Da seh ich auch das Mehl (2)

Philosophie aktuell Philosophen braucht das Land - solche, die den Dialog suchen, die bereit und in der Lage sind, dafür eine Sprache zu wählen, die die Menschen erreicht.

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Ihre Freitag-Redaktion

http://www.klausfuerst.de/Bildquelle/schopen.jpgArtur Schopenhauer witzelte über seine Philosophen-Kollegen:
»Das Klappern der Mühle höre ich wohl, aber das Mehl sehe ich nicht.«
Mit einigen philosophischen Erkenntnissen, bei denen man das Mehl sieht und die bis heute ihre Aktualität behalten haben, beschäftigt sich diese Beitragsserie.

(siehe dazu auch Folge 1)

Eine vornehme Seele ist die nicht, welche der höchsten Aufschwünge fähig ist, sondern jene, welche sich wenig erhebt und wenig fällt, aber immer in einer freieren durchleuchteten Luft und Höhe wohnt.

Was Friedrich Nietzsche durch den Kopf ging, als er die „Anzeichen der vornehmen Seele“[i] formulierte, weiß ich nicht. Für mich bedeutete es immer die Aufforderung, sich nicht allzu weit vom Denkhorizont seiner Mitmenschen zu entfernen.

Die Philosophen in der Zeit der Aufklärung und der bürgerlichen Revolutionen waren Stars ihrer Epoche. Man kann nicht sagen, dass ihre erste Intention war, sich durch Verständlichkeit auszuzeichnen, aber sie versuchten, ihre Gedanken an dem zu orientieren, was die Gesellschaft bewegte. Aus den philosophischen Interpretationen heraus formulierte Spinoza eine freigeistige Ethik, Marx entwickelte die politische Ökonomie, Schopenhauer und Nietzsche brachten ihre Überlegungen in Aphorismen.

Gehen Sie heute auf die Straße und fragen Sie die Menschen nach heute lebenden Philosophen. Nennen Sie ruhig Namen – es wird sie keiner kennen! Dabei haben wir in Deutschland weltweit angesehene Weisheitslehrer. Warum kennt sie niemand? Ich behaupte: weil sie keine Botschaften für das Volk haben.

Bis zu den bürgerlichen Revolutionen bestand die Zielgruppe der Philosophen ausschließlich aus den Bildungsoberen in Gestalt der Intellektuellen und vor allem des fortschrittlichen Adels. Es wäre ihnen nie in den Sinn gekommen, für das Volk, das keinerlei Gestaltungskraft hatte, zu schreiben. Mit der Errichtung der Demokratie hätte sich die Sprache an den neuen Souverän, das Volk, anpassen müssen. Doch das ist nicht geschehen.

Damit wir uns recht verstehen: Philosophen sollen interpretieren, und für den akademischen Diskurs ist es unerlässlich, abstrakt zu formulieren; und schließlich ist das ja auch ein Stück ihrer Lebenswelt. Doch sie sollen sich auch ihre gesellschaftliche Verantwortung bewusst machen.

Einer, der es zumindest immer wieder versucht hat, ist Jürgen Habermas. Interessanterweise gibt er an, sich öffentlich nur in Zeitungen zu äußern.[ii] Ich kann mir gut vorstellen, dass er, als Vater der Diskursethik, die Zustände in Talkshows nicht verkraften würde. Dort, wo man nicht einmal den schon in der Schule gelernten Modus von Voraussetzung – Behauptung – Beweis erwarten kann, wo man es in der Regel mit der Behauptung bewenden lässt.

Ihm wird zwar gelegentlich vorgeworfen, dass er »seinen Erfolg als Sozial­philosoph auch der Schwerverständlichkeit seiner hochkomplexen Texte verdankt haben könnte.«[iii] In der öffentlichen Debatte findet er aber sehr wohl eine klare Sprache. Er weiß jedoch, dass es eine Rollentrennung bedeutet – zwischen dem Wissenschaftler und dem sich einmischenden Intellektuellen. Wenn er sich dann einmischt, ist seine Sprache durchaus verständlich, ohne etwa an Substanz zu verlieren. Interessant fand ich sein Bekenntnis, dass er vom Erfolg seiner Bemühungen für ein »parteinehmendes öffentliches Engagement« enttäuscht ist. Im letzten Band der Kleinen Politischen Schriften charakterisiert er sein Tun als eine »Art Praxis öffentlicher Belästigung [...] sie erschöpft sich in dem Versuch der uneingeladenen argumentativen Beihilfe zum fortlaufenden Prozess der öffentlichen Meinungsbildung.«[iv] Zu Deutsch: er ist den Pragmatikern und Realos lästig. Das könnte die Ursache sein, warum sich die Philosophen lieber in ihren akademischen Elfenbeinturm zurückziehen.

Aber wir brauchen, dringender denn je, ihr Bemühen, den Dialog zu suchen, die Bereitschaft, ihre Interpretationen in einen realitätsbezogenen Kontext zu stellen und dafür eine Sprache zu wählen, die die Menschen erreicht. Denn, wie Max Otte sagt:

»Verstehen ist der erste Schritt zu einer gerechteren Ordnung. Aus Verstehen wird Widerstand, Engagement, Veränderung[v]


[i] Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, Band 1, S. 868, München 1954

[ii] Jürgen Habermas "Vom Schwinden der Solidarität" www.rp-online.de 10.12.2012

[iii] Sibylle Tönnies „Des Kaisers neue Kleider - keine Hommage“ www.dradio.de 07.06.2009

[iv] Jürgen Habermas „Im Sog der Technokratie“ Berlin: Suhrkamp 2013 S. 8

[v] Max Otte „Stoppt das EURO-Desaster“ Berlin: Ullstein 2011

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Fürst

Es ist die unüberwindliche Irrationalität, die dem Menschen den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit versperrt.

Klaus Fürst

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