Schnick, schnack, hickhack: Metal Gear Rising

Medientheologie Warum wird die Welt in den Videospielen immer zerstörbarer? Um unseren Destruktionstrieb zu befriedigen? Nicht eigentlich
Ausgabe 10/2013

Meine intensivste Erinnerung aus 35 Jahren als Videospieler ist ein Akt der Zerstörung: Eine Nacht lang war ich, mit meinem schlimmen Kumpel Schütti neben mir vor dem Bildschirm, wach gehalten von Cola und Milky Way, ergebnislos durch ein Vampirschloss geirrt. Und kamen nicht weiter. Wir tigerten herum, wir fluchten und schimpften, es war dies noch die selige Zeit der Textadventures, durch die man sich per Tastatureingaben wie „go west“ oder „take torch“ manövrierte, einmal mehr wies das Programm uns für unsere fantasievollen „fuck xy“-Eingaben zurecht – da begann ich, in meinem unerlösten Tatendrang, zu randalieren. Trat gegen die Wand: „kick wall“. Und: Die Wand gab nach. Ein Geheimgang tat sich auf.

Mehr hat mich ein Videospiel selten überwältigt, mehr Haptik gab es selten in einer Spielewelt. Wo man eine Wand eintreten konnte, war alles möglich. Da tat sich ein unendlicher Erlebnisraum auf. Bis zu diesem Moment war jedes Anschmeißen eines Videospiels wie der Eintritt in einen Parcours, in eine Kirmesbude, und so verzichteten die frühen Gamesdesigner auf den Bau einer Welt: Pong, der tischtennisähnliche Urvater aller Videospiele von 1972, behauptete niemals, irgendwo anders stattzufinden als auf einem Bildschirm, so wie Tischtennis eben auf einer dafür vorgesehenen Platte gespielt wurde.

Battle Chess und Doom

Natürlich versuchten nachfolgende Spiele dann Menschwelten aufzubauen, so dass aus dem Zeitvertreibsspiel ein Abenteuerspiel wurde: Pacman rannte vor Inky und Blinky davon, animierte weiße Klötzchen auf schwarzem Hintergrund ließen uns an einem nächtlichen Autorennen teilnehmen, Kolonnen von feindlichen Raumschiffen schwebten von oben auf uns herunter und mussten, da der Überlebenstrieb es gebot, zerschossen werden. Es begann die Geschichte der Zerstörung im Videospiel. Wobei Zerstörung hier eben nicht meint: Gegner oder Klötzchen plopsend verschwinden zu lassen, dem Spielziel gemäß. Sondern die Zerstörung, genauer: Zerstörbarkeit der Dinge erfüllt einen ganz anderen Zweck – sie dient der Beglaubigung der Spielwelt, also nur dem Erlebnis, dem Rausch.

Das Erste, was man in Videospielen ausknipsen konnte, waren gegnerische Raumschiffe oder Panzer, aber deren Ende war ungefähr so authentisch, wie eine Partie „Schiffe versenken“ einer Seeschlacht im Ersten Weltkrieg gleicht. Bei Space Invaders kam es 1987 erstmals zu Kollateralschäden: Zwischen unserer Weltretterkanone und den Alienraumschiffen gab es dicke Schutzschilde, die im Eifer des Gefechts immer mal wieder getroffen und so ganz klassisch sturmreif geschossen wurden. Auch diese Zerstörung war nicht ohne taktische Bedeutung, doch vermochte sie uns, da sie neu war, zu beglücken: Da wurde etwas nach und nach, Pixel für Pixel, dekonstruiert – wohingegen die getroffenen Raumschiffe sich immer nur in je eine kleine Explosionsgrafik, und die dann in Nichts verwandelte: Umherfliegende Trümmer, die uns auf dem Erdboden noch hätten erschlagen können, wären natürlich wesentlich hübscher gewesen.

Ernsthaft setzte die Zerstörbarkeit aber am Gegner an: Auf ihn waren unsere Schüsse, unsere Schwert- und Fausthiebe ja gemünzt, sein virtueller Körper war der Quell unserer Lust. Die Programmierer begannen, sich in die Haptik der Auseinandersetzung zu vertiefen, so konnte es denn ein Jahr später auch zu einem Kuriosum wie Battle Chess kommen – einem Schachspielprogramm, in dem die Figuren, wenn gezogen, zum Leben erwachten und, vor Waffen scheppernd, zum für sie vorgesehenen Quadrat schlurften – um dort auf die feindliche Figur einzudreschen, mit dem absolut vorhersehbaren Ausgang, dass der Angreifer immer gewann.

Die Kaputtbarkeit der Welt

Spiellogisch ist das Kaputtmachen ein Luxus: Es bringt uns nicht näher an unser Ziel. Wo Kaputtbarkeit ins Spiel kommt, geht es nicht mehr nur ums Knobeln, Steuern und Reagieren: Hier amalgamiert die Punktejagd mit der Passiverotik des Zuschauens, welches (so wie die rasende Optimierung der grafischen Gestaltung) dazu dient, uns in die virtuelle Welt hineinzusaugen: Schock und schlechtes Gewissen gastierten in unserer Seele, als aus getroffenen Feinden erstmals Blut zu spritzen begann, als Köpfe zerplatzten und Körperteile flogen.

