Ist ein teuerer Bordeaux sein Geld wert?

Der Trinker Mit dem Genusswert eines Bordeaux hat der Preis nicht unbedingt was zu tun, meint der Trinker. Man zahlt vor allem fürs Prestige. Global Player haben den Markt verändert
Ist ein teuerer Bordeaux sein Geld wert?

Illustration: Otto

Mit etwas Charme und dem nötigen Respekt findet man Zutritt zu fast jedem Weingut auf französischem Boden. Nicht so im Falle vieler klassifizierter Domänen des Médoc, jener in puncto Rotwein legendären Region am Westufer der Gironde. Hier bleiben die Tore zumeist verschlossen, Kontakt findet gar nicht erst statt, und Wein gibt es weder zu probieren noch zu kaufen. In der Bar der nächsten Ortschaft zucken die Einheimischen auf Nachfrage mit den Achseln. Neben ehrfürchtigem Raunen ertönt auch mal ein deftiger Kommentar, und bei einem Pastis verbrüdert man sich schnell zu einem Kreis von Underdogs, die auf den berühmten Châteaux nichts verloren haben. Inklusion: Fehlanzeige. Bleibt der Tipp: Man solle es bei kleinen Gütern versuchen.

Die großen Châteaux des Médoc umgeben sich mit einem hermetischen Gürtel von Maklern, Händlern und Agenturen, die von Bordeaux aus die Vermarktung der Weine betreiben. Das Prinzip der Vertriebsmaschinerie ist Exklusivität. Auch in dieser auf den Big Deal getrimmten Zone ist einfache Laufkundschaft nicht gefragt. Bestenfalls kann man in einem Maison du Vin die eine oder andere exquisite Flasche ergattern: zu Touristenpreisen, versteht sich.

Rating-Agent in Sachen Wein

Wer es nicht lassen kann, bleibt zu Hause und subskribiert. Lange bevor die neuen Jahrgänge der Grands Crus Classés in den Handel kommen, hat der Kunde die zweifelhafte Ehre, sich die begehrten Flaschen durch ein Termingeschäft zu sichern. Allerdings muss er sich den Spaß auch leisten können. Subskribierte 6 Flaschen Château Latour 2010 kosten bis zu 8.370 € [sic], die gleiche Menge des drittrangigen Château Palmer geht für immer noch stolze 1.800 € über den Tresen. Den Startschuss zum jährlichen Schacher gibt der allgewaltige Robert Parker, Amerikas Rating-Agent in Sachen Wein. Nach seinem Diktum entscheiden die Güter über die Preise.

Mit dem Genusswert hat die Preisbildung nur bedingt zu tun. Der Trinkgenuss solcher Weine ist längst nicht immer exzeptionell, bedeutsam ist eher das erstandene Prestige. Die Politik der Marktführer im Médoc entspricht vor allem dem Eskapismusbedarf der neuen Haute-Volée. Die aktuelle Image-Kampagne für erlesene Rote der Region preist die „Kunst eines Lebens mit Stil“ und meint den mondänen Lifestyle der Schickeria, der Bourgeoisie „chichi“, die sich neuerdings auch in der östlichen Hemisphäre tummelt.

Weil der Handel rentabel ist, haben auf den großen Gütern des Médoc längst Global Player das Ruder übernommen. Großbanken, Versicherungen, ­Me­gakonzerne und eigenwillige Milliardäre sind hier am Drücker. Kaum ein Schlossherr wohnt auf seinem Gut, um über den Wein zu wachen. Stattdessen sind Scharen von Verwaltern, Kellermeistern und Önologen für die Weinherstellung zuständig. Der Proprietär im Hintergrund schielt auf den Profit und setzt auf eine weitgehend anonyme, aber ambitionierte Klientel mit vielversprechenden Präferenzen, einer enormen Kaufkraft und keinerlei Hemmungen.

Die „Begeisterung für den Glanz der Galerie“ bezeichnete Karl Popper als ein sittliches Problem unserer Zeit, und den entsprechenden Mangel an Realismus identifizierte er als gravierendes geistiges Defizit. Man darf vermuten, dass das System Bordeaux dazu neigt, auf diese Lage der Dinge zu spekulieren, solange der Markt boomt und der Rubel rollt. Dass nur ein kleiner Kreis Zutritt findet zu diesem blasierten Spiel, entspricht weniger dem Geist der Marseillaise als einer Wiedergeburt der Ständeklausel. Die neue Aristokratie sonnt sich gern in separaten Gefilden: in Höhen, in denen die Freiheit offensichtlich keine Grenzen mehr kennt.

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