Am Anfang war die Antwort

Ideologie statt Analyse Die Gesellschaft steht vor riesigen Herausforderungen. Doch Politik und Wissenschaft verharren in Dogmen.

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Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn

... und begann so mit der unseligen Methode, die Antwort zu geben, bevor die Fragen gestellt sind. Vielleicht wäre ja ein Mensch – nicht nach seinem Bilde – besser für die Welt gewesen. Aber danach fragte er nicht; die Antwort stand schon fest: etwas Besseres als mich kann es nicht geben. Und so ging wohl auch besagte Methode auf den Menschen über.

Selbst in der heutigen, durch die Herausforderungen humanitärer Katastrophen geprägten Zeit erweist sich, dass die Dogmatik über allem steht. Psychologen und Anthropologen haben dieses Phänomen untersucht, aber verständlich auf den Punkt gebracht hat es ein Theatermann: Manfred Wekwerth.

»Man gibt Antworten, bevor die Fragen gestellt sind. Man verkündetResultate, bevor überhaupt geforscht wurde. Man nennt etwas richtigoder falsch, gut oder böse, nicht, weil man es als solches. erkannt hat,sondern, um es vorhandenen und gewünschten Erkenntnissen anzupassen. Unternehmungen von Tragweite bedürfen nicht mehrirgendwelcher Begründungen, da sie auch unternommen werden, umBegründungen zu finden. Was Wirklichkeit ist, entscheidet seineWirksamkeit. In der Wissenschaft führt so etwas zur Lächerlichkeit. Inder Politik zur Katastrophe«[i]

Letzteres werden wir ja in Kürze bestätigt finden. Da die Politiker zu keiner sachlichen Fragestellung finden, stattdessen der sich anbahnenden Katastrophe mit Durchhalteparolen und Glaubensbekenntnissen begegnen wollen, wird wohl erst die kippende Stimmung im Volk zu einem Resultat führen. Dies könnte jedoch – weit rechts – die eigentliche Katastrophe werden.

Aber, mag der Einwand lauten, ich muss doch mit Überzeugungen und Wertvorstellungen an die Dinge herangehen. Das ist richtig; natürlich darf ich Überzeugungen in die Fragestellungen hineinbringen. In den Antworten haben sie aber nichts verloren, denn möglicherweise offenbaren ja die Antworten, dass meine Überzeugungen falsch oder real nicht umsetzbar sind.

Die Wahrheit ist vom Streit der Meinungen ganz unabhängig. (Robert Spaemann)

Von dieser Möglichkeit, falsch zu liegen, wollen Politiker jedoch nichts wissen. Angela Merkel wird oft bescheinigt, dass sie die Dinge vom Ende her denkt - das wäre angeblich die wissenschaftliche Methode. Vielleicht ist es aber auch nur die Methode der vorgegebenen Antwort. Wenn sie gestern im Bundestag sagt: „Der Zusammenhalt in Europa ist ein kostbarer Schatz“, die Flüchtlingskrise eine „historische Bewährungsprobe für Europa“, die wir meistern werden, und „Abschottung ist kein Weg", dann übergeht sie einfach die Fragestellungen:

  • Welcher Zusammenhalt? Zwischen den Tschechen, die unter sich bleiben wollen, den Ungarn, die faschistische Entwicklungen in ihrem Land dulden, den Deutschen, die Europa als Verfügungsmasse ihrer wirtschaftlichen Interessen sehen, den Griechen, die eigentlich lieber nach antiken Vorbildern leben möchten…?
  • Wie werden wir das meistern? Indem wir dichtmachen? das Volk überzeugen, dass es größere Opfer bringen muss? die EU-Partner zwingen, sich adäquat zu beteiligen?
  • Was ist Abschottung? Sind nationale Egoismen möglicherweise phylogenetisch determiniert[ii] und gar nicht so leicht zu beseitigen? In welcher Form kann Abschottung auch zum globalen Genesen beitragen?[iii]

Den wichtigsten Einwand gegen die „Wir schaffen das“- Mentalität liefert Eibl-Eibesfeld (siehe Anmerkungen): »Der Glaube, es werde schon gutgehen, legitimiert noch nicht zu solch möglicherweise folgenschweren Experimenten mit Menschen.«

