Dorn in der Brust

K-u-J-Bücher Isabel Allende hat einen Abenteuerroman für Jugendliche und Erwachsene geschrieben

Die Deutschen lieben Isabel Allende. Kaum in einem anderen Land ist die Autorin des Geisterhauses so beliebt. Woher die Affinität rührt, mag zu jenen Geheimnissen gehören, derer die Vertreterin des "magischen Realismus" mächtig ist. Von diesem Jahr an nimmt sie nun auch zum ersten Mal die jüngere Generation gefangen: Die Stadt der wilden Götter ist Allendes erstes Jugendbuch.

Der Plot ist in der Tat spannend: Ein geheimnisvolles Wesen soll im Amazonas-Gebiet aufgetaucht sein, ein übergroßes Untier, eine Bestie ähnlich dem Yeti. Hochkarätig besetzt ist die Expedition, die dem Wesen auf die Spur kommen will: Ein weltberühmter Wissenschaftler, Fotografen, ein erfahrener Scout, eine Medizinerin und vor allem Kate Cold, die Journalistin. Sie ist eine etwas exzentrische ältere Dame, die schon in allen Krisengebieten der Erde Reportagen gemacht hat. Cold nimmt ihren Enkel Alex mit, einen Großstadtjungen, für den damit ein atemberaubendes Abenteuer seinen Anfang nimmt.

Im Gegensatz zu den Erwachsenenromanen Allendes, in denen manche Figuren eher etwas assoziativ auftauchen und wieder verschwinden, hat die Stadt der wilden Götter einen klaren Spannungsbogen. Es geht den Fluss aufwärts immer weiter hinein in den unzugänglichen Regenwald, immer weiter weg von jeglicher Zivilisation. Dass dabei von einer Sekunde auf die andere höchst erstaunliche Dinge passieren, über die die Schriftstellerin ganz unaufgeregt, geradezu beiläufig berichtet, dieser Zug der Allende beim Erzählen ist geblieben. Kaum jemand merkt es zum Beispiel, als einem der Reisenden ein langer Dorn in die Brust fährt. Sehr sachlich wird dann festgestellt: Selbst wenn die Indianer, denn diese haben offensichtlich aus Blasrohren geschossen, nicht so genau ins Herz getroffen hätten, wäre der Mann auch umgekommen, des Pfeilgiftes wegen.

Dieses Gefühl, dass ständig alles passieren kann, lieben die Leser der Isabel Allende. Sie lässt noch einiges geschehen, bis die Reisenden schließlich auf die Lebewesen aus der Urzeit stoßen. Vor allem die Begegnung mit den Nebelmenschen wird für Alex und die junge mitfahrende Nadia zu einem Gang in eine andere Welt. Die Indianer entführen die beiden. Ihr Schamane bringt sie zu dem Ort, nach dem Generationen von Europäern in Südamerika gesucht haben, nach El Dorado. Isabel Allende gibt sein goldenes Geheimnis auf eine völlig unerwartete Weise frei.

Alex und Nadia werden von den Indianern überraschend mit nichts anderem als der Rettung des kleinen Volkes betraut. Von da an beginnt ein tief symbolhaltiges und aufregendes Spiel zwischen Traum und Realität. Isabel Allende hat zum ersten Mal ein richtiges Abenteuerbuch geschrieben. Ihren reich verzweigten Erzählstil hat sie zwar in Grenzen beibehalten. Sie ist sich aber die ganze Zeit bewusst, dass die Story weitergetrieben werden und auf einen Höhepunkt zusteuern muss. Und dass das eine oder andere Rätsel zur Befriedigung der jungen Leser im Laufe der Geschichte aufgelöst werden muss. Auch Überraschungen hält sie parat, wenn sich etwa die wunderschöne venezolanische Ärztin Omayra Torres mit der bernsteinfarbenen Haut und den katzenhaft grünen Mandelaugen, die sich so engagiert um die Impfung der Indianer vor ansteckenden Krankheiten bemüht, am Ende doch als eine unerwartet andere Frau erweist. Oder wenn die Kräfte des Großstadtjungen Alex in einer Weise zunehmen, dass nicht viel zur Verwandlung in den gefürchteten schwarzen Panther fehlt.

Diese Abenteuer-Allende von ihrer neuen Seite kennen zu lernen, dürfte auch viele erwachsene Fans reizen. Der Roman ist denn auch - ebenso wie jüngst die Harry-Potter-Romane - in einer separaten belletristischen Edition bei Suhrkamp erschienen. Dass die Stadt der wilden Götter zumindest ansatzweise ein Potter-verdächtiger Erfolg bei Jugendlichen wie Erwachsenen wird, hoffen die Verleger: Das Buch ist mit einer Startauflage von 200.000 Exemplaren auf den Markt gekommen.

Isabel Allende, Die Stadt der wilden Götter, Hanser, München 2002, 360 S., 16,90. EUR


auch bei: Suhrkamp, Frankfurt/M. 2002, 328 S., 22,90 EUR

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