Wie der Kohleausstieg vereitelt wurde

Klima-Serie Die Bundesregierung kann ihr Klimaziel für 2020 kaum mehr erreichen. Einen gewichtigen Anteil daran hat die Lobbymacht der Kohleenergie
Deutschland ist und bleibt ein Kohleland
Deutschland ist und bleibt ein Kohleland

Foto: John Macdougall/AFP/Getty Images

Der 24. Juni 2015 ist ein bitterer Tag für Sigmar Gabriel. Der damalige SPD-Wirtschaftsminister ist eingeladen, auf dem Kongress des Branchenverbandes BDEW zu sprechen. Die Fachleute in seinem Ministerium arbeiten seit Monaten an einem neuen Instrument zum Klimaschutz: alte und ineffiziente Braunkohlekraftwerke sollen aus dem Markt gedrängt werden. Denn sie verhageln Deutschlands Klimabilanz besonders dramatisch. Und noch in der aktuellen Legislaturperiode soll der erste Schritt in Richtung Kohleausstieg unternommen werden. Diesen Plan attackieren die Interessenvertreter der Energiewirtschaft wochenlang.

Und sie gewinnen. Der Minister kämpft auf dem Kongress nicht weiter. Stattdessen sagt er: „Politik stellen sich manche ja vor wie ein Seil. Man zieht an der einen Stelle und an der anderen bewegt es sich. Es ist inzwischen aber längst ein Netz. Und wenn man an einer Stelle zieht, bewegt es sich vermutlich an vielen Stellen. Und insbesondere da, wo man gar nicht will, dass es sich bewegt.“

Der gescheiterte Kohleausstieg ist ein Lehrstück. Es zeigt, warum beim Klimaschutz in Deutschland seit Jahren Stillstand herrscht. Die Emissionen der Energiewirtschaft sind seit 1996 nicht mehr gesunken. Was an wirklichen Einsparungen geschafft wurde, geht größtenteils auf die Stilllegung alter Kraftwerke und den Zusammenbruch der Industrie der früheren DDR Anfang der 1990er Jahre zurück.

Gabriel ist bei seinem Auftritt vor dem BDEW ein mächtiger Mann. Er ist SPD-Chef, Vizekanzler, Superminister für Wirtschaft und Energie. Hinter Kanzlerin Angela Merkel vom großen Koalitionspartner CDU ist er in der Regierung die Nummer zwei. Mit Merkel hat er die Klimaabgabe abgesprochen und sich vorab Rückendeckung geholt. Trotzdem gelang es einer Koalition aus Parteien, Energieriesen, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften, den Status-Quo zu erhalten.

Als die Pläne im März 2015 publik werden, schalten die Energiekonzerne aus Nordrhein-Westfalen sofort auf Gegenangriff. Der damalige RWE-Chef Peter Terium ruft Hannelore Kraft (SPD) an, damals Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin. Der Konzern hat bislang die Energiewende ignoriert. Die Braunkohle in alten, abgeschriebenen Meilern zu verstromen, ist nach wie vor ein Riesengeschäft. Das soll noch so lange wie möglich Gewinne abwerfen. Viele, oftmals SPD-regierte Städte in dem Bundesland, halten große Aktienpakete von RWE, schon allein deshalb hat Kraft ein offenes Ohr für Terium.

Terium schaltet auch Michael Vassiliadis ein, den mächtigen Boss der Bergbau- und Energiegewerkschaft IG BCE. Vassiliadis ist einer der glühendsten Kohle-Verfechter der Republik. Er spricht von einer „Brückentechnologie“, die noch für viele Jahre „unverzichtbar“ sei. Mit dem SPD-Mitglied Vassiliadis haben die Energiekonzerne einen besonders schlagkräftigen Verbündeten. Seine Gewerkschaft beauftragt die US-Investmentbank Lazard, einen Branchenriesen, der sonst auf Fusionen spezialisiert ist, mit einem Gutachten. Das Ergebnis hört sich bei Vassiliadis so an: „Mit der Klimaabgabe wären die Unternehmen weg.“

Unterdessen nutzen die Länderchefs von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg eine Bundesratssitzung zur Generalabrechnung mit Gabriels „Strafabgabe für Kraftwerke“. Der Tenor: Ostdeutschland habe durch den Zusammenbruch seiner Industrie nach der Wende schon überproportional Emissionen gesenkt.

Merkel laviert bei Klimaabgabe herum

Gabriel kommt gegen die Behauptungen seiner Gegner nicht an. Dass in den Braunkohle-Regionen ein „Strukturbruch“ drohe. Dass massenhaft Arbeitsplätze vernichtet würden. Bis heute rätseln Insider, wie einem Polit-Profi wie Gabriel das passieren konnte.

Nun zeigt sich auch, dass die Rückendeckung der Kanzlerin keineswegs so klar und sicher war, wie es zunächst erschien. Beim „Petersberger Klimadialog“ mit internationalen Partnern Mitte Mai 2015 in Berlin fordert Merkel zwar eine Weltwirtschaft ohne klimaschädliche Gase. Bei Gabriels Klimaabgabe aber laviert sie herum. „Es gibt Gründe, die für den Vorschlag sprechen“, sagt sie. Doch erstmal müsse „genau gerechnet werden“. Damit ist der Plan de facto tot.

