AUFRUF "wir sind Aufbrechende"

System aufbrechen Wir dürfen nicht auf die große Revolution warten, sondern müssen hier und jetzt unseren Aufbruch beginnen. Ganz wichtig ist, die Geschichten dieses Aufbruchs zu erzählen.

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Wie gehst du um mit einem System, das so viele Annehmlichkeiten bietet, von dem du aber weißt, was es anrichtet? Du kannst das tun, was fast alle tun: weiter mitmachen. Oder das, was eine ganz kleine Minderheit tut: rigoros brechen mit dem System, sich einbringen in radikalen Aktivismus, Grenzen des zivilen Ungehorsams überschreiten, aussteigen. Aber vermutlich gehörst du zu den vielen Menschen, die dazwischen stehen, die sich immer öfter die Frage stellen, ob ein richtiges Leben möglich ist im Falschen. Du stehst vor dem See der Möglichkeiten, doch den bedeckt eine dicke Eisschicht. Das ist nun mal so, sagen alle, aber du willst dich damit nicht abfinden und rufst NEIN und dieser Ruf erzeugt einen kleinen Riss im Eis.

Dies war die Botschaft, die uns John Holloway mit seinem Buch „Kapitalismus aufbrechen“ überbringen wollte. Seine Überzeugung ist, dass der Kapitalismus nicht auf dem Weg der Revolution, auch nicht durch radikalen Aktivismus zu überwinden ist. »Gesellschaftsveränderung ist vielmehr das Ergebnis kaum sichtbarer Transformationen der alltäglichen Tätigkeiten von Millionen Leuten.« Wenn immer mehr Menschen NEIN rufen und die von ihnen erzeugten Risse im Eis zusammenlaufen, dann bilden sich immer stärkere Bruchlinien. In diesen Fugen und Zwischenräumen des Systems findet Veränderung statt, radikale Veränderung.

Holloways Buch ist eingehend diskutiert worden; ich möchte hier nicht auf Details seiner Theorie eingehen. Für mich ist die Frage wichtig: wie bringt man immer mehr Menschen dazu, in immer mehr Situationen ihres Alltags NEIN zu sagen, sich dem System zu entziehen. Vielen, die das bereits tun, ist möglicherweise gar nicht bewusst, dass sie etwas sehr Wichtiges machen. Und viele, die es gern tun würden, haben Zweifel, ob sich damit überhaupt etwas ändern lässt, ob sich Opfer und Aufwand lohnen. Obwohl sie diese Entscheidungen für sich selbst treffen, für ein selbstbestimmtes Leben, so brauchen sie doch hin und wieder Bestätigung und Würdigung durch das soziale Umfeld, durch Menschen, die ihnen etwas bedeuten.

Erstaunlicherweise wird viel darüber geredet, den Kapitalismus aufzubrechen, aber konkrete Fälle aus unserem Alltag findet man kaum beschrieben. Holloway zählt auf zwei Seiten solche Beispiele auf: das Mädchen, das beschließt, nicht zur Arbeit zu gehen und sich stattdessen mit einem Buch in den Park zu setzen; der Fernmeldetechniker, der kündigt, um mehr Zeit mit seinen Kindern zu verbringen; der Professor in Athen, der außerhalb der Uni ein Seminar veranstaltet, um kritisches Denken zu befördern… Doch sie alle bleiben ziemlich anonym, so wie in den meisten gesellschaftskritischen Büchern, Blogs und Foren, wo viel gefordert und vorgeschlagen wird, aber selten konkrete Beispiele des alltäglichen Widerstands beschrieben werden. Dabei wäre es so wichtig, gerade davon zu erfahren. »Nie waren Geschichten von Aufbruch attraktiver als jetzt: in der zeit- und transzendenzlosen Gegenwart.«, sagt Harald Welzer.

Seit ein paar Tagen werden nun die Geschichten des Fehl-am-Platz-Fühlens, des NEIN-Sagens, des Aufbrechens erzählt, auf einem extra dafür eingerichteten Blog. Damit soll dem Widerstand im Kleinen ein Gesicht verliehen werden, vor allem soll es anregen und ermutigen, über eigene Schritte nachzudenken.
Nun meine große Bitte: schaut euch das an und erfüllt den Blog mit Leben! Seid mit dabei, die Risse im Eis zu vertiefen!

Hier geht’s zum Blog „wir sind Aufbrechende“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Fürst

Es ist die unüberwindliche Irrationalität, die dem Menschen den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit versperrt.

Klaus Fürst

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