Eine Schublade für die AfD

AfD Die Wahl in Sachsen hat die Diskussion um Rechtspopulismus und die Zukunft der AfD neu befeuert. Doch was sagt das Wahlergebnis wirklich?

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http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/7/78/Konrad_Adam%2C_Frauke_Petry_und_Bernd_Lucke_2013.jpg/1024px-Konrad_Adam%2C_Frauke_Petry_und_Bernd_Lucke_2013.jpgDie neueste Printausgabe von der Freitag bringt zwei Artikel, die sich mit der Wahl in Sachsen befassen. Unter dem Titel »Eure Scheißegal-Haltung: Warum es hier mehr Rechte als Sozialdemokraten gibt« setzt sich Susanne Kailitz als Wutbürgerin in Szene, doch nicht als eine, die wie üblich gegen Oben rebelliert – ihre Wut richtet sich gegen das sächsische Wahlvolk. »Wenn eine Hälfte der Sachsen nicht und die andere rechts wählt, dann frage ich mich: Ticken die noch richtig?«
Nun ist das so eine Sache mit den Wahlen – wenn sie nicht wunschgemäß ausgehen, kann man entweder die Politikangebote ändern oder, was nicht ganz so einfach ist, das Volk auswechseln. Die geringe Wahlbeteiligung wird in der Regel automatisch mit politischem Desinteresse begründet. Eine einfache Überlegung führt diese Betrachtung ad absurdum. Bei den Bundestagswahlen liegt die Beteiligung deutlich höher, zuletzt in Sachsen bei knapp 70%. Es ist unwahrscheinlich, dass die politisch Uninteressierten seither so stark zugenommen haben. Vielmehr reflektiert das Wahlergebnis wohl die wachsende Bedeutungslosigkeit der Länder. Den Menschen ist sehr wohl bewusst, dass alle relevanten Entscheidungen auf Bundesebene getroffen werden, auch und gerade jene, die die Kernaufgaben der Länder berühren: Wirtschafts- und Sozialpolitik, Bildung und Justiz. Bei dem geringen Gestaltungsspielraum, der den Ländern bleibt, werden sich nicht Wenige sagen: egal wer regiert. Und es könnte sein, dass immer weniger Bürger vom Kosten-Nutzen-Verhältnis des Föderalismus überzeugt sind.

Susanne Kailitz ist »wütend über das Ergebnis der Landtagswahlen in Sachsen«. Das ist ihr gutes Recht. Ihre Pflicht als Journalistin wäre jedoch, diese Wut faktisch zu begründen. Die gute Nachricht war doch, dass die NPD nicht wieder in den Landtag einzog, trotz schlechter Wahlbeteiligung. Ungeachtet dessen fragt sie: »Lebe ich wirklich in einem Land, in dem es mehr Nazi-Anhänger als Sozialdemokraten gibt?« - Da die NPD weniger Stimmen als die SPD bekam, hat Kailitz also die AfD-Wähler mit in diese Rechnung aufgenommen. Ich habe die Positionspapiere der AfD studiert und konnte keine Anhaltspunkte für Nazi-Propaganda darin entdecken. Insofern ist diese Äußerung eine unentschuldbare Entgleisung, eine Beleidigung sowohl der AfD-Mitglieder als auch ihrer Wähler.

Ähnlich kritisch sind die Betrachtungen von Julian Heissler in »Die Karawane zieht weiter« zu sehen. Es beginnt schon im Titelbild-Kommentar: »Relativ jung, ziemlich eloquent, sehr völkisch: die AfD-Spitzenfrau Frauke Petry«. - Könnten wir mal die Kirche im Dorf lassen?! Das Wort völkisch wird heute ausschließlich im nationalsozialistischen Kontext gebraucht. Denkt man als Journalist nicht mehr nach über Maß und Ziel? Und wie steht es mit den Fakten? Heissler geht auf Wahlkampfthemen der AfD ein: dass die Menschen im Grenzgebiet sich Sorgen machen über den Personalabbau bei der Polizei, über den Umfang von Diebstählen, Drogen- und Schlepperkriminalität. Sein Kommentar dazu: »Die offiziellen Zahlen geben Petry zwar nicht recht, trotzdem trifft sie mit solchen Aussagen offenbar das Lebensgefühl vieler Menschen.« In einem Halbsatz wird also beiläufig Faktenkenntnis suggeriert, aber entspricht die den Tatsachen? DIE WELT kommt in einer aktuellen Recherche zu dem Fazit: »Die Bundesländer entlang der Grenze zu Polen und Tschechien bekommen bis heute die Kriminalität nicht in den Griff. Mit dem Abbau der Schlagbäume schoss die Zahl der Straftaten hoch – und hat sich auf diesem hohen Niveau eingependelt.«[i] Das Land Brandenburg (nicht gar so weit von Sachsen entfernt) legt sogar detailliertes Zahlenmaterial zur Kriminalstatistik in der Grenzregion vor: »Die registrierte Gesamtkriminalität in den 24 brandenburgischen Gemeinden entlang der deutschpolnischen Grenze ist im Jahr 2013 gestiegen. Die Entwicklung der erfassten Straftaten zeigt für das Jahr 2013 einen Anstieg der Fälle um mehr als neun Prozent. [...] Im Jahr 2013 wurden 651 Fälle des Diebstahls von Kraftwagen erfasst. Das sind 105 Fälle bzw. 19,2 % mehr als 2012[ii]
Fakten zu leugnen bringt nichts; das ist doch nur Wasser auf die Mühlen derer, die aus diesen Fakten Kapital schlagen.

