Die Überlieferung ist dürftig, die Omertà von krachlederner Zähigkeit
Foto: Imago Images/Rolf Hayo
Nichts würde man ja lieber lesen als ein Buch, in dem der tiefenrecherchierte Nachweis geführt wird, dass die sportlichen Erfolge des großen Antipathenklubs FC Bayern sämtlich auf verbrecherischen Vorgängen beruhen. Der Klub, dessen Vereinsführung sich gern mit der mackermäßig-bedrohlichen Aura von Hollywood-Mafiabossen umgibt und zu dessen DNA Steuerbetrug zu gehören scheint, diesen Klub würde man so gerne auffliegen und abstürzen sehen, damit in der Bundesliga, die vom FC Bayern dominiert und verachtet wird, endlich wieder ein spannender sportlicher Wettbewerb aufkommen kann.
Der Absturz ist aber die Sache mächtiger Männer nicht. Sie haben sich in ihre Positionen hochgekungelt, sie stützen und werden von anderen einflus
en einflussreichen Ganovenseelen gestützt, sie gehen, wenn es mal ganz dumm läuft, auch für eine Weile ins Gefängnis, den ehernen Bund des Schweigens aber brechen sie nicht – weswegen wir wohl niemals erfahren werden, welche grandiosen FCB-Mauscheleien etwa in Wahrheit hinter Uli Hoeneß’ Haftstrafe standen, die er als größeres Versehen eines naiven Tropfs verkaufte, das arme Haserl.Buch mit HybridantriebDie Geschichte erfolgreicher Fußballklubs ist die Geschichte von Hinterziehungen, Hasarderie und schwarzen Kassen, im Wachstum des Fußballbooms und im Umbruch vom kickenden Freizeitverbund zum Mega-Showbusiness-Player haben naturgemäß meist die überlebt, die gern mal Grenzen überschritten und sich in Graubereiche reinwagten. Da wurde betrogen und verschwiegen und wurde sich routinemäßig an die Mächtigen rangewanzt, die meist nur zu gern zurückwanzten. Und es liegt in der Natur der Sache, dass an jenen Standorten, da Windigkeit und Amateurismus vorherrschten, auch eher Dinge an die Öffentlichkeit gerieten. Während echte Profis eben auch Profis im Stillschweigen sind.Irgendwann auf dem Weg zu seiner Gerd-Müller-Biografie muss Hans Woller an den Punkt gelangt sein, da sich ihm Einblicke ins Getriebe öffneten, in die zwielichtige Erfolgsmännerwelt, die sich hinter den großen Rasendramen verbirgt. Und ebendiese Einblicke erregten wohl nicht nur seine Neugier. Sie versprachen ihm auch, dem Historiker, entscheidenden Mehrwert für seine Starbiografie. Die Idee zu einem Buch mit Hybridantrieb war geboren: der Name „Gerd Müller“, gekoppelt mit rausgehängter politischer Brisanz. So kam im Titel ein „oder“ zu stehen: Gerd Müller oder Wie das große Geld in den Fußball kam.Mehr Ideen, mehr Probleme: Zunächst ist Müller, auch hier, eben kein Strippenzieher, keine Zentralfigur im großen Geschachere, sondern ein Randständiger, einer, der zwar mit zu profitieren versuchte, so gut es ging, aber eben niemand, den es abseits des Fußballplatzes in die Schaltzentralen drängte. Müller, das war einer, dem man eine Versicherungsvertretung irgendwo in Bayern unterschieben konnte als Karriere-Nachsorge. Müller, das war derjenige, der in der beklemmendsten Passage des Buchs als Fußballrentner, fernab von allem, in Florida lebt, wo er meist in der Sonne liegt, viel Tennis spielt und abends im selbst geführten Restaurant den zuprostenden Grußaugust markiert, eine Existenz, deren Tristesse man nicht mehr zusätzlich zu ertränken braucht, weil der Alkohol ja eh schon fließt.Gerd Müller, die Granate aus dem Nichts. Der Gefallene und Verschwundene. Was der Autor gern aufgemotzt hätte, ist immer noch das Packendste an dieser Biografie eines Weltstars. Mit Sympathie und Akribie sowie gut lesbar erzählt Woller ebenjene Geschichte, die er so gerne um eine politische Dimension ergänzt hätte: vom unbedarften Jungen aus kleinsten Verhältnissen, der auf dem grünen Rasen ein Wunderkind ist. Erzählt vom nur halbherzigen Flirt zwischen diesem reinen Toren und der Glitzerwelt, die ihm plötzlich offensteht und in der er sich niemals so zu bewegen lernen wird wie die Beckenbauer, Hoeneß und Netzer, die nach dem Rasenball nun auch das mediale Geschehen der kommenden Jahrzehnte prägen werden, als Historiker ihrer selbst, um dann alle Verehrung mit wohlfeiler Bescheidenheit abzutun. Müller muss miterleben, wie er zum kleinen dicken Mann herabgewürdigt wird, der immer nur wumms gemacht hat, während Beckenbauer sich adeln, vergöttern und nachhaltig hochleben lässt.Als gänzlich unironisch zeigt sich das Schicksal hier, unantastbar lässt es Beckenbauer durch die Historie schweben, als Weltmeistertrainer, WM-Klarmacher, stets eleganter Launebär – während Müller im Suff versinkt, sich dann von alten Mitspielern und Konkurrenten das Gnadenbrot als Nachwuchstrainer reichen lassen muss und von einer Demenzerkrankung ereilt wird. Das alles ist mehr als genug, um Leser an der Ungerechtigkeit des lieben Gottes verzweifeln zu lassen. Was die Ungerechtigkeit des menschlichen Weltgetriebes angeht, Mauscheleien, Gaunereien und Korruption, die den FC Bayern dorthin geführt haben, wo er heute steht – die wären natürlich unbedingt ein Buch wert gewesen, doch Woller sagt es selbst: Die Überlieferung ist dürftig, die bayerische Omertà von krachlederner Zähigkeit.Mit der Schürflust des Historikers hat Woller ein paar Dinge aus den 70ern noch einmal ans Tageslicht geholt, die der FC Bayern sich in keine Vereinschronik schreiben wird: Steuerbetrug war gang und gäbe, oft genug stand der Verein selbst vor dem Absturz, immer wieder waren schwarze Einnahmen die Rettung, namentlich auf Freundschaftsspielreisen ins Ausland, mit Zwischenlandung in der Schweiz auf dem Rückflug. Sie kungelten heftigst mit der Politik, die Nähe zwischen CSU und dem FCB war fast schon intim, Steuererleichterungen wurden geschaffen, Augen zugedrückt, Spieler bekamen Jobs zugeschanzt und machten im Gegenzug Werbung für die Staatspartei, es ist die Geschichte des Kapitalismus, wie er auch im Fußballgewerbe seinen Erfolgszug angetreten hat: Geh in die Vollen, verschulde dich, knüpfe Kontakte, werde „too big to fail“. Am Ende werden sie dir mit Steuergeldern den Arsch retten, und alle, inklusive der Betrogenen, werden Beifall klatschen dazu. Ähnliche Geschichten gibt es aus allen Bundesligastandorten zu erzählen, von hier aber hätte man sie besonders gerne gehört.Placeholder infobox-1
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