Grundeinkommen - bedingungslos oder gar nicht

Grundeinkommen Das bedingungslose Grundeinkommen wäre die größte soziale Umwälzung der jüngeren Geschichte. Wie kann man sich ihm nähern und die damit verbundenen Risiken begrenzen?

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Die Resonanz zu meinem Beitrag „Sorglos leben - wird's nicht geben“ war sehr stark, die Kommentatoren zeigten großen Enthusiasmus. Für mich bestätigte sich die in dem Beitrag formulierte Notwendigkeit, die Debatte zu kanalisieren, um die vielen Ideen, Vorschläge und Visionen zur praktischen Ausgestaltung eines Grundeinkommens zu trennen von der Diskussion über die Einstellung der Gesellschaft und somit die grundsätzliche Machbarkeit des Grundeinkommens. Diese Trennung ist vorerst erforderlich, weil man sich sonst verzettelt. Joachim Petrick fragt in seinem Kommentar: »Ist das bGE für Sie ausschließlich eine Frage professionell ausgetüftelter Kommunikation, weniger der Recherche von Fakten und Modellrechnungen?« Ich sage: Natürlich nicht, aber die Fakten und Modellrechnungen sind das Eine, die Grundsatzdiskussion das Andere. Das Eine enthält jedoch so viele Details, dass man in dem Anderen nicht weiterkommt, wenn beide Diskussionsebenen stets miteinander verknüpft werden. Und der erste Schritt muss nun mal sein, die Frage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz des Grundeinkommens zu stellen. Dabei gilt es einige Prämissen zu formulieren.

Die Dimension der gesellschaftlichen Veränderungen, die ein BGE mit sich bringen würde, ist vielen wohl bewusst; die daraus gezogenen Konsequenzen fallen sehr unterschiedlich aus. Die Einen möchten sich dem Ziel schrittweise nähern, indem entweder die Bedingungslosigkeit oder die Höhe des Grundeinkommens zur Disposition gestellt wird. Andere schlagen Wege vor, die sich mit demokratischen Mitteln nicht durchsetzen lassen. Es steht jedem frei, über solche Wege nachzudenken, für mich scheiden sie aus, da ich die Demokratie über alles andere stelle. Daraus ergibt sich meine

1. Prämisse
Das Modell eines Grundeinkommens muss konsensfähig sein.

Wenn ein relevanter Teil der Gesellschaft sich der dahinter stehenden Idee verweigert, ist es nicht umsetzbar. Dabei ist nicht auszuschließen, dass – weil die Gegensätze unüberwindbar sind – sich parallele Gesellschaften entwickeln. Damit ist nicht das gemeint, was wir heute schon haben: durch Ausgrenzung und Ghettoisierung entstandene Parallelwelten. Gemeint sind echte Gesellschaften (im Sinne von F. Tönnies), die Menschen eingehen in dem Vorsatz, darin ihre Lebensentwürfe zu realisieren.[1] In jedem Fall aber muss innerhalb der Gesellschaft, in der ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden soll, breiter Konsens darüber bestehen. Er ist überdies wichtig, weil nur damit der Widerstand der Mächtigen gebrochen werden kann, über den ich im letzten Beitrag schrieb.

Denkt man über schrittweise Annäherung nach, gerät man schnell in ein Dilemma. Beide Wege, sowohl der Verzicht auf Bedingungslosigkeit, als auch Zugeständnisse, was die Höhe des Grundeinkommens angeht, führen nicht zum Ziel. Ohne Bedingungslosigkeit würden nur andere Ausformungen dessen entstehen, was wir in Gestalt von Hartz IV schon haben. Solange aber ein Anspruch an den Nachweis der Bedürftigkeit gebunden ist, kann die Emanzipation, die von einem BGE ausgehen soll, nicht stattfinden. Somit ergibt sich die

2. Prämisse
Das Prinzip der Bedingungslosigkeit darf nicht aufgegeben werden.

In einigen Kommentaren wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bedingungslosigkeit wenig wert ist, wenn die Höhe des Anspruches nicht für ein menschenwürdiges Leben ausreicht. Dies bestätigt wiederum die erste Prämisse, denn nur wenn die Gesellschaft bereit ist, der Idee zu folgen, wird sie auch die nötige Leistungsbereitschaft aufbringen.

