Streikrecht für Lyriker

Irre Die SPD hat in der Berliner Kulturbrauerei auf Kultur gemacht und dabei mächtig viele Ideen präsentiert
Ausgabe 36/2013
Eine Bürgerin hat dem Kompetenzteam eine Schneekugel geschickt, mit Peer Steinbrück drin und der Bemerkung: „Lieber ein eckiges Etwas als ein rundes Nichts!“
Eine Bürgerin hat dem Kompetenzteam eine Schneekugel geschickt, mit Peer Steinbrück drin und der Bemerkung: „Lieber ein eckiges Etwas als ein rundes Nichts!“

Foto: Justin Metz/IKON IMAGES/ dpa

Die Berliner Kulturbrauerei steht da seit dem 19. Jahrhundert, viele fleißige Hände haben einst Ziegel aufeinandergetürmt zu einem Trutzbau, von dem man nicht recht weiß, wogegen er trutzt, und der vor Zeiten dennoch eine sinnreiche Anlage war. Mit Kesselhaus, Gärhaus, Kantine, Schmiede, Pferdeställen und allem. Mittlerweile hat natürlich längst die moderne Gesellschaft Einzug gehalten: Rock-Konzerte gibt es da jetzt, Kino, Lyrik, Diskothek. Und sogar Kulturpolitik! Die SPD hat zu einer großen Wahlkampfveranstaltung eingeladen, bei der, Zitat Parteichef, auch „das Künstlerische nicht zu kurz kommt“.

Es ist voll im „Palais“ der Kulturbrauerei, stimulierend schwappt der Weißwein, das zumindest weibliche Publikum freut sich in geblümten Blusen. Der scharfe Beobachter kann sogar einen Fernsehschauspieler unter 50 ausmachen, und ein Mitglied des schreibenden Prekariats, sich selber nämlich. Sonst vorwiegend Aquarellmaler. Das wird Oliver Scheytt, den Kulturkompetenten aus Peer Steinbrücks Team, aber nicht davon abhalten, ein entschlossenes „Liebe Künstler, Autoren, Kulturschaffende!“ in den Saal zu rufen – schließlich müssten die ja, gemäß Plan, hier irgendwo anwesend sein.

Julian Nida-Rümelin ist da

Erst ist allerdings Julian Nida-Rümelin dran, welcher mihilfe profunder Geschichtskenntnis Kultur, Partei und Brauerei zu einer unauflöslichen Einheit verschmilzt: 150 Jahre alt, sagt er, sei ja die SPD jetzt, nur um sich geschickt immer tiefer in die Historie fallen zu lassen, bis er irgendwo wieder einen Faden findet: Wenn man nur weit genug zurückgeht, vor die Gründung von Lassalles Arbeiterverein, dann ist die Sozialdemokratie im Prinzip als Kulturbewegung entstanden! Um das zu sagen, braucht er eine ganze Weile, aber er macht das sehr gut, frei auf der Bühne, athletischer Körper, Mikrofon fest in der Rechten, Mikrofonarm fest umklammert von der Linken.

Männer wie ihn braucht die SPD: Er stamme ja, sagt er, aus einer Künstlerfamilie! Dasselbe wird dann später auch Oliver Scheytt ins Feld führen, auch er kommt aus einer Künstlerfamilie, er habe sogar über Kunst und Kultur promoviert (eine Jura-Diss über Musikschulen nämlich, wie wir fasziniert herausbekommen). Zehn Punkte hat er auch mitgebracht, für eine aktivierende Kulturpolitik. Ausrufezeichen.

Scheytt ist für Freiheit und Solidarität. Er will ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz, er will das Urheberrecht vernünftig reformieren, die Kreativen besser absichern, die Buchpreisbindung erhalten. Zudem vertritt er die Ansicht, dass „die Kreativen“ den „Rohstoff des 21. Jahrhunderts produzieren“. Wobei Rohstoffe ja, anders als Flügelschrauben oder Leichtholzbretter, eigentlich eher geschürft oder gefördert werden, naja. Arbeitszusammenhänge bei Kreativen sind halt ziemlich undurchschaubar.

Sicherheitshalber fordert Scheytt, „dass der Mindestlohn auch dort Einzug hält! 8,50 Euro! Das würde vielen helfen!“ Der Redner ist dabei froh, wenn er etwas pointieren kann, er hat nämlich eine Methode entwickelt, mit rhythmischer beidseitiger Armgeste Gesagtes zu unterstreichen, wobei er die eigentlich zu erwartenden Fäuste feingeistig in nach oben weisende, zwiebelförmig an den Spitzen zueinandergeführte Finger verwandelt hat, ganz wie es Jürgen Kohler in seiner Turiner Zeit tat, um mit den Schiedsrichtern zu diskutieren. Was die Wahl angeht, so ist Scheytt zuversichtlich. Eine Bürgerin habe dem Kompetenzteam eine Schneekugel geschickt, mit Peer Steinbrück drin und der Bemerkung: „Lieber ein eckiges Etwas als ein rundes Nichts!“ Da habe man aber gelacht im Team. Man habe nämlich, anders als es immer in den Medien stehe, sehr gute Stimmung!

