Und jetzt in die Kurve

Fußball Drei Bücher über diesen Pep (Guardiola), verkommene Fanfolklore und Defizite im Spiel der Türken
Ausgabe 40/2014

In den Anfangszeiten des Fußballs waren Trainer unbekannt. Es gab: zwei hingezimmerte Tore, mit Glück ein paar Eckfahnen, 44 grätschende Beine. Wohin die zu laufen und wann sie den Ball wo hinzuschießen hatten, hing von den 22 aktiv am Spiel beteiligten Gehirnen ab sowie vielleicht von Zurufen aus dem näheren Umfeld. Die ersten Taktikbesprechungen gingen über „Lasst uns die weghauen!!!“ wohl kaum hinaus. Erst spät begann sich die Position des Coachs herauszubilden.

Die deutsche Nationalmannschaft kam bis 1926 gut ohne Nationaltrainer aus, und blättert man durch das Kicker-Heft 100 Deutsche Meister, schleichen sich erst in den 50er Jahren dann und wann ältere Herren mit auf das Foto der Meistermannschaft, als Erster Georg Wurzer vom VfB Stuttgart. Den muss man erst mal nachschlagen. Spätere Champions sind dann kaum noch denkbar ohne ihre Weisweiler, Lattek, Hitzfeld. Und Borussia Dortmund hat seit 2008 einen Trainer (Jürgen Klopp genannt Kloppo), der viel mehr für den Verein und seine Spielkultur steht als jeder einzelne der Spieler, die er in nie gekanntem Ausmaß Gras fressen lässt, dass die Netzers und Beckenbauers der 70er längst abgewunken und sich eine solvente Regionalligatruppe gesucht hätten.

Ein Jahr den Mund halten

Es lag auf der Hand, dass der FC Bayern sich den Star der Trainergilde zulegen musste: Pep Guardiola. Der Mann, der die größte Ära des FC Barcelona prägte. Der Mann, über den es bereits zu noch recht jugendlichen Lebzeiten diverse Biografien gibt. Nun ist ein Buch draußen, das über die bisherige Berichterstattungskultur noch hinausgeht: Herr Guardiola, so der Titel, hat seinen eigenen Leibschreiber dabei, Martí Perarnau, der ein Jahr im Trainerleben dokumentiert und somit die Biografie der kürzlich abgelaufenen Saison geschrieben hat. Dafür ging er einen Pakt ein: Ein Jahr lang genießt er recht große Nähe zu Trainer und Team, ein Jahr lang muss er dafür aber auch den Mund halten – embedded Sportjournalismus. Das derart entstandene Buch zerfällt in erleuchtende Einblicke und Abgeschmacktheiten, wir wollen zunächst die guten Dinge benennen: Der Autor schafft eine Grundsympathie für Guardiola, seine Mission und seine Visionen. Selbst als leidenschaftlicher Bayern-Verächter kann man sich hineinsaugen lassen in Peps Welt; mehr als in handelsüblichen Fußballartikeln bekommt man eine Vorstellung davon, wie weit ein solcher Mann vorausdenkt, wie er eine Mannschaft komponiert und austariert, wie er von einer Idee, einer Ahnung manchmal nur ausgeht – so wie ein Komponist vielleicht von einer Melodie oder einer Stimmung, um eine Sinfonie zu erschaffen. Fußballtaktik wird hier erahnbar als menschliche Ausdrucksform.

Klaus Ungerer lebt als Autor in Berlin, er ist lebenslanger Fan des VfB Lübeck und Mitglied bei Hertha BSC

Auch verblüfft die katalanische Perspektive auf den deutschen Fußball. Man staunt, dass Guardiola sämtliche hiesigen „Titel“ wirklich ernst zu nehmen scheint, darunter auch solche, die als Saisonaufgalopp fürs Fernsehen erfunden worden sind, oder die diversen Supercups, die nur aus einem einzigen Spiel bestehen. Endspiel ist Endspiel in Guardiolas Welt, er schmückt sich stolz noch mit Titeln, über die man, deutsch geprägt, eher lächeln würde.

Deutscher Fußball, folgt man dem Buch, scheint vor allem aus enormem läuferischen Einsatz zu bestehen. Und ein Spieler wie Thiago Alcántara, der erste von Pep nach München transferierte Spanier, steigt zum messianischen Dreh- und Angelpunkt des Spiels auf, während er dem deutschen Fußballfreund immer als einer unter vielen sehr guten Kickern erschien. Solcherlei Einschätzungen bieten Schlüssellochmomente, über seinen Martí Perarnau glaubt man, Einblicke in Guardiolas Kopf zu haben.

Die Schwächen des Buchs ergeben sich aus seinen Produktionsbedingungen: Die Spieler, die im Nachklapp als Informationsquellen genannt werden, erscheinen von enormer Wichtigkeit für das Bayern-Team – während andere bekannte Namen irgendwie abtauchen. Das Werk, über 400 Seiten stark, trägt alle Merkmale überhurtiger Lektorierung: redundante Erläuterungen, Wiederholungen ganzer Zitatpassagen, teilweise unklare taktische Begrifflichkeiten. Das Blödeste aber bleibt doch im Nachschmecken der Lektüre: Dass es dieses Buch überhaupt gibt. Denn so wie es Sympathie einwirbt für Pep und wie man ihm überwiegend interessiert folgt durch sein Jahr bei den Bayern – verpufft doch auch die Sympathie wieder, wenn einem wieder klar wird: Dieser Mann hält sich einen Hofautor.