Jetzt kann es nur noch darum gehen, einen Alternativvorschlag zu entwickeln, der niemandem weh tut. Das tut Gabriel Anfang Juni 2015 – gemeinsam mit Vassiliadis und Kanzleramtschef Peter Altmaier von der CDU. Mit dabei ist auch SPD-Wirtschaftsminister Garrelt Duin aus Nordrhein-Westfalen. Heraus kommt die „Kohle-Reserve“. Sie ist quasi das Gegenteil der ursprünglichen Idee. Die Konzerne werden dafür entlohnt, dass sie sechs große Braunkohle-Blöcke für vier Jahre „bereithalten“, um sie danach abzuschalten.

Experten warnen indes, dass die Kohle-Reserve nicht die erhofften Einsparungen bringen wird. Viele Anlagen, die nun zur Reserve veredelt werden, wären ohnehin in den nächsten Jahren aus Altersgründen abgeschaltet worden. Zudem kostet das Vorhalten die Steuerzahler eine Milliarde Euro. Zu viel für zu wenig.

Trotzdem wird die Kohle-Reserve beschlossen, und zwar unter dem schönen Namen „Sicherheitsbereitschaft“. Das Wort „Kohle“ ist damit gleich mit entsorgt. Doch Deutschland, das sich für seine Energiewende rühmt, bleibt weiter ein Kohleland.

Wichtige Kohle-Lobbyisten

Joachim Pfeiffer: Alles Hand in Hand

Bei Joachim Pfeiffer läuft alles parallel, Hand in Hand. Der CDU-Politiker aus dem schwäbischen Mutlangen arbeitet für die Energiebranche und macht gleichzeitig Energiepolitik im Bundestag. Inzwischen hat der 50-Jährige eine Menge Ämter und Posten angesammelt. Im Bundestag ist er wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher seiner Fraktion und im Energieausschuss des Parlamentes. Privat betreibt er eine eigene Consulting-Firma und hat daneben noch 20 Aufsichts- und Beiratsmandate in Unternehmen, Verbänden und Stiftungen inne; überwiegend in den Bereichen, zu denen sich auch der Politiker Pfeiffer am liebsten äußert: Energie, Immobilien, Verkehr.

AG Emissionshandel: Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt die Musik

Die Arbeitsgruppe Emissionshandel wirkt weitgehend im Verborgenen. Dort versammeln sich mehr als 20 Großunternehmen aus Bereichen wie Energie, Chemie, Verkehr, Stahl und Aluminium, dazu mehr als ein Dutzend Wirtschaftsverbände, außerdem die Bundesregierung, vier Bundesländer, die Bundestagsfraktionen, zwei Gewerkschaften und gerade mal vier Umweltverbände. Die Arbeit der Gruppe kostet jährlich rund 170.000 Euro und wird laut Umweltministerium zu zwei Dritteln von der Wirtschaft und zu einem Drittel vom Ministerium finanziert. Offiziell ist die Arbeitsgruppe ein Forum für einen breiten fachlichen Austausch zum Emissionshandel. Tatsächlich aber testen die Unternehmen und Branchen in dem Gremium, wie ihre Forderungen bei der Politik ankommen.

Die Gaswirtschaft: Selbst ernannter Klimaretter

Im Herbst 2016, als die Große Koalition ihren „Klimaschutzplan 2050“ gerade noch einmal verwässert, erscheinen plötzlich in mehreren Zeitungen alarmierende Anzeigen. „Der Klimawandel wartet nicht“, warnen sie und zeigen, wie der Reichstag unter einem dramatisch verfinsterten Himmel in der Sintflut versinkt. Wer hinter der Kampagne steckt, ist zunächst unklar. Recherchen von Journalisten ergeben: Es ist die deutsche Gaswirtschaft. Sie hat eigens den Lobbyverein „Zukunft Erdgas“ gegründet, um Erdgas als unverzichtbaren Klimaretter zu bewerben. Die Satzung nennt neben Marketing, Sponsoring und Werbung auch ausdrücklich „die Unterstützung wissenschaftlicher Arbeiten“, um das Image von Erdgas aufzupolieren. Dabei ist in der Wissenschaft inzwischen klar, dass Gas nur bei der Verbrennung klimaschonender ist als Kohle. Bei der Förderung jedoch entweichen große Mengen des aggressiven Klimagases Methan und verhageln die Bilanz. Das erwähnt die „Stimme der deutschen Gaswirtschaft“ nicht.

Diese Veröffentlichung ist Teil einer Serie zur verfehlten Klimaschutzpolitik in Deutschland und eine Kooperation von klimaretter.info und dem Recherchezentrum CORRECTIV. Die Redaktion finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Ihr Anspruch: Mit gründlicher Recherche Missstände aufzudecken und unvoreingenommen darüber zu berichten. Wenn Sie CORRECTIV unterstützen möchten, werden Sie Fördermitglied. Informationen finden Sie unter correctiv.org.rg.

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