Da seh ich auch das Mehl (3)

Philosophie aktuell Was die Abschaffung der Schreibschrift mit dem Hegelschen Aufhebungsbegriff zu tun haben könnte, dem geht der dritte Teil unserer Realphilosophie-Serie nach.

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Ihre Freitag-Redaktion

http://www.klausfuerst.de/Bildquelle/schopen.jpgArtur Schopenhauer witzelte über seine Philosophen-Kollegen:
»Das Klappern der Mühle höre ich wohl, aber das Mehl sehe ich nicht.«
Mit einigen philosophischen Erkenntnissen, bei denen man das Mehl sieht und die bis heute ihre Aktualität behalten haben, beschäftigt sich diese Beitragsserie.

(siehe dazu auch Folge 1)

Zur Aufhebung der Schreibschrift

Hamburg macht den Anfang. Die Schreibschrift wird zum Abschuss freigegeben. Sprachschützer reklamieren den Verlust eines großen Kulturgutes und Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, bezeichnet die Aufhebung der Schreibschriftpflicht als „Kniefall vor der fortschreitenden motorischen Verarmung unserer jungen Leute“. [i]

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/d/d8/Beispiel-Schulausgangsschrift.png/640px-Beispiel-Schulausgangsschrift.png

Ob das alles so ist, soll an dieser Stelle nicht von Interesse sein; der dazu laufende Disput braucht nicht auch noch meine inkompetente Meinung. Hier soll nur die Gelegenheit genutzt werden, sich in angewandter Form Hegels Aufhebungsbegriff zu widmen. Wenn von einer Aufhebung der Schreibschrift gesprochen wird, dann kann dies dreierlei bedeuten, nämlich Aufheben im Sinne von

(1) Abschaffen

(2) Aufbewahren

(3) Hochheben.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Schreibschrift jemals wieder als alltägliches Mittel der Kommunikation und Dokumentation Bedeutung erlangen wird. Also ist ihre Abschaffung (1) folgerichtig. Da sie von vielen Menschen als Kulturgut betrachtet wird, können wir davon ausgehen, dass sie in all ihren Ausprägungen eine Aufbewahrung (2) erfährt, sei es in Archiven oder persönlichen Dokumenten. Und sie erfährt eine Fortentwicklung (3) in Gestalt effektiverer Schreibformen, vielleicht sogar eine Aufwertung, indem sie nun wirklich als Kulturgut, als etwas Besonderes, weil Seltenes behandelt wird, sei es durch eine Renaissance des handgeschriebenen Briefes oder der Kalligrafie.

Hegels Philosophie ist in weiten Teilen ein Ideengebäude, konstruiert aus seiner eigenen Sichtweise. Für Marx war er ein »sehr tiefgründiger, doch etwas phantasiereicher Erforscher der Bewegungsgesetze der Menschheit.« Die meisten Menschen können mit Hegel wenig anfangen, weil sie seine Sichtweise und Phantasie nicht teilen. Besonders drastische Worte fand Schopenhauer über seinen Zeitgenossen: »Hegel, ein platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan, der, mit beispielloser Frechheit, Aberwitz und Unsinn zusammenschmierte, welche von seinen feilen Anhängern als unsterbliche Weisheit ausposaunt und von Dummköpfen richtig dafür genommen wurden« (und dies ist nur ein kleiner Auszug der Ergüsse über seinen Kollegen) Auch für Bertrand Russell war Hegels Philosophie nur »reines Denken über reines Denken.«

So oder so – der Aufhebungsbegriff hat’s in sich. Es lohnt, die Dinge öfter mal unter diesem Aspekt zu sehen, denn das führt zu einem gewissen Optimismus: dass nichts vergeblich war und alles (irgendwie) gut wird.[ii]

Anmerkung

[i] Ich konnte die Quelle zwar nicht verifizieren, aber ein gutes Dutzend Zeitungen hat das Zitat (ohne Quellenangabe) gebracht. Also gehen wir mal davon aus, dass er es wirklich gesagt hat.

[ii] Einen interessanten Anwendungsfall beschrieb Erhard Eppler in „Ende oder „Wende“. Er betrachtete die Solidarität als Begriff aufgehobenen Eigeninteresses. Für ihn hat »Solidarität das Eigeninteresse nicht geleugnet, sondern im dreifachen Wortsinn »aufgehoben«, bewahrt, auf eine höhere Stufe gehoben und damit in seiner nackten Form abgetan.«

Ebenfalls bemerkenswert die Betrachtung von Peter Ruben zur Aufhebung des Privateigentums. Er sieht dies durch seine Umwandlung in Gemeineigentum auf eine höhere Stufe gehoben. In einer (dringend erforderlichen) Debatte über die Einstellung der Gesellschaft zu den vielfältigen Formen gemeinschaftlichen Eigentums sollte dieser Ansatz einer Notiz wert sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Fürst

Es ist die unüberwindliche Irrationalität, die dem Menschen den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit versperrt.

Klaus Fürst

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