser wenig scharfsinnigen Spezies der Zeilenschreiberlinge, auch noch allen Ernstes eine Schlusspointe erwartet haben, verehrte Leserinnen, dann weiß ich auch nicht mehr.

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