Christoph Biermann hat das nicht nötig. Er war für die Süddeutsche und den Spiegel aktiv, mittlerweile gehört er zur Chefredaktion des Magazins 11 Freunde. Biermann hat sich auf eine Reise in die Heimat gemacht, und seine Heimat, nahezu schon archetypisch für deutsche Geschichten vom Fansein, ist das Ruhrgebiet. Vom Ruhrgebiet handelt das Buch, von seinen sterbenden oder umbrechenden Städten und ihren knapsenden oder (seltener) prosperierenden Fußballvereinen, von tapsigen Versuchen, die Zukunft zu erreichen, von Mythen, die der Überprüfung nicht standhalten. Etwa schwindet das beliebte Bild vom ehrlichen, rauen Malocherfußball, spürt man den Meistermannschaften von Schalke 04 nach: Von diesen Jungs sind die wenigsten ernsthaft in die Gruben eingefahren, ihre Glieder waren viel zu kostbar dafür. Was heute die Millionenverträge sind, war damals der sichere Job bei einem Sponsor des Klubs, wo man die Knochen fürs Wochenende schonen konnte. Und keineswegs wurden die Schalker der 30er Jahre mit Tiefflug und Beißen zum Serienmeister. Ganz im Gegenteil war der „Schalker Kreisel“ ein vorweggenommener FC Barcelona, ein technisch hochstehendes Ballbesitzkurzpassspiel: Schalke 04, die „Knappen“, sie schoben eine distinguierte Kugel, und der Liebe der Fans tat das keinen Abbruch.

Fans können eben über manches hinwegsehen. Zur Not kreieren sie sich ihre eigene Realität. Biermann ist ein Skeptiker, ein Realist. Obwohl Fan des VfL Bochum, ist er für die meisten ruhrgebietsfolkloristischen Mätzchen nicht zu haben, die er nacheinander dekonstruiert. Er lässt den Strukturwandel nicht als Ausrede für Klubhavarien gelten. Trifft Jungfußballer, die trotz allem Fansein einen kühlen Karriereplan verfolgen. Er gibt sogar zu, dass Tradition nur richtig Spaß macht, wenn sie auch von Erfolg begleitet wird. All das ist löblich. Wenig nachvollziehbar allerdings, warum der Verlag diesem Ruhrgebietsfußballbuch eine so wolkige Aufmachung verpasst hat: Wenn wir vom Fußball träumen als Titel, dazu ein Schnappschuss in den Himmel mit Flutlichtmast – hier ist das Fußballfansein nicht verstanden worden.

Ein Doppeldutzend Ohrfeigen

Wie gut, dass der Fan heutzutage gar nicht mehr angewiesen ist auf Vordenker und Verlage. Heute kann er sich in der schlaflosen Nacht nach dem letzten Quälkick hinsetzen und am eigenen Buch werkeln. Und so kommen wir zur Abrundung unserer Fußballlektüre in den Genuss des wackeren Bändchens Nicht gut genug von Davut Cöl. Cöl ist Fan der türkischen Nationalmannschaft. Im Lauf seines Lebens hat er viel leiden müssen. Ein, zwei gelungene Turniere. Meist aber haben die Türken sich gar nicht erst qualifiziert. Cöl spürt mit jeder Faser, dass es so nicht weitergehen kann, und da der Fan immer auch Idealist ist, hat er seine Analyse selber herausgebracht via epubli. Er hat die Schwächen seiner Herzensmannschaft durchgezählt, 24 Stück, er wäre bei näherem Nachdenken vermutlich auch auf 240 gekommen: „Querpässe führen zu nichts“, „Das eigene Spiel wird nicht hinterfragt“, „fehlender Teamgeist“, „keine Gefahr bei Standardsituationen“, so und ähnlich schallt das Doppeldutzend Ohrfeigen, und der Autor gibt auch 24 Ratschläge zur Behebung der Not, etwa: „Wenn sich die türkische Nationalmannschaft verbessern will, dann muss sie jedes Qualifikationsspiel sehr ernst nehmen und sich viel stärker konzentrieren.“ Oder: „Um erfolgreich zu sein, müssen sich die türkischen Spieler, Trainer und Medien einen anderen Ton angewöhnen. Sie müssen demütig sein und den Gegner mit mehr Respekt behandeln.“ Ach! Man kennt das ja: Unser 12er sollte mit weniger Speck aus dem Urlaub kommen, der Trainer mal mit zwei Stürmern spielen lassen! Die Berliner Presse ihre Störfeuer einstellen! Ach, das sind so Wünsche.

Cöl ist einer von uns, von fern versucht er irgendwie einzuwirken auf das ewig gleiche Elend, so wie wir hier oben auf der Tribüne, oder in der Ostkurve, mit Schals wedelnd, sehr laut brüllend mit dieser Verzweiflung, die noch für manches Buch reichen würde.

Herr Guardiola. Das erste Jahr mit Bayern München Martí Perarnau Kunstmann 2014, 320 S., 19,95 €

Wenn wir vom Fußball träumen. Eine Heimreise Christoph Biermann Kiwi 2014, 256 S., 18,99 €

Nicht gut genug. Die 24 Schwächen der türkischen Fußballnationalelf Davut Cöl epubli , 104 S., 7,99 €

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