Die populärste Deutschrockband der Gegenwart kommt aus – Italien. Also aus Südtirol. Deutschrock, das ist harter, maskuliner Rock mit deutschen Texten, nix Grönemeyer, nix Westernhagen. Die Überväter des Genres sind die Böhsen Onkelz – neben den Zillertaler Schürzenjägern die erklärten Vorbilder von Freiwild. Andere populäre Deutschrock-Bands heißen Ehrentod, Vollblut oder Haudegen, so steht es in Klaus Farins kiloschwerem Buch Frei.Wild – Südtirols konservative Antifaschisten. Neben Biografischem und Hochglanzfotos enthält es eine sogenannte Fanstudie, da werden Freiwild-Fans vom rechten Rand befragt. Farin geht ähnlich vor wie in seinem Bestseller Buch der Erinnerungen – Die Fans der Böhsen Onkelz. Sage und schreibe 4.206 Freiwild-Fans hat er interviewt, macht 4.206 potenzielle Käufer.
Als langjähriger Leiter des Archivs der Jugendkulturen legt Farin Wert auf Basisnähe, das Autorenfoto zeigt ihn in Jeansjacke zu behaarter Brust. Das Haupthaar hat er zu einem spitz zulaufenden Stachel arrangiert, Klaus Farin, Jahrgang 1958, trägt Iro. Und kumpelt sich bei den bodenständigen, von keiner intellektuellen Hybris verbildeten Freunden von schlichter, harter, deutsch(sprachig)er Rockmusik an, über die in der (Lügen)Presse ja gern mal gelästert wird. „Farin scheint sich gänzlich der freiwildschen Opferrolle angeschlossen zu haben und geriert sich entsprechend als Retter der ewig Missverstandenen, dessen selbsterklärtes Ziel es ist, ,mit einem Buch zurückzuschlagen‘.“ Sagt Thorsten Hindrichs. Der Mainzer Musikwissenschaftler wurde für Farins Buch interviewt und ist vom Resultat entsetzt: „Was ich andernorts über Freiwild geschrieben habe, gilt offenbar auch für Farins Fanstudie: Dieses Buch ist eine wissenschaftliche Mogelpackung und schlicht populistisch. Besonders niederschmetternd ist der Abdruck des Interviews mit Frank Krämer von Stahlgewitter, in dem der teils übelst rassistischen Dreck von sich geben darf, ohne dass Farin auch nur im Geringsten kritisch dazu Stellung bezöge.“ Farin dagegen schreibt im Vorwort: „Tabus und (Selbst-)Zensur dienen niemals der Aufklärung“.
Tatsächlich klärt das Buch auf über die Welt von Freiwild und ihren Freunden. Wenn etwa Stahlgewitter-Krämer für Ordnung sorgt bei den Geschlechtern: „Bei uns dürfen Frauen noch Frauen und Männer noch Männer sein.“ Und das ethnopluralistisch begründet: „Für mich besitzt das völkische Denken die einzige Weltanschauung, die den Menschen mit all seinen Unterschieden wie Rasse und Geschlecht nicht in eine Einheitsform presst, wie es der staatlich propagierte widernatürliche ‚Gender-Mainstream‘ versucht.“ Bei Freiwild klingt das so: „Ich scheiße auf Gutmenschen, Moralapostel … ich hasse sie wie die Pest.“
Einblicke in die Werte der konservativen Antifaschisten gibt Freiwild-Sänger Philipp Burger, einst in der rechten Skinband Kaiserjäger: „Familie ist das wichtigste Gut auf Erden.“ Bei der Erziehung seiner Kinder lässt er eine „gewisse Strenge“ walten. Freiwild sind bekennende Biertrinker, von Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll halten sie nichts: „Was bringt dir Sex mit einer 2.000-mal durchgebumsten Nutte?“ Ob sie sich eine Musikerin bei ihnen vorstellen könnten? „Niemals“, sagt Burger, „da Regelbeschwerden, da eine Schwangerschaft.“
Freiwild verkörpern den soldatischen Mann, wie er in Klaus Theweleits Männerphantasien steht: verbündet im homosozialen Raum Rockband, bedroht von den roten Fluten der Frau. Mit ihrem demonstrativen Maskulinismus machen sich Freiwild zum Sprachrohr einer verunsicherten Männlichkeit, wie die Böhsen Onkelz. Wie ihre Idole sind Freiwild Helden des White Trash, die Stimme der Modernisierungsverlierer, die auf die ökonomische Globalisierung mit kultureller Reprovinzialisierung reagieren. Freiwild sprechen denen aus der Seele, die sich mit der AfD und Thilo Sarrazin als Opfer sehen: entmündigt von der Diktatur der politisch Korrekten, umstellt von Spielverderbern, enerviert vom Genderwahn, überwacht von der linken Sprachpolizei. Zuflucht verspricht die heimatliche Scholle: „ Ja unser Heimatland, es ist so wunderschön / Das kann man auch an unsren Bergen sehn“, reimen Freiwild in Südtirol, einem ihrer populärsten Songs, nicht ohne zu drohen: „Südtirol, du bist noch nicht verlor’n / In der Hölle sollen deine Feinde schmor’n.“
So inszenieren sich die Volksrocker als identitäre Freiheitskämpfer gegen die angebliche „faschistische Besetzung“ Südtirols durch die Italiener: „Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen? / Wenn ihr euch ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen!“
Bei Pegida-Demonstrationen und der NPD heißt es: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen.“ Der Musikwissenschaftler Hindrichs attestiert Freiwild „Blut-und-Boden-Ideologie“. Für Farin sind sie „konservative Antifaschisten“, schließlich mögen sie keine Nazis. Das Buch schildert auch Vereinnahmungsversuche von NPD, den Freiheitlichen in Österreich und rechtsradikalen Plattenlabels, Freiwild sind da meist Opfer dunkler Machenschaften. Die entscheidenden Fragen werden nicht gestellt: Warum hat die Band so viele rechte Fans? Warum suchen Neonazis ihre Nähe?
Weil Freiwild rechtsoffen sind. Rechtsoffen – sagt Thorsten Hindrichs – heißt: „Sie arbeiten mit Sujets, die für extreme Rechte anschlussfähig und zustimmungsfähig sind … die sind nicht rechtsradikal, die sind nicht Grauzone, die sind rechtspopulistisch.“ Anders gesagt, es lebe der feine Unterschied: Freiwild sind keine Rechtsrockband. Aber eine rechte Rockband.
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