Unser Wille geschehe

Feiertage Mit ihnen definiert eine Gesellschaft ihre Werte. Der Westen kreist dabei um ein religiöses Buch. Warum?
Ausgabe 10/2019

Mein liebster Spaß ist immer Pfingsten, da kann man viele wunderliche Blicke ernten. Rückt das Fest näher, mitsamt seinem freien Montag und vielleicht sogar noch ein paar köstlichen Tagen „Pfingstferien“ drumrum, laufe ich durch die Reihen der Freunde, der Kollegen. Und frage: „Hör mal, was ist dieses Pfingsten eigentlich? Was feiern wir da?“

Irgendwas mit Gott und Jesus, so viel bieten die meisten noch an. Mancher Halbsatz fällt, wonach irgendeine Person, auf die man sich jetzt nicht festlegen möchte, in den Himmel geflogen sei – Maria vielleicht? Das Gestotter ist groß, die Stirnfalten klaffen. Zum Glück kommt dann ja ein langes Wochenende, um sich vom Schock zu erholen.

Nun kann man sagen: egal. Hauptsache frei. Hauptsache mal durchschnaufen vom Kapitalismus, vom Druck dauernd und blöden Kollegen, die einem schlau kommen wollen. Aber Feiertage sind etwas anderes als einfach nur frei. Feiertage sind eine Chance und Verpflichtung. An ihnen kann eine Gesellschaft zeigen, wofür sie zu stehen glaubt, kann abfeiern, was sie für ihre Tugenden, ihre Gerechtigkeit, ihre Errungenschaften hält. Ohne Feiertage, so könnte man sagen, ist kein Staat zu machen. Die einen feiern da stolz ihre Unabhängigkeit, die anderen ihre Befreiung vom Joch der Despoten, die nächsten den Geburtstag des Anführergroßvaters ...

Welche Gründe zu feiern haben wir, als Vorzeigenation des Westens? Wo immer so viel von unseren Werte die Rede ist? Haben wir einen Tag der Demokratie, einen der Menschenrechte, hotten wir mal aufs Grundgesetz ab? Gedenken wir unserer Erfinder, Mediziner, Freiheitshelden, finden wir vielleicht sogar einen verehrungswürdigen Politiker in der Erinnerungskiste? Wie viele Autorinnen, Komponisten, Philosophen leben hier hoch, hoch, hoch?

In Deutschland gibt es regionale Unterschiede. Landesweit verpflichtend sind neun Feiertage. Sie sind die Essenz dessen, oder sollten es sein, wofür unser Gemeinwesen steht: Da ist der 1. Januar, über den wir, hicks, nicht zu reden brauchen. Da ist der 1. Mai, den der tüchtige Reichskanzler Hitler 1933 eingeführt hat, der allenthalben, hicks, hicks, gern genommen wird und vage an die Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts gemahnt. Da ist der 3. Oktober, der einen kurzen Abschnitt der deutschen Geschichte hochjazzt, die Ost-West-Trennung 1945 bis 1990. Der Rest der Geschichte dieses Landes (und Europas) kommt ohne Feiertag aus. Alle die großen Geister, die großen Ideale kommen ohne Feiertag aus.

Mit Superbaby durchs Jahr

Denn an den anderen sechs Feiertagen, um es kurz zu machen, feiern wir Märchengeschichten aus der Antike: Wir feiern, dass in einer alten Sage aus dem Vorderen Orient ein Baby mit Superkräften geboren worden ist. Feiern, dass das Baby als erwachsener Mann erst ordnungsgemäß starb und dann, hoho!, doch wieder lebendig wurde. Wir feiern, dass der wiederbelebte Superbabymann, nachdem er zombieartig vierzig Tage durch die Gegend eierte, in den Himmel geflogen ist. Und dann, aber das müssen Sie selber nachschlagen, feiern wir noch Pfingsten.

Das ist wirklich wahr. Das ist unsere Selbstvergewisserung. Es ist das Jahr 2019.

An dieser Stelle kommen jetzt die Christen daher und beten ihre frommen Halbwahrheiten runter: Unser Grundgesetz gründe auf der Bibel und auf den Predigten des Superbabymannes. Traditionen müsse man wahren! Deutschland sei nun mal eine christlich geprägte Nation.

Das ist natürlich Bullshitterei: Deutschland ist auch eine Autobahn-geprägte Nation, eine Reichtums-geprägte Nation, eine Gruselschlager-geprägte Nation, eine Aldi-geprägte Nation. Christentum? Na ja. Tatsächlich sind die Religionsfreien mittlerweile die größte konfessionelle Gruppe im Land; gerade noch die Hälfte der Leute ist Mitglied in einer der beiden großen Kirchen, Tendenz: Orkus. Aber das ist noch nicht mal das Argument. Selbst wenn 99,9 Prozent der Deutschen in der Kirche wären, so wäre diese dennoch nicht mit dem Staat zu verwechseln. Wir haben nämlich eine Religionsfreiheit, auch als Freiheit von Religion: Keine der Tausenden konkurrierenden Gottheiten dürfte vom Staat priorisiert werden. Da hilft auch Tradition, vulgo: Alter, nicht weiter. Denn jede Tradition hat auch eine Aussage. Niemand fordert die guten alten Menschenopfer der Maya zurück, oder, deutscher, das Hineinschubsen Verurteilter in Moore. Niemand will die ehrwürdige Sitte der Sklavenhaltung wiederbeleben, wie sie etwa im Alten Testament gänzlich unhinterfragt geblieben ist.

