Unter dem selbstironischen Titel Flogging a Dead Horse (ein totes Pferd verhökern) verhökerte die Plattenfirma Virgin 1980 Hits und Outtakes der dahingeschiedenen Sex Pistols. Flogging a Dead Frog heißt das neue Album der „linksradikalen“ (Wikipedia) Goldenen Zitronen, laut Plattenfirma „seit 30 Jahren Institution der Kritik an bundesdeutscher wie (punk)rockistischer Authentizitätsideologie“. Antiauthentisch plündern die Zitronen die eigene Resterampe und recyceln Gebrauchtsongs – auf Englisch oder als Instrumentals.
Aus Der Investor wird The Investor, Der Bürgermeister heißt The Mayor Of Emerald City, ohne Worte, so wird noch klarer, dass DAFs Der Räuber und der Prinz Pate stand. Wenn ich ein Turnschuh wär wird zu If I Were A Sneaker. Und das soll interessant sein? Ja. In zweierlei Hinsicht. Einerseits drehen sich die Songs um Themen, die über die deutschen (Sprach-)Grenzen hinaus relevant sind. The Investor investiert schließlich auch in Williamsburg und Brixton in subkulturelle Objekte, die sich in gutes Geld konvertieren lassen.
Passende Worte
„Gebt den Menschen mehr Zeit, und schenkt ihnen viel mehr Raum! Ist das schon Promo, oder ist das noch Sankt Pauli?“, heißt es im Original von Kaufleute 2.0.1 aus dem 2013er-Album Who’s bad?. Wenn Schorsch Kamerun das nun in seinem ostentativ unperfekten V-Effekt-Englisch vorträgt („and their Schnaps and their TieWies“), kommen einem noch mal die Tränen bei dem Gedanken, dass die Gang Of Four für ihr letztes Album Herbert Grönemeyer als Gastsänger engagiert hat. Und nicht Schorsch Kamerun, wo doch die Spuren der frühen Gang Of Four bis in die Zitronen-Gegenwart reichen. Die Melodica!
Für die aktuellen Fluchtkatastrophen fanden die Zitronen schon 2006 die passenden Worte: „Ja, für eine Fahrt ans Mittelmeer / geb ich meine letzten Mittel her / und es zieht mich, weil ich dringend muss /immer über den Bosporus. / Über euer scheiß Mittelmeer käm ich, wenn ich ein Turnschuh wär. / Oder als Flachbildscheiß – ich hätte wenigstens ein’ Preis.“
Wenn Waren um die Welt wandern, während Menschen im Meer krepieren, ist es nur logisch, das Desaster in der Sprache zu adressieren, die global verstanden wird. Der Turnschuh wird zum Sneaker, komplett mit neuem Video. Darin sehen wir die schöne neue Arbeitswelt, bevölkert von schönen jungen Menschen. Allein: Es sind Menschen of color! Schwarze, Gelbe und Braune bevölkern Meetings und besetzen Spitzenpositionen. Schorsch Kamerun vermakelt die Luxuswohnung an ein Migrantenpaar, Bandkollege Ted Gaier gibt den Chauffeur. So kommentiert das Video gleichermaßen die Angst vor Überfremdung wie die „Wir brauchen Zuwanderung“-Rhetorik, die wert(ig)es von unwertem Flüchtlingsleben unterscheidet.
Der zweite Pluspunkt: Bei den englischsprachigen Versionen und erst recht bei den Instrumentals bekommt die Musik einen höheren Stellenwert. Wir Deutschsprachler hören weniger am Text entlang und kapieren, wie „anachronistisch und zeitgemäß“ (Diedrich Diederichsen), wie zwingend dieser Zitronenmix aus Post-Punk, Kraut-Robot und Eisler-Techno ist.
Flogging a Dead Frog funktioniert wie ein gutes Dub-Album: mal minimale, mal gravierende Veränderungen, lesbar als Updates, Nachjustierungen, Autokorrektur.
Info
Flogging a Dead Frog Die Goldenen Zitronen Altin Village & Mine/Indigo 2015
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