Wenn Satire die Seiten wechselt

heute SHOW Immer öfter hat man den Eindruck, dass die auf den öffentlich-rechtlichen Sendern omnipresenten Satiresendungen zu Verstärkern der offiziellen Meinungsbildung werden.

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Was darf Satire? Kurt Tucholsky beantwortete diese Frage vor 100 Jahren mit "Alles", und ich habe ihm bisher stets recht gegeben. Doch nun muss ich eine Ausnahme hinzufügen. Eine Ausnahme, die mir all die Jahrzehnte, in denen ich mich mit Satire befasse, nie erwähnenswert schien:

Satire darf sich nicht den Mächtigen andienen.

Eine Ausnahme, die sicher auch Tucholsky als zu selbstverständlich erschienen wäre. Aber in unserer Zeit bröckeln viele alte Selbstverständlichkeiten. Kabarett nahm stets die Fehler und Schwächen der Mächtigen und Mehrheiten ins Visier. In diesen Tagen beobachten wir einen perfiden Seitenwechsel: auf Minderheiten, Widerständler, Andersdenkende werden nun die Pfeile abgeschossen. Sicher gibt es unter denen auch Leute, die es verdient haben, das rechtfertigt aber nicht die systematische Abkehr von der eigentlichen Aufgabe der Satire.

Besonders eklatant zeigt sich dies in der heute SHOW. Seit dem Shutdown im April wird uns hier wöchentlich (zum Glück gab es eine Sommerpause) feinste Staatspropaganda geboten. Die Sendungen werden dominiert von Belehrungen über richtiges Verhalten in Zeiten von Corona. Kritisches Hinterfragen der Maßnahmen? Zulassen anderer Standpunkte? Abwägen der Verhältnismäßigkeit? Überhaupt: Faktenanalyse? – Fehlanzeige! Auch letzte Woche wieder:

»Corona bleibt gefährlich, selbst Patienten mit mildem Verlauf leiden manchmal an schlimmen Spätfolgen, wie Herzmuskelentzündung.«

Danke für die Belehrung! Aber erstens hat sie nichts in einer Satiresendung verloren und zweitens sollte man wenigstens erwarten dürfen, dass die Botschaft hinterfragt und die Tatsache erwähnt wird, dass alle Viruserkrankungen einzelne schwere Folgeerkrankungen mit sich bringen können und Corona insofern keine besorgniserregende Ausnahme darstellt.

Welkes nächste Schlagzeile:

Allein in Nordrhein-Westfalen und Bayern sind schon wieder über 15.000 Schüler in Corona-Quarantäne. Vor dem Kanzleramt müssten eigentlich jeden Tag Jugendliche demonstrieren…“

Oh, denke ich, jetzt kommt er ja doch noch auf den Punkt. Aber der Satz geht weiter:

»… für vernünftigen Digitalunterricht

Kein Wort darüber, dass der Sinn der Schulschließungen zu hinterfragen wäre, weil alle Studien zeigen, dass von Schulen das geringste Risiko ausgeht, erst recht bei der aktuell niedrigen Anzahl von Infektionen. Dass also zumindest die Verhältnismäßigkeit in Frage zu stellen ist. Stattdessen der ewige Psalm von der Rückständigkeit des deutschen Bildungswesens auf digitalem Gebiet – ein Versäumnis, das von allen Politikern längst zugegeben wurde.

Aber auch das andere Flaggschiff der öffentlich-rechtlichen Satire - extra3 – hat den Kurs in Richtung bissiges Kabarett verlassen und segelt nun in flachen Gewässern. Die Sendung vom 10.09. beginnt mit den Worten:

»Das muntere Nebelkerzenwerfen hat begonnen. Dass Alexei Nawalny mit Nowitschok vergiftet worden ist, ist bewiesen und natürlich liegt auch der Verdacht relativ nahe, dass dahinter der Kreml steckt.«

Tobias Riegel bringt es in einem Beitrag für die Nachdenkseiten auf den Punkt:

»Diese Art der „Satire“ ist keine Satire, sondern eine Form der moralischen Belehrung. Die stärkt nicht nur die Mächtigen und diffamiert Andersdenkende. Zusätzlich sind diese Predigten nicht lustig. Die Definition der eigenen Kunstform wird von den öffentlich-rechtlichen „Satirikern“ auf den Kopf gestellt: Satire wäre es, wenn Heute Show und Extra 3 die teils bizarren Reaktionen in Medien und Politik zum Fall Nawalny persiflieren und sie als Kampagne entlarven würden. Doch das Gegenteil geschieht: Einmal mehr wirken hier die „Kabarettisten“ als Unterstützer von Regierung und großen Medien, beide Bereiche werden gegen berechtigte Kritik abgeschirmt.«

Dabei wurde ein besonders raffinierter Stil von Obrigkeitshörigkeit entwickelt, den sich die Macher dieser Sendungen wohl bei den Hofnarren des Mittelalters abgeschaut haben: ist der Herrscher guter Laune, darf man ihn veralbern, ist er schlechter Laune, tut man nur so und redet ihm in Wirklichkeit nach dem Mund, am besten, indem man Formulierungen gebraucht, die der Herrscher aus diplomatischen Gründen nicht verwenden möchte.

Hoffen wir nur, dass dies nicht Vorboten einer Situation sind, die Walter Benjamin 1931 beschreibt: »Demgegenüber hat der große Typus des Satirikers nie festeren Boden unter den Füßen gehabt als mitten in einem Geschlecht, das sich anschickt, Tanks zu besteigen und Gasmasken überzuziehen, einer Menschheit, der die Tränen ausgegangen sind, aber nicht das Gelächter.«

Tucholsky meinte: »Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.« - Vielleicht sollten sich einige Satiriker wieder einmal die Frage stellen, was eigentlich das Schlechte ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Fürst

Es ist die unüberwindliche Irrationalität, die dem Menschen den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit versperrt.

Klaus Fürst

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