Das Argument vom Christentum als Grundlage des modernen Zusammenlebens ist ein zynischer Gag: Alles, was wir im Westen an Ideen von Toleranz, Freiheit und Menschenwürde haben, ist gegen den erbitterten Widerstand der Kirche über Jahrhunderte durchgekämpft worden. Wer im Christentum eine Grundlage westlicher Werte erkennen will, hat nie die Zehn Gebote gelesen, wie sie im Kontext des 5. Buch Mose stehen: Da wird fleißig gesteinigt, gekillt und verstümmelt, alles auf gesetzliche Weisung des lieben Gottes, der mit seinen Geboten nur eine In-Group kreiert hat, sein auserwähltes Volk, gegen das alle anderen sterben gehen können.

Nun haben wir den Frauentag. Berlin hat ihn zum Feiertag erhoben. An diesem Tag darf man gerne mal hinschauen. Was das für eine Ideologie ist, der wir den Großteil unserer Feiertage widmen. Wenn man den abgenutzten Begriff des Patriarchats mal hervorholen darf: Das Christentum ist seine Religion. Seine mythische Überhöhung. Das Christentum ist das Instrument, mit dem das Patriarchat sich aller Hinterfragbarkeit zu entziehen suchte: indem es die Herrschaft der Männlichkeit heiligte.

Gott ist ein Kerl. Er schwängert ungefragt eine Frau. Die kriegt dann einen Sohn. Dann ist Gott doppelt, ein doppelter Mann. Irgendwann kommt noch der Heilige Geist hinzu, wie und wann verraten wir nicht, aber er könnte auch einfach eine lausige Übersetzung sein, jedenfalls hat die Kirche ihre liebe Mühe, seiner Figur irgendeinen nachvollziehbaren Sinn einzupusten, eines ist er jedoch definitiv nicht: eine Frau. Frauen sind kein Gott, Frauen sind keine Jünger, Frauen sind keine katholischen Priester, Bischöfe, Kardinäle und Päpste, seit zweitausend Jahren nicht. Frauen haben in diesem ganzen lebensfeindlichen, bildungsfeindlichen Brimborium des kirchlichen Denkens nur einmal eine zentrale Rolle: die, die verkackt. Eva. Die zu neugierig ist. Die sich vom Obermacker in den Wolken nicht alles vorschreiben lassen will. Kriegt von ihm eine Falle gestellt, mit der Frucht am Baum. Fällt rein. Game over.

Die ganze Geschichte ist nicht nur misogyn bis ins Mark. Sie ist auch, für jeden Menschen, der an die Idee der Menschenrechte glaubt, zutiefst abstoßend. Der Mensch hat hier keinen eigenen Wert, er ist der Spielball des Gottes. Er ist nicht befugt, sich selbst zu organisieren; von ihm wird die totale Unterwerfung verlangt. Dass die Frau dem Manne nachrangig ist, wird gerne betont: Noch in den hochgelobten Zehn Geboten stellt der Gott sie dem Vieh gleich, als eines der Besitztümer des Mannes.

Her mit dem Hasenfest

Jeder Feiertag ist eine Chance. Woran wollen wir erinnern? Auf welche Werte uns besinnen? Der Rückgriff auf sechs Feiertage aus einem religiösen Buch ist mehr als ein Kuriosum. Hier wird sich um eine Identifikation gedrückt: Wer sind wir? Was ist uns wichtig? Wo wollen wir hin? Ob man den Frauentag für eine gute Idee hält oder lieber ein bisschen maulig ist deswegen: Seine Einführung ist ein Schritt hin zu einer Selbstdefinition, vielleicht auch einer Befreiung: Lasst uns doch im Frühling das Hasenfest begehen, einfach so, aus Spaß, und am 25. Dezember Isaac Newtons Geburtstag, lasst uns die bizarren, archaischen Geschichten von Christi Himmelflug und von Pfingsten knicken und überlegen, was wir feiern wollen.

Soll es, in Deutschland, der Verkündungstag des Grundgesetzes sein (23. Mai), der Tag der Nationalversammlung in der Paulskirche (18. Mai), der Kieler Matrosenaufstand (3. November)? Werden wir uns endlich wieder auf die zwölf Artikel von Memmingen besinnen, in denen 1525 erstmals auf europäischem Boden Freiheitsrechte eingefordert wurden? Wird des Versicherungsangestellten Franz Kafkas Geburt nun Feiertag (3. Juli), oder wollen wir doch lieber dem Feudalbeamten Herrn Goethe gratulieren (28. August)? Was ist Deutschland? Bislang, was die Feiertage betrifft: ein Land mit wenig Fantasie und ohne rechten Charakter.

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