Bevor diese Nachrichten aus der politischen Realität uns erreichen, bekommt ein erster Schwung schreibender Geistesarbeiter die Gelegenheit, aus eigenen Texten zu lesen. Zunächst tritt der vergleichsweise jugendliche Michael Kumpfmüller, 52, an. Aus seinem Werk Nachricht an alle liest er den „Chor der Bürokraten“ und den „Chor der Steuerberater“, in denen zunächst lauter Klischees über Bürokraten, dann aber lauter Klischees über Steuerberater aneinandergehängt werden und die Spannung beim Zuhören ins Unermessliche steigt: Wann und wie wird die ironische Brechung kommen? Bei der Lesung kommt sie noch nicht. Das ist sicher als ein zusätzlicher Kaufanreiz gedacht.

Als Nächste liest die beinahe ebenso jugendliche Franziska Sperr, 64, die nicht zu kennen einfach nur von unsolidarischer Ignoranz des unterzeichnenden Berichterstatters zeugt, und die geschickt an den Wahlkampf andockt, indem sie findet: Ihre Geschichte handele von Träumen, und träumen werde man ja noch dürfen. Dass Rot-Grün gewinnt nämlich! (Folgt Geschichte.) Anschließend entert Jens Sparschuh, 58, die Bühne, der, nicht unsympathisch, den Begriff der Arbeit thematisiert (welche heute viel öfter freiberuflich stattfinde als früher) sowie auch eine alte Schreibmaschine. Sparschuh bedauert, dass Lyriker kein Streikrecht haben.

Damit ist der Boden bereitet für eine intensive halbstündige Debatte, an der der bekannte Siebzigerjahre-Plakatmacher Klaus Staeck teilnimmt, dann wieder Scheytt, dann, von einem exotischen Hauch praktischer Ahnung umspielt, Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat. Sowie Gesche Joost, 39, um die es ein wenig Verwirrung gibt. Sie hat wohl irgendwie Kenntnisse der digitalen Welt, jedenfalls, sagt Gastgeber Wolfgang Thierse, habe er sie beim letzten Mal falsch vorgestellt, sie sei aber Professorin für Informationsdesign. Wieder falsch, lacht Gesche Joost, sie habe eine Professur für Designforschung. Das sei aber auch etwas ganz Neues.

Olaf Zimmermann jedenfalls möchte, dass der Bundeszuschuss zur Künstlersozialversicherung erhöht wird. Kultur- und Medienbereich müssen unbedingt aus dem derzeit verhandelten Freihandelsabkommen mit den USA ausgenommen werden. Gesche Joost findet: Nutzerinnen und Nutzer müssen begreifen, dass das Werk einen Wert hat, illegaler Download ist kein Kavaliersdelikt! Klaus Staeck erntet einen überraschenden Lacherfolg mit dem seit Jahrzehnten wiedergekäuten Valentin-Zitat „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“. Scheytt ergänzt, die Musikschulen seien top organisiert in Deutschland, er sei selber neun Jahre im Vorstand gewesen, in Berlin gäbe es da aber nur Honorarkräfte, und das sei ein ganz großes Problem, über das er demnächst mit Wowereit reden werde.

Dann scharren die nächsten Autoren mit den Hufen. Wahlkampf für die SPD, das will man sich nicht nehmen lassen, alle vier Jahre ist einem das ein innerer Osterspaziergang. So gibt Friedrich Dieckmann, 76, ein Grußwort an Wolfgang Thierse zu bedenken, Johano Strasser, 74, liest eine heitere Geschichte, die davon handelt, wie man sich auf Kulturbetriebspartys interessant macht, und Tilman Spengler, 66, zitiert im Stil einer Nachrichtenmeldung aus einer Weihnachtsansprache des Bundeskanzlers Peer Steinbrück von 2013, die schnell auf eine einigermaßen lustige Pointe zuläuft, die dann zehn Minuten lang um- und umgewendet wird. Wozu auch immer dieses menschenverachtende Effizienzdenken!

Und Eva Menasse auch

Das alles hat durchaus kabarettistisches Niveau, und Kabarett ist ja die Kulturform, die der Sozialdemokratie am nächsten kommt: kritisch, außer gegenüber dem Zuhörer, nicht zu schwer verständlich, menschenvermassend: Knuffige Zampanos halten Reden, die jeder hören mag, und wirken zutiefst ärmelschonertragend menschlich dabei. Ein paar Momente exquisiter Kampfstimmung kommen auch noch auf. Für die sorgt Küken Eva Menasse, 43: Mit Furor verzichtet sie auf die Verlesung von Literarischem, hält dafür das Parteibuch ihres Wiener Opas hoch, der am 1. Mai 1945 in die SPÖ eingetreten sei.

„Falsch“, „infam“ und „gleichgeschaltet“ hätten die Medien Rot-Grün 2005 niedergeschrieben, und auch Peer Steinbrück, dieser erfahrene, kompetente, international hochgeschätzte Mann, habe eine „beispiellose Schlammschlacht“ hinter sich. „Tun wir also etwas für den Wechsel!“ Das macht sie toll, die Anwesenden spenden, jeder wie er kann, einen warmen Applaus. Später darf man sich noch auf einen roten Klappstuhl setzen und in eine Kamera hinein seine unverblümte Meinung sagen. Draußen vor dem Palais, zu Brauereizeiten übrigens der Flaschenkühlraum.

Klaus Ungerer ist Schriftsteller und Gerichtsreporter

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