Dass die Politik leicht der Dogmatik verfällt, ist bekannt. Doch auch die Wissenschaft gibt sich immer häufiger der Lächerlichkeit preis, indem sie dieser Methode folgt. Beispiel: Klimaforschung. Dieser Tage titelte BILD „Deutscher Forscher sicher - Die nächste Eiszeit fällt aus“. Tatsächlich hatte der „renommierte Klimaforscher“ Hans Joachim Schellnhuber wieder mal vom Leder gezogen und gesagt: »Der Mensch ist bereits eine so starke geologische Kraft geworden, dass er sogar Eiszeiten unterdrücken kann.«[iv] Das ist so ziemlich das Dümmste, was ein hochrangiger Klimaexperte von sich gegeben hat. Man muss inzwischen nicht mehr die üblichen Verdächtigen von EIKE & Co. bemühen, um skeptische Stimmen zu zitieren. Vor wenigen Tagen erschien die „Stellungnahme der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft e.V. zum Klimawandel

»Viele Aspekte vergangener Klimaänderungen lassen sich mit Klimamodellen nachvollziehen. Sie stellen die Wirklichkeit jedoch nur in sehr grober Annäherung dar. Das führt zwangsläufig zu erheblichen Unsicherheiten in der Berechnung des zukünftigen Klimas. Außerdem ist nicht bekannt, in welchem Ausmaß sich natürliche Vorgänge wie der Vulkanismus aber auch die anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen und Aerosolen in der Zukunft entwickeln werden. […]Beim Meeresspiegel besteht das Problem, dass wesentliche Faktoren wie insbesondere die Zukunft der großen „Wasserspeicher“ Grönland und Antarktis in den üblichen Klimamodellen bisher nicht interagierend berücksichtigt sind. Daten über die Veränderungen dieser Eisschilde sind erst seit wenigen Jahren verfügbar. Daher gibt es in dieser Hinsicht noch viele Diskussionen und wesentliche Abweichungen von den derzeitigen IPCC-Abschätzungen wären nicht überraschend.«

Warum lässt sich die öffentliche Debatte nicht auf einer solch sachlichen Basis führen? Hierzu noch einmal Robert Spaemann: »Herrschaft der Wahrheit ist die einzige Alternative zur Herrschaft von Menschen über Menschen[v] Aber wer sollte daran interessiert sein, die Herrschaft von Menschen über Menschen abzuschaffen? Herrschaft der Wahrheit wäre das Ende von Politik und Eliten. Und so wird er bestehen bleiben, der ewige Kreislauf, immer aufs Neue angestoßen von Ignoranz und Stolz.

Grund zu resignieren? – Ja.

Anmerkungen


[i] Manfred Wekwerth „Brecht-Theater - eine Chance für die Zukunft?“

[ii] Eibl-Eibesfeld (2004) erklärt, „daß Fremdenscheu nicht gleichzusetzen ist mit Fremdenhaß. Die ambivalente Haltung Fremden gegenüber gehört zu den Universalien. Stammesgeschichtliche Anpassungen liegen dieser Verhaltensdisposition zugrunde. Sie können jedoch kulturell verschieden ausgestaltet werden. Fremdenhaß ist ein Produkt der Erziehung. […]Aber so etwas Merkwürdiges wie »ethnische Identität« finden Sie doch überall auf der Welt! Von den kleinsten BuschmannGruppen über große Stammesgesellschaften in Neuguinea bis hin zu ganzen Staaten. Überall werden das FamilienEthos, die Geborgenheit und das Gesetz der Kleingruppe auf die Großgruppe übertragen. Dahinter scheint ja ein menschliches Grundbedürfnis zu stecken. Die Frage ist, ob man Ihre multikulturelle Utopie den Menschen einfach aufzwängen und dabei auch noch sagen darf: »Alles wird friedlich und schön.“

[iii] ebenda: „Völlig ausgeschlossen ist es, dem zunehmenden Migrationsdruck nachzugeben. Wir würden, wie ich bereits sagte, das Problem nur importieren, ohne damit die Not in den Notstandsgebieten zu lindern. […] Die Staaten der technisch zivilisierten Welt müßten sich dazu zu größeren, möglichst autarken Verbänden zusammenschließen. Ich spreche von sozialen und ökologischen Friedensregionen. Sie setzen eine Abschottung gegen Massenimmigration aus den unter starkem Populationsdruck stehenden Regionen der Dritten Welt voraus, ferner Maßnahmen gegen ein soziales und ökologisches Dumping. […] Aber darf Europa sich als ökosoziale Friedensregion abgrenzen? Sind wir nicht verpflichtet, gerade den zunehmend in Not geratenen Regionen der Dritten Welt zu helfen? Das eine schließt das andere nicht aus, ja das eine ist geradezu Voraussetzung für das andere.“

[iv] „Erderwärmung: Nächste Eiszeit fällt aus“ focus.de 14.10.2015

[v] Robert Spaemann „Wahrheit spricht mit leiser Stimme“ Kölner Stadt-Anzeiger 12.06.2008

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Fürst

Es ist die unüberwindliche Irrationalität, die dem Menschen den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit versperrt.

Klaus Fürst

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