Kommentator Pleifel trifft den wunden Punkt: »wenn selbst den Hartz IV-Beziehern schon der Bezug geneidet wird, brauchen wir uns über eine Grundversorgung aller (keine) weitere Gedanken machen. Dann wäre an ganz anderer Stelle erst einmal viel Aufklärungsarbeit zu leisten.« Ich gehe soweit zu behaupten, dass die heutige Neiddebatte um Hartz IV nur fröhliches Geplauder wäre im Vergleich zu dem, was sich zwischen Leistungsträgern und ‑empfängern in einer Gesellschaft abspielen würde, die ein BGE übergestülpt bekäme. Sicher kann man den Leistungsbegriff lang und breit und unter allen möglichen Aspekten diskutieren. Man muss das sogar tun; ich verweise hier auf Erhard Epplers Buch „Eine solidarische Leistungsgesellschaft“. Letztendlich ändert das aber nichts an der einfachen Sachlage:

Wichtigste Quelle jeglicher Finanzierung ist der Wertschöpfungsprozess in einer Gesellschaft. Welchen Teil davon der Staat abzweigt und wofür er ihn verwenden darf, entscheidet die Gemeinschaft. Wird das Grundeinkommen als einer dieser Verwendungszwecke bestimmt, dann bedeutet dies, dass diejenigen, die in den Wertschöpfungsprozess integriert sind, die Mittel dafür erwirtschaften müssen. Ob sie diesen Auftrag der Gesellschaft annehmen, muss sich erweisen. Es wird davon abhängen, wie überzeugend es gelingt, den Anspruch derer zu begründen, die an der Wertschöpfung nicht teilhaben können oder wollen.

Gelingt dies nicht, werden viele ihre Leistungsbereitschaft auf ein Minimum herunterfahren oder überlegen, wie sie sich den Pflichten der Gesellschaft gegenüber entziehen können. Beides wäre desaströs. Doch auch wenn es gelingen sollte, darf sich die Gesellschaft nicht selbst überfordern. Deshalb gilt eine

3. Prämisse:
Die Höhe des Grundeinkommens muss sich an Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Gesellschaft orientieren.

Ausgehend davon möchte ich einen Weg beschreiben, der aus meiner Sicht zielführend sein könnte.

Versuch eines Übergangsmodells

Die vorausgegangenen Überlegungen haben, so hoffe ich, eines klar gemacht: Aktionismus auf diesem Gebiet würde ins Fiasko führen: entweder setzt sich das marktliberale Lager durch, dem es nur darum geht, unbrauchbares Menschenmaterial bequem und kostengünstig vom Markt zu entsorgen, oder es obsiegen die Revolutionäre, die das Einkommen wirklich bedingungslos und auskömmlich zur Verfügung stellen, mit möglicherweise katastrophalen Auswirkungen auf die Versorgungsstabilität der Wirtschaft. In jedem Fall wäre die Demokratie in ihren Grundfesten bedroht und die großartige Idee des Grundeinkommens geriete über Generationen in Misskredit. Dann würde sich die Vision von Katja Kipping „Mit einem Grundeinkommen die Verhältnisse zum Tanzen bringen[i] auf recht tragische Weise erfüllen.

Das im Folgenden skizzierte Übergangsmodell erhebt keinen Anspruch auf den Königsweg. Vielmehr soll es die Diskussion in eine Richtung lenken, die sowohl das Ziel „Bedingungsloses Grundeinkommen“, als auch das jeweils Machbare, die gesellschaftliche Realität im Auge behält. Hier zunächst die Vorzüge des Modells:

  • Würde und Selbstachtung des Menschen sind erstes Anliegen
  • wichtige Elemente dieses Modells werden bereits in Ansätzen von der Gesellschaft praktiziert, sind also den Menschen vertraut
  • das Modell kann behutsam entwickelt werden und dabei die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten berücksichtigen
  • denkbare Schäden im Falle eines Misserfolges wären sowohl beherrschbar als auch reversibel
  • der Anspruch der Bedingungslosigkeit wird in Teilbereichen sofort wirksam und bleibt zentraler Punkt aller Anpassungen

Das von mir favorisierte Grundeinkommens-Modell GAGE steht auf drei Säulen:

https://1bge.files.wordpress.com/2014/03/gge1.jpg?w=300&h=300

  • das Recht auf Arbeit zu einem gesetzlichen Mindestlohn
  • ein durch dieses Recht garantiertes Grundeinkommen I
  • ein durch öffentliche Dienstleistungen erbrachtes Grundeinkommen II

GAGE bedeutet GArantiertes GrundEinkommen. Warum ich (als Übergang) ein garantiertes und kein bedingungsloses Grundeinkommen favorisiere, werde ich gleich erläutern.

