Gewerkschafter als Klimaleugner

Braunkohle Arbeitnehmervertreter aus dem Rheinland haben die "Schnauze voll" von Öko-Aktivismus gegen Kohle. Auf der Kampagnenseite wird der Stand der Klimawissenschaft geleugnet
Immer diese nervigen Umweltschützer!
Immer diese nervigen Umweltschützer!

Foto: Christian Mang / Imago

Wolfgang Getz hat die Schnauze voll. Michael Müller auch. Klaus Emmerich erst recht. Die drei tauchen auf der Facebook-Seite "Schnauze voll" auf und werden dort als Beschäftigte im Rheinischen Braunkohlerevier vorgestellt. In langen Stellungnahmen zählen die Männer auf, wovon sie die Schnauze voll haben: von "Klima-Aktivisten mit ihren Totschlagargumenten", von "Klima-Aktivisten, die unbefugt in den Tagebau eindringen, unter laufende Bandanlagen krabbeln, sich dadurch in Lebensgefahr begeben", von "manipulativen und halbwahren Berichten in den meisten Medien" zum Beispiel.

Die Betreiber der Seite sind nach eigener Auskunft Vertrauensleute der Energiegewerkschaft IG BCE sowie der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Erklärtes Ziel der Kampagne ist es, "den Beschäftigten der konventionellen Energieerzeugung ein Gesicht zu geben" und sich "gegen Gewalt von Ökoaktivisten" zu stellen. Außerdem wolle man "Informationsmedium" sein. Für den 26. August ruft "Schnauze voll" zur Demonstration auf – genau dann, wenn sich Umweltaktivisten wie jedes Jahr im Rheinland zum Klimacamp treffen wollen.

Die Facebook-Seite existiert seit Mitte Juli. Es wechseln sich Beiträge, in denen Mitarbeiter des Energiekonzerns RWE mit ihren Beschwerden gegenüber Klimabewegung, Medien und Regierung zu Wort kommen, mit solchen ab, in denen die Betreiber sich gegen den Vorwurf der Leugnung des menschengemachten Klimawandels wehren – um diesen Vorwurf in weiteren Beiträgen zu bestätigen.

Man sei, so ist da zum Beispiel zu lesen, über den kühlen Sommer froh, sonst hätte man sich "vor noch mehr ideologischem Klimawandelgerede kaum noch retten können". Als Antwort auf einen kritischen Kommentar schreibt einer der Betreiber: "Ich habe meine Zweifel an der auch von Ihnen vertretenen These zum menschgemachten Klimawandel."

Umweltpreisträger ist Klimaleugner

Untermauern sollen das Stellungnahmen von Wissenschaftlern – ein Klimaforscher ist allerdings nicht dabei. Dafür aber zum Beispiel Horst-Joachim Lüdecke. Der auf Strömungsmechanik spezialisierte Physiker ist emeritierter Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes und bekanntes Mitglied des Vereins EIKE, der den Einfluss des Menschen auf das Klima bestreitet. "Nicht das Klima ist bedroht, sondern unsere Freiheit!", lautet der Leitspruch der Truppe.

"Von fachnahen Naturwissenschaftlern und Klimarealisten erwartet, haben sich die IPCC-Voraussagen nicht erfüllt", zitiert "Schnauze voll" aus Lüdeckes 2013 erschienenem Buch "Energie und Klima – Chancen, Risiken, Mythen". Weiter heißt es dort: "Etwa ab 1998 hat trotz steigender CO2-Emissionen eine neue Abkühlungsphase begonnen, die noch andauert." Es geht also um den alten – längst widerlegten – Hut mit der Erderwärmungspause.

Einigermaßen überraschend zitiert "Schnauze voll" allerdings auch Edmund Lengfelder. Der Arzt und Strahlenbiologe war Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München und leitet immer noch das Otto-Hug-Strahleninstitut (OHSI). Bekannt ist er vor allem als Leitfigur bei der Opferhilfe nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl. Dafür und für seine Rolle im deutschen Atomausstieg wurde er mehrfach ausgezeichnet. In renommierten Medien taucht er regelmäßig als Atomkraftexperte auf.

Auf der Kampagnen-Seite bestreitet Lengfelder nun den menschengemachten Klimawandel. "In den vergangenen Jahrzehnten wurde wissenschaftlich einwandfrei nachgewiesen, dass das Klima auf der Erde durch die von der Sonne eingestrahlte Energie und deren Schwankungen bestimmt wird", zitieren ihn die Betreiber von "Schnauze voll". Auch das entspricht nicht dem Stand der Wissenschaft. Dass der Mensch den Klimawandel durch seinen CO2-Ausstoß verursacht, werde "von offiziellen Stellen wie UNO-Organisationen, EU-Kommission, den meisten Regierungen inkl. Deutschland behauptet", um Menschen Angst zu machen, heißt es weiter.