Mit den rasch indizierten Katakomben-Metzelspielen Doom (1993) und Quake (1996) erwarb das Videospiel sich erstmals einen Ruf als ein Medium des Gewaltexzesses. Gleichzeitig tat es einen wichtigen Schritt in den Massenmarkt, indem es viral in den Bürogebäuden um sich griff und die brav werktätige Bevölkerung, männlicher Teil, unterjochte. Zugleich schälte sich das öffentliche Bild vom Spielejunkie aus der Berichterstattung heraus: Vereinsamt Chips mampfend, starrte er auf seinen Bildschirm, komplett aufgesogen von der Matrix, die den Rechner durchwogte. Dass mit dem Erfolg der LAN-Party-fähigen Ballerspiele gleichzeitig eine nie gekannte Vernetzung von Spielern entstand, und dass diese Spiele unter ihrer pixelblutbehafteten Oberfläche oft ihre Attraktivität aus taktischen Reizen bezogen, dass sie eine neue Art von Mannschaftssport hervorbrachten, interessierte dabei nicht wirklich und ging aus den Bildern (bläulich beschienene, vereinsamte Gesichter, manisch mausklickende Finger) auch nicht im Ansatz hervor. Die Jugendlichen taten halt, was sie seit Beginn der schriftlichen Aufzeichnungen tun: Versanken in einer nie da gewesenen Verblödungskatastrophe. Die Vergänglichkeit der Dingwelt hat spät Einzug gehalten ins Computerspiel: Verständlicherweise. Dieses Surplus zu programmieren ist ein enormer Arbeitsaufwand. Und so konnte man jahrzehntelang versuchsweise mit seiner Streitaxt auf Wände und Gegenstände eindreschen, ohne dass irgendetwas passierte, konnte man mit der Wumme auf die eigenen Helferfiguren schießen, ohne dass denen ein Schaden entstand. Erst in den hinter uns liegenden Boomjahren hat man den Zauber der Zerstörbarkeit zu erschließen begonnen: Denn erst was vergehen kann, ist wirklich da. Kann wirklich geglaubt werden.

Viel Arbeit ist in die Entwicklung von Fahrzeugphysik und Schadensmodellen gesteckt worden, und wie begeistert waren wir, als die Entwickler es endlich geschafft hatten: dass in Rallyespielen wie Motorstorm von 2007 echte Beulen in die Karosserie gerummst werden konnten, Kotflügel abflogen, Reifenspuren die Pisten zerfräßten – oder auch nur Matsch auf unsere Kühlerhaube spritzte.

Stranglehold

Inzwischen hat die Gamesindustrie den Charme der Vergänglichkeit erkannt. Zu den vielen bizarren PR-Gags, die man sich auf die Veröffentlichung neuer Spiele hin erlaubt, gehörte vor einigen Jahren die postalische Zusendung eines voll einsatzfähigen Vorschlaghammers, mit dem der geneigte Berichterstatter auf die neueste Stufe der Zerstörbarkeit hingewiesen werden sollte: Mit der „Massive Destructibility“-Technologie des Spiels Stranglehold sei es nun möglich, noch viel mehr Spielwelt als jemals zuvor einfach aus Spaß zu zerschrotten und richtig festlich zu durchsieben – wofür man da noch den Real-Life-Hammer brauchte, wurde nicht ganz klar. Unser Ostberliner Hausmeister, der in jedem Gegenstand viel eher das Potenzial zur Wiederverwendbarkeit als konsumförderlichen Sollbruch erkennen konnte, hat den Hammer dann dankbar an sich genommen und im Keller gelagert, wo auch Drahtrollen, Eisfachtüren und ähnliche nützliche Dinge aufbewahrt wurden.

Die Zerstörungsfreude im Computerspiel aber nahm ihren Lauf: In den kinderorientierten Lego-Filmumsetzungen wie Lego Harry Potter, Lego Star Wars oder Lego Fluch der Karibik ist die wüste Destruktion zu einem Mittel der Welterkundung geworden. Egal in was für einen Raum man gerade kommt und ob man gerade ein Zauberlehrling, Sternenkrieger oder Pirat ist, eines ist doch sicher: Alles was rumsteht, kann unter großem Krachen zerhackt, zerschossen oder zerzaubert werden, es detoniert zu Legobausteinen, die dann Punkte bringen – oder neu zusammengebaut (und dann vielleicht sogar wieder auseinandergehackt) werden können.

Zuletzt ist das neue Metal Gear Rising: Revengeance in unserer Daddelkiste gelandet, eines jener vielen aberwitzig-dystopischen Verhackstückspiele, die keine Persiflage benötigen: Unserem Ninjaschwert mit Hochfrequenzklinge soll die Welt zur Wassermelone werden: kreuz und quer und wieder und wieder zersäbelbar. Alles, so verkündet man stolz, kann hier, so oft wie man will, geschreddert werden. Das ist neu! Das ist geil. Im Tutorial zeigt ein Zähler an, in wie viele Stücke wir die Pappkameraden zerlegt haben. Im ersten Level ignorieren wir sämtliche Fieslinge einfach mal, um uns gnadenlos auf herumstehende Palmen, Autos, Ampelanlagen zu stürzen: Schnick! Schnack! Hack! Machen wir Polygonsalat aus der Welt. Und stellen enttäuscht fest, dass die Hochfrequenzklinge uns eben doch nicht aus dem Level herausschnetzen kann: Hauswände stehen ihr merkwürdig ungerührt gegenüber. Und auch die von uns angerichteten Totalschäden schauen wir etwas wehmütig an, derweil die Feinde, um Beachtung bettelnd, von hinten auf uns einmeucheln. Das Palmenwrack und der von uns prachtvoll zugerichtete Autoklump lösen sich dann eben doch wieder in Luft auf. Also, da muss noch nachgebessert werden! Oder man bequemt sich, statt der Physik mal die Charaktere etwas plastischer zu gestalten.

Von Klaus Ungerer erschienen zuletzt seine Gerichtsreportagen Was weiß der Richter von der Liebe . Seine Videospiel-Testberichte sind dagegen noch nicht zum Buch geronnen

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