Die Demokratie ist in Gefahr? - Ja, aber...

Demokratie Vieles spricht dafür, dass die gegenwärtige Entwicklung der westlichen Welt unsere Grundwerte in Gefahr bringt. Doch wer kann den Demokratieverfall aufhalten?

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Soziologen wie Oskar Negt und Vordenker wie Erhard Eppler warnen seit langem vor einem Demokratieverfall in der westlichen Welt. Während ihre Analysen das gesamte Ursachenspektrum beleuchten, neigen leider viele Blogger dazu, sich die Sache einfach zu machen. Die Methode, die fast alle eint, ist die Suche nach Feinden. Ihre Absichten mögen ehrenwert sein, die Methode ist jedoch nicht angetan, das Problem zu lösen.

In einem kürzlich hier erschienenen Beitrag beschreibt Gert Ewen Ungar einige markante aktuelle Ereignisse und versucht, sie in ein machtpolitisches Schema zu bringen: »All diesen Phänomenen gemeinsam ist, dass sie einen permanenten Krisenmechanismus installieren, der dazu dient, ein postdemokratisches System der totalitären Ökonomie zu errichten, dem erkämpfte Rechte, Freiheit, Sicherheit und Werte geopfert werden.«
Die Feinde der Demokratie sind auch schnell ausgemacht: eine Interessengemeinschaft aus internationalem Industrie- und Finanzkapital, Mainstreammedien und konservativen Politikern. Möglich, dass in diesem illustren Kreis einige zu finden sind, denen demokratische Spielregeln nichts als Stolpersteine sind. Dennoch darf man eines nicht vergessen: auch sie leben von der Demokratie, und die meisten sind sich dessen voll bewusst. Was wäre denn ein Medienmogul ohne freie Presse, auf die er keinen Einfluss mehr hat und die keiner mehr lesen möchte? Was wäre der Kapitalist ohne freie Konsumenten? Warum dringt die Wirtschaft auf die Durchsetzung westlicher Werte in der ganzen Welt? Weil es ihr nutzt! Wenn man das Interesse an einem postdemokratischen System konstruiert, muss man den Begriff der Demokratie auf den Kopf stellen. Das kann man tun, vielleicht stellt man sie damit sogar vom Kopf auf die Füße, aber momentan gilt das, was die Mehrheit als Demokratie betrachtet. Und hier liegt das eigentliche Problem. Das, was von Gesellschaftskritikern als dringender Veränderungsbedarf angemahnt wird, will die Mehrheit nicht wahrhaben, weil es zu große Einschnitte in ihr angenehmes, geordnetes und wohlbehütetes Leben bedeuten würde. Die einzige Verschwörung, die man daraus herleiten könnte, ist eine passive Verschwörung, in die jeder involviert ist, der diesen Zustand duldet, weil er ihm nutzt, obwohl er die Macht hätte, etwas dagegen zu tun. Der Mächtige ist nämlich genauso ein armes Würstchen im Geiste wie der Durchschnittsmensch, der sich säckeweise Billigklamotten kauft, obwohl er weiß, unter welchen Bedingungen die produziert werden. Der Kapitalismus ist kein böser Mann, der die Welt regiert, sondern ein Wirtschaftssystem, das die Menschen zur Grundlage ihrer Gesellschaftsordnung bestimmt haben, und die bleibt es solange, bis etwas anderes gewählt wird. Solange das Volk aber nichts anderes einfordert, wird auch dem Politiker nichts anderes bleiben, als dem ihm gegebenen Auftrag zu folgen. Diese Situation wird von Kritikern meist ignoriert. Im oben genannten Beitrag, beispielsweise, schreibt der Autor:

»Mit der Wiederkehr der unappetitlichen Geste des deutschen Herrenmenschentums unterbindet Finanzminister Schäuble jede Diskussion, ohne auch nur einen Satz zu Inhalten zu sagen.«
Das ist nicht nur polemisch, es ist in der Sache falsch. Schäuble ist Finanzminister, er hat die pekuniären Interessen des deutschen Staates zu vertreten. Den Griechen wird ja die Wahl gelassen: sie können aus dem EURO austreten, auch ihre Schuldenzahlungen verweigern und einen neuen Kurs einschlagen, der an ihre großen antiken Ideale anknüpft: Subsistenz, Muße, Philosophie. Ich wäre ein begeisterter Anhänger eines solchen Weges und würde unverzüglich nach Griechenland emigrieren. Doch dieser Wunsch muss aus dem Volke kommen, er kann nicht von einer wie auch immer ideologisch verorteten Regierung als Alibi für jahrzehntelanges Versagen der Politik aufgebaut werden. Und das Volk hat derzeit andere Sorgen, als über einen Wertewandel nachzudenken. Deshalb hat eine demokratisch gewählte Regierung dem Wählerauftrag zu folgen, und die klare Mehrheit will Wachstum und Wohlstand. So funktioniert nun mal Demokratie.

Was uns Bloggern wichtig sein sollte – und damit würden wir uns konstruktiv von den Mainstreammedien unterscheiden – ist die beständige Botschaft an die Menschen, dass sie selbst für den Erhalt der Demokratie verantwortlich sind, und dass eine gute Zukunft nur möglich wird, wenn sie vorwärtsgewandt denken lernen. Wie Brecht sagte:

Es wird der Tag, doch wann er wird,
hängt ab von mein und deinem Tun.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Fürst

Es ist die unüberwindliche Irrationalität, die dem Menschen den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit versperrt.

Klaus Fürst

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