Politische Streitkultur darf nicht von persönlichen Sympathien und Antipathien bestimmt sein. Im Umgang mit der AfD ist dies jedoch so deutlich wie nie der Fall. Ihre Vertreter sind halt auch so schrecklich sachlich! Mit nüchternen Fakten und Zahlen erreicht man nie, dass einen das Publikum knuddeln möchte, so wie die kleinen PIRATEN, die eigentlich nicht wissen, was sie wollen. Es ist schon so, wie Vince Ebert treffend bemerkt: »Entgegen der allgemeinen Auffassung, dass es in unserer Gesellschaft nur noch um Effizienz und nüchterne Zahlen geht, werden in Wirklichkeit die meisten Lebensbereiche immer weniger durchdacht, sondern „durchfühlt". [...] Im Gegenzug werden Menschen, die sich von Hause aus mit Zahlen und Fakten beschäftigen, als kauzig, weltfremd oder sogar herzlos dargestellt. Dadurch können all diejenigen, die von einer Sache absolut nichts verstehen, in sämtlichen Diskussionen einen auf dicke Hose machen.«[iii]

Der ganze öffentliche Diskurs ist darauf fokussiert, die Vertreter der AfD in Schubladen einzupassen: Deutschnationale, Ortholiberale, Atlantiker ... Dabei geht es doch gar nicht um einzelne Repräsentanten, es geht um eine Partei, und die besteht aus Mitgliedern, Menschen, die eine gewisse Gesinnung verbindet. Aber in jeder Partei findet sich ein breites Meinungsspektrum. Dies gilt für Neugründungen im Besonderen, weil die Bereinigung dort erst einsetzt, wenn sich ein innerparteilicher Konsens verfestigt, von dem die Vertreter der extremen Positionen sich nicht repräsentiert fühlen. Auf Grund dieser Streubreite ist es unredlich, Meinungsäußerungen einzelner Parteimitglieder als Zeugnis für eine Orientierung der gesamten Partei auszugeben. Als Heiner Geißler der Attac beitrat, machte das die CDU noch lange nicht zu einer globalisierungskritischen Partei. So wie die Positionen Sarah Wagenknechts nicht für Die Linke im Ganzen stehen, so wie Christian Ströbele nicht das GRÜNEN-Establishment vertritt – genauso können nicht einzelne Vertreter der AfD als positive oder negative Belege für eine, wie auch immer geartete, Ausrichtung der Partei herangezogen werden. Als solche haben nur offizielle Positionen Beweiskraft, da sie den innerparteilichen Konsens widerspiegeln, den größten gemeinsamen Nenner, um den jede Partei ständig am Ringen ist. An Positionspapieren der AfD existieren nach meinem Kenntnisstand die „Politischen Leitlinien“ und die einzelnen Wahlprogramme. Sie allein können Grundlage einer fundierten Bewertung und Auseinandersetzung mit dieser Partei sein.

»Politik ist Kompromiss. Das ist lahm, das nervt, ist aber so.« Damit hat Susanne Kailitz absolut recht. Warum sie jedoch der AfD das Ringen um Kompromisse nicht zugestehen will, bleibt unbeantwortet. Denn genau das wird diese Partei tun müssen, will sie nicht so enden, wie die PIRATEN sicher bald enden werden. Ob sie sich dabei als demokratische Kraft erweist, kann sich nur im Dialog herausstellen; doch der wird ihr weitestgehend verwehrt. Wolfgang Bosbach, einer der Wenigen aus dem Lager der etablierten Parteien, die beim Thema AfD nicht automatisch ins Polemisieren verfallen, fragt: »Aber ist es - zurückhaltend formuliert - für Christdemokraten nicht schwierig zu erklären, dass man jederzeit mit Vertretern der Linkspartei diskutiert, als den Nachfolgern der SED, SED/PDS, PDS, nicht jedoch mit den Herren Lucke und Gauland - obwohl sie über lange Zeit Mitglieder der CDU waren?«[iv] Nur wenn die AfD sich Sachfragen stellen darf und muss, wird sich zeigen, ob sie eine bereichernde Erweiterung des Parteienspektrums werden kann. Vielleicht hat Julian Heissler ja Recht, wenn er sagt: »Die Protestkarawane ist weiter gezogen. Nach NPD und FDP ist jetzt eben die AfD an der Reihe.« Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass es für die AfD bei dieser Statistenrolle im Polittheater bleiben wird. Nur dann, wenn die Alternative, die sie im Namen trägt, nicht einfach ein „Gegen etwas“ bedeutet, sondern den Menschen neue Möglichkeiten zur Gestaltung ihrer Lebensentwürfe eröffnet, wird sie die Rolle der Protestwählerpartei ablegen können. Denn, wie Marcuse es sagte, »eine bestimmte historische Praxis wird an ihren eigenen geschichtlichen Alternativen gemessen.« Von diesem hohen Anspruch ist die Alternative für Deutschland in der Tat noch weit entfernt. Die Chance, sich ihm zu nähern, sollte man ihr aber nicht verweigern.

Quellen:

[ii] Pressekonferenz am 12. März 2014:Vorstellung der Daten zur Entwicklung der Polizeilichen Kriminalstatistik in der Grenzregion für das Jahr 2013, Land Brandenburg

[iii] Vince Ebert: „Zwischen Weltschmerz und Blitzkrieg“ The European 2014

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Fürst

Es ist die unüberwindliche Irrationalität, die dem Menschen den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit versperrt.

Klaus Fürst

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