Nur noch kurz ein paar Worte zu dieser Bezeichnung: GAGE ist mehr als eine Abkürzung. Vom französischen Wortstamm her bedeutet es “Zusage, Garantie”. Es nimmt Bezug auf eine Honorarform, die in der Regel Künstlern zukommt, also die Vergütung für eine nicht bewertbare Gegenleistung. Ähnliches soll ja auch für das Grundeinkommen gelten: dass man es ohne die Deklaration einer Gegenleistung beanspruchen kann. Im Englischen bedeutet Gage so viel wie “Maßstab, Messinstrument”; und in der Tat wird die Umsetzung eines wie auch immer gestalteten Grundeinkommens der Maßstab für die Entwicklungsstufe eines modernen Gemeinwesens sein.

Nun zu den einzelnen Säulen des Modells.

In den meisten Diskussionen über das BGE kommt ein Aspekt immer zu kurz: die öffentlich erbrachten oder subventionierten Leistungen. In der DDR sprach man von der „zweiten Lohntüte“. Sie umfasst das gesamte Spektrum von Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen, die allen Menschen kostenlos oder verbilligt zur Verfügung stehen. Dies ist gewissermaßen ein bedingungsloses Grundeinkommen, das bereits praktiziert wird. Und es funktioniert. Warum also nicht an dieser Stelle ansetzen und ausbauen?! Das Naheliegendste wäre die kostenlose Nutzung aller Kultur-, Sport-, Bildungs- und Kinderbetreuungs-Einrichtungen, Medien, Nahverkehrsmittel, Schulessen ... und natürlich des Gesundheitswesens. Dieser Komplex soll hier als Grundeinkommen II bezeichnet werden. Folgendes spricht für den Ausbau dieses Einkommensbestandteils:

  • Für diese Art von Leistungen ist nie genügend Geld in den öffentlichen Kassen. Entscheidet sich die Gesellschaft für diese Schwerpunktsetzung, könnten viele bisher nicht finanzierbare Projekte, insbesondere auf kommunaler Ebene, realisiert werden. Nebenbei würde eine beträchtliche Zahl neuer (und sinngebender) Arbeitsplätze entstehen.
  • Die Gefahr des Überkonsums und somit einer Überbeanspruchung der Wirtschaftsleistung wäre weit geringer als bei einem in Geldform ausgereichten Grundeinkommen.
  • Soziale Spannungen, die sich daraus ergeben, dass der arbeitende Teil der Bevölkerung das Grundeinkommen des nicht arbeitenden Teiles mit erwirtschaften muss, würden kaum entstehen, wenn das Grundeinkommen „nur“ in Form öffentlicher Leistungen gewährt wird.

Aber eines wäre in diesem Grundeinkommen II nicht enthalten: das Geld für den Lebensunterhalt. Wie soll dieser nun gesichert werden?

Immer wieder wird ins Spiel gebracht, das Grundeinkommen mit der Pflicht zu verbinden, für die Gesellschaft eine Gegenleistung zu erbringen. Dieser Gedanke ist von vornherein zu verwerfen, denn das würde erstens die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens negieren und zweitens ein bürokratisches Monstrum erzeugen, an das man nicht einmal denken möchte. Was jedoch in diese Debatte kaum eingeworfen wird, ist das genaue Gegenteil der Arbeitspflicht: das Recht auf Arbeit. Seit 1948 in der Deklaration der Menschenrechte verankert, fristet es ein Schattendasein, denn meines Wissens ist es in keinem Land der Welt einklagbar. Erstaunlicherweise vermeidet selbst DIE LINKE in ihrem Positionspapier[ii] zum Grundeinkommen, diesen Aspekt zu erwähnen. Lediglich die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands (KAB)[iii] würdigt dieses Thema in angemessener Weise, allerdings mit dem Schluss: »Wenn das Recht auf Arbeit immer weniger trägt, kann nur ein Recht auf Einkommen ein menschenwürdiges Leben garantieren.« Aber genau dieses Recht brauchen wir!
Das übliche Modell des BGE sieht vor, dass es in einer Höhe ausgezahlt wird, welche die (wie auch immer definierten) Grundbedürfnisse sichert. Wer mehr will, kann nach Lust und Fähigkeit dazu verdienen. Der neue Ansatz des Modells GAGE sieht vor, dass man unter Inanspruchnahme des Rechts auf Arbeit die Teile des Lebensunterhaltes selbst verdient, die durch das Grundeinkommen II nicht abgedeckt werden, also in erster Linie Nahrung, Kleidung, Wohnung. Auch hier ein paar überzeugende Argumente:

