Was tun wir hier eigentlich?

Widerstand gegen wen? Das Verhalten der Mehrheit wirft die Frage auf, wie sich kritische Pressearbeit sowie politisches Engagement im Allgemeinen überhaupt noch sinnvoll gestalten lässt.

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Ihre Freitag-Redaktion

Es ist recht still geworden in der Freitags-Community. Das sapere aude! weicht jetzt häufiger dem quo vadis?; und das ist beileibe keine rhetorische Frage, die üblicherweise gestellt wird, wenn man die Antwort zu kennen glaubt – nein, man kennt sie nicht, man weiß nicht, wohin die Reise gehen soll.

Selbst sonst so sprachgewaltige Autoren scheinen zwei Fragen zu bewegen: Ist das, was wir hier schreiben, überhaupt noch von Belang, gemessen an den aktuellen Vorgängen? Und wen soll man eigentlich attackieren, wo doch niemand eine praktikable Alternative bietet? Die Betonung liegt auf praktikabel, denn Alternativen gäbe es schon, doch die werden von den Menschen nicht akzeptiert, weil es an ihren Wohlstand gehen würde. Und so ist dieses Schweigen Ausdruck puren Entsetzens über die Erkenntnis, dass kein Politiker eine humanistische Lösung anbieten kann, weil die Mehrheit der Menschen zu humanistischem Handeln nicht bereit ist. Da wirken auch die verbalen Hiebe auf das global agierende Kapital wie verzweifelte Rituale.

Vor der Flüchtlingswelle war alles einfacher für uns Schreiber. Die Mächtigen, kolportiert durch die Lügenpresse, sorgten dafür, dass den Menschen die Wahrheit vorenthalten blieb. Das war eine großflächige Zielscheibe für all unsere Attacken. Nun offenbart sich, was wir gern verdrängt haben: die Wahrheit ist längst nicht mehr die Essenz, die der Gesellschaft vorenthalten wird. Alle Wahrheiten, die nötig sind, um zu humanistischem Handeln bewegt zu werden, liegen vor uns ausgebreitet. Was fehlt, ist die Bereitschaft, nach ihnen zu leben. Zeugnis dafür ist der Erfolg des Rechtspopulismus, der die Mehrheit infiziert hat und nur in seinen Extremen noch nicht mehrheitsfähig ist.

Vor einem Jahr begann ich mit der Arbeit an einem Buch über Demokratieprobleme. Alles schien so klar, man brauchte es nur noch in goldene Lettern zu gießen. Dann kamen die Flüchtlinge und mit ihnen die Erkenntnis, dass nichts mehr so sein wird, wie es war. Die schönen Rituale des Widerstands, vom Demonstrieren bis hin zum Zivilen Ungehorsam – sie wirken kraft- und hilflos, vor allem weil man nicht genau ausmachen kann, wogegen der Widerstand sich eigentlich richten soll. Denn es ist nicht mehr allein das repräsentative System, es ist der Mehrheitswille selbst, den man attackieren müsste. Aber wie soll man das tun? Ich habe keine Ahnung, und das ist auch der Grund für meine Schweigsamkeit.

Am besten beschreibt wohl ein Beitrag von Regine Beyß diese Situation. Sie fasst ihre Sprachlosigkeit in viele Fragen – die richtigen Fragen!

Sind wir schon an der Grenze des Machbaren angekommen? Läuft die Frage nach einem Mehr an Aktivismus ins Leere, weil niemand dieses Mehr noch stemmen kann? Sind wir einfach zu wenige? Oder müssen wir uns gar von dem Ziel verabschieden, die Welt zu einer besseren zu machen? Vielleicht ist es sinnlos, darauf zu hoffen, die Gesellschaft als Ganze zu verändern. Vielleicht ist dieser Kampf nicht zu gewinnen. Stattdessen könnten wir uns darauf konzentrieren, die vielen kleinen Enklaven von Solidarität und Freiheit zu bewahren, die es heute schon gibt. Das wird schon schwer genug und bringt mich wiederum zu der Frage: Können wir solche Räume verteidigen, während um uns herum die Welt auseinanderfliegt?

Nichts wird mehr so sein, wie es war? Wer weiß, vielleicht ist gar nichts anders geworden; vielleicht tritt vieles nur deutlicher zu Tage. Die Antworten können also konkreter gegeben werden, das Spekulative muss mehr und mehr außen vor bleiben. Sprich: man sollte etwas zu sagen haben, um etwas zu sagen. Doch es bleibt die Frage: wer hört zu? Insofern sind die von Regine Beyß genannten „kleinen Enklaven von Solidarität und Freiheit“ – und ich möchte hinzufügen: Vorbildwirkung – vielleicht doch der einzig gangbare Weg, und unser Kampf wird die Verteidigung dieser Räume sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Fürst

Es ist die unüberwindliche Irrationalität, die dem Menschen den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit versperrt.

Klaus Fürst

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