Warum sterben manche großen Weine aus?

Der Trinker Große Weine werden von Querköpfen gemacht. Der Trinker Klaus Kosok erinnert an legendäre Winzer aus Piemont, die schon mal politische Botschaften auf Flaschen schrieben
Warum sterben manche großen Weine aus?

Illustration: Otto

"Kein Barrique, sondern Barrikaden!" Zeit seines Lebens stemmte sich einer der großen alten Winzer aus Barolo gegen die modernistische Überfremdung der Weine seiner Heimat. Entschieden redete er der Bewahrung lokaler Traditionen und der Abwehr globaler Standards das Wort, wenn es um Rotwein der idyllischen Langa Albese im Süden des Piemont ging.

Bartolo Mascarello, der Barolista mit der Mütze, vertrat leidenschaftlich und rigoros das Credo seiner Vorfahren: Der Nebbiolo lebe von seinem opulenten Extrakt und seiner massiven Struktur, brauche eine lange Maischegärung, gehöre dann für Jahre in große Fuder und vertrage kein forzare la mano, keinerlei önologischen Zuschnitt. Und mit einem ironischen Seitenhieb auf die jungen Wilden unter den Nachbarwinzern betonte er, dass seine Weine nichts für den Kindergeburtstag seien: "Ein wirklicher Barolo mit seinen natürlichen Ecken und Kanten schmeckt erst nach zehn Jahren, dann aber nach Barolo und nicht nach Vanille wie die Weine aus Kalifornien und Down Under." Der letzte Mohikaner, wie er sich selbst nannte, starb im März 2005.

"Aus den Trauben, nicht aus dem Fassholz!"

Ein Gralshüter des traditionellen Barolo war auch Giovanni Conterno aus Monforte d'Alba. Er hielt nichts von Weinen für den schnellen Genuss, für den gleichgeschalteten Gaumen. Sein Großvater hatte 1920 den ersten großen Barolo, den Monfortino, kreiert und damit zugleich der Abschaffung der Korbflasche den Weg gebahnt. Diesen Monfortino ließ Giovanni mindestens sieben Jahre in großen alten Holzgebinden reifen: senza trucco – ohne jede Manipulation. Auch er verstand sich als erklärter Gegner des Barrique: "Die Tannine meiner Weine stammen aus den Trauben, nicht aus dem Fassholz!" An Wucht, Reintönigkeit, Komplexität und Langlebigkeit waren Conternos Weine von keinem Rotwein der Welt zu übertreffen.

Unvergesslich ist mir der Genuss eines rubinroten Monfortino 1978, den ich abends auf einer Terrasse in Piemont trinken durfte. Im Glas öffnete sich ein Barolo voll aromatischer Dichte: mit dem typischen Duft nach welker Rose, Veilchen, Tabak und Trüffeln, dann mit Anklängen von Brombeere, Pflaume, schwarzer Kirsche, Süßholz, Wacholder, Eukalyptus, Minze, Tee, Salbei, Leder, Kakao und Zimt. Zu Recht werden selbst siebzigjährige Weine von Conterno heute noch gehandelt. Giovanni Conterno starb im Februar 2004.

Lange vor ihm fand der eigenwilligste Barolista der alten Schule einen frühzeitigen Tod. Enrico Pira maischte die Trauben noch mit bloßen Füßen ein und produzierte "Wein mit Seele" unter quasi vorsintflutlichen Bedingungen. Bis heute lebt sein Mythos in den Disputen alter weinkundiger Piemonteser. 1980 stürzte Pira in seinen eigenen Brunnen und starb. Eine junge Verwandte übernahm schließlich das Gut und modernisierte es von Grund auf. Sie setzte wie die jungen Barolo Boys der neuen Ära auf einen Update-Barolo – auf Hightech, Tempo und Marketing. Mostkonzentration, kurze Maischung, Rotofermentation, neues Barrique und önologische Beratung von außen sorgen heutzutage für tiefdunkle, geschliffene, marktträchtige Weine.

Der jetzt vorherrschende Standard der Voerzio, Vietti, Altare, Clerico, Sandrone und anderer vermag aber nicht, das Niveau alter Tage zu halten. Ein großer Wein stirbt aus, weil die Nach­fahren der alten Mavericks dem Trend der Zeit nicht trotzen. Und mit ihm stirbt auch die Courage, mit der noch Mascarello – bei allem Ärger mit den Behörden – auf den Etiketten seiner Flaschen freimütig Flagge zeigte. Seinen Barolo 1999 zierte die Botschaft: "No Barrique, no Berlusconi!" Und auch dazu bedurfte es keiner globalen Rückendeckung.

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