Tatsächlich sind diese Aussagen Lengfelders auf der OHSI-Website zu finden, zusammen mit einigen aufgewärmten Verschwörungstheorien. Das Statement haben die Betreiber von "Schnauze voll" dort einem Brief des Strahlenschützers von 2013 entnommen. Auch die bekannten Thesen von Windkraftgegnern machte sich der 73-Jährige kürzlich zu eigen – während sein Institut für Energiewende-Projekte wirbt. Mit "Schnauze voll" hat Lengfelder nichts zu tun. "Ich kenne die Schnauze-voll-Leute nicht", sagte er. Zu den zitierten Aussagen stehe er aber, so der Umweltpreisträger.

Verdi hat sich distanziert

In den Gewerkschaften regt sich mittlerweile Widerstand gegen die "Schnauze voll"-Kampagne. Einige Engagierte haben einen Gegenaufruf gestartet, bisher haben 40 Mitglieder von Verdi, IG BCE, IG Metall und GEW unterschrieben. "Wir befinden uns heute in einem sich verstärkenden Klimawandel, der auch vor unserer Haustür nicht mehr Halt macht", heißt es darin. "Für das Klimacamp im Rheinland, Ende August, haben eine Reihe von 'Vertrauensleuten' aus IG BCE und Verdi unter dem Titel 'Schnauze voll' damit gedroht, diese Veranstaltung massiv zu behindern", schreiben die Gewerkschafter. Man distanziere sich "ausdrücklich von diesem Vorhaben".

Verdi hat zudem unterbunden, dass "Schnauze voll" das Logo der Dienstleistungsgewerkschaft benutzt. "Die haben das Logo einfach genommen, ohne zu fragen", sagt Peter Lafos von der nordrhein-westfälischen Verdi-Landesgruppe. Einzelnen Mitgliedern könne und wolle man nicht verbieten, sich an der Kampagne zu beteiligen. Das bedeute aber nicht, dass die Gewerkschaft dahinterstehe. "Verdi unterstützt diese Kampagne nicht, weder auf Bezirks- noch auf Landes- oder Bundesebene", so Lafos.

Die IG BCE ist da ruhiger. Das Logo der Industriegewerkschaft prangt immer noch gut sichtbar ganz oben auf der Kampagnenseite. "'Schnauze voll' ist der IG BCE bekannt", erläutert Christian Hülsmeier, Sprecher der Bergbaugewerkschaft. "Unser Bezirk Alsdorf unterstützt die Aktion, die von Vertrauensleuten der IG BCE getragen wird." Mehr sagt er nicht.

Der Bezirk Alsdorf umfasst die Kohleregion bei Aachen. Im Herbst kann man dort einen Workshop über "die Klimalüge" buchen – gleichzeitig werden die Ortsgruppen wie in anderen IG-BCE-Bezirken über den notwendigen Strukturwandel informiert. Einen Hinweis oder Aufruf zur "Schnauze voll"-Kampagne gibt es zumindest im Internet nicht.

In der Klimabewegung sorgt "Schnauze voll" für Empörung. "Die Schnauze-Voll-Kampagne ist ein durchsichtiger Propaganda-Versuch, die unverzichtbaren Proteste gegen fossile Energien zu kriminalisieren", sagt Dorothee Häußermann von Ende Gelände. Das Aktionsbündnis hatte im Frühjahr den Tagebau Welzow-Süd in der Lausitz besetzt, im vergangenen Jahr den Tagebau Garzweiler im Rheinland.

"Das Betreten von Tagebaugelände in einer kollektiven Aktion zivilen Ungehorsams ist keine Gewalt", sagt Häußermann. Das gelte auch für das Errichten von Baumhäusern oder Ankettaktionen an Gleisen. "Es ist der legitime Widerstand gegen die sinnlose, unwiderrufliche Zerstörung von Dörfern, Wäldern und dem globalen Klima, die mit dem Segen des Rechtsstaates noch bis Mitte des Jahrhunderts vor sich gehen soll", so die Aktivistin.

Dieser Artikel erschien zuerst auf klimaretter.info

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Geschrieben von

Susanne Schwarz | klimaretter.info

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