  • Das Gefühl, für seinen Lebensunterhalt selbst zu sorgen, ist elementar für die Würde des Menschen.
  • Die zeitliche Inanspruchnahme durch eine Arbeit, die lediglich den Grundbedarf erwirtschaften muss, ist so gering (Schätzungen gehen von 10-15 Stunden pro Woche aus), dass ein selbstbestimmtes Leben ohne weiteres möglich ist. Voraussetzung ist ein fairer Mindestlohn für jede Arbeit.
  • Das Recht auf Arbeit ist nur einklagbar in einem Umfang, der die Finanzierung des Grundbedarfs ermöglicht. Wer mehr verdienen möchte, muss sich weiterhin auf dem freien Markt verdingen.

Dieses Grundeinkommen I wird also selbst verdient, ist aber in seiner Höhe durch das Recht auf Arbeit garantiert.

Menschen, die sich noch nicht bzw. nicht mehr im erwerbsfähigen Alter befinden oder die aus gesundheitlichen Gründen keine ihnen angebotene Arbeit ausüben können, erhalten das Grundeinkommen I ohne Gegenleistung, ähnlich den heute bezogenen Sozialleistungen.
Für die praktische Realisierbarkeit dieses Modells spricht, dass im Zusammenhang mit dem Grundeinkommen II die Zahl der Arbeitsplätze in öffentlicher Trägerschaft stark zunehmen wird. Damit wäre auch der Diskussion vorgebeugt, private Arbeitgeber würden dann als Erfüllungsgehilfen des Rechts auf Arbeit zwangsrekrutiert.

Zur Finanzierung all dessen soll an dieser Stelle nichts gesagt werden; nicht weil es daran scheitert, sondern weil dazu schon genug gesagt wurde. Die Finanzierbarkeit eines BGE – gleich welchen Modells – wurde vielfach begründet. Dazu kommt, dass unser Modell immerhin noch eher bezahlbar ist als andere, weil es die Bereitschaft der Menschen stärkt, ihren Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten, und weil es flexibler an die wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen ist.

Mit dieser kurzen Modellskizze möchte ich es hier bewenden lassen. Für Interessenten hält der Blog Grundeinkommen und das Recht auf Arbeit nähere Informationen bereit.

Für alle, denen das Vorgeschlagene nicht schnell genug geht, habe ich wenig Tröstliches. Vielleicht das, was Rudi Dutschke sagte: »Revolution ist ein langer komplizierter Prozess, wo der Mensch anders werden muss.«

Anmerkung

[1] Dieses Thema ist zu komplex, um hier mit der nötigen Sorgfalt behandelt zu werden. Grob skizziert wäre dies die Aufteilung in a) eine Gesellschaft, die in etwa so funktioniert wie unsere heutige, die auf Wachstum und materiellen Wohlstand setzt, und parallel dazu b) eine Gesellschaft, in der die Menschen einem selbstbestimmten, werteorientierten Leben Priorität verleihen. Diese Trennung haben wir auch heute schon, aber die zweite Gruppe verfügt über keine gesellschaftlichen Strukturen, innerhalb derer sie ihre Lebensentwürfe gemeinschaftlich realisieren kann. Parallele Gesellschaft würde bedeuten, dass sie autorisiert ist, sich ihre eigene Gesetzesgrundlage zu schaffen. Dies wäre eine völlig neue Art von Separatismus, der nicht auf ethnischen oder territorialen Abgrenzungen mit dem Ziel veränderter Machtstrukturen baut, sondern auf dem Verlangen nach Autonomie für die Umsetzung anderer Lebensentwürfe.

Quellen

[i] Katja Kipping: „Mit einem Grundeinkommen die Verhältnisse zum Tanzen bringen – nicht nur in Europa“ in: Blaschke u.a. (2012)

[iii] Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands (KAB): „Garantiertes Grundeinkommen“ Köln 2011

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Fürst

Es ist die unüberwindliche Irrationalität, die dem Menschen den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit versperrt.

Klaus Fürst

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