100 Jahre Weimarer Reichsverfassung

Staats-Kirchenleistungen Hundert Jahre nach Unterzeichnung der WRV steht die Ablösung der Staat-Kirchenleistungen noch immer aus. Das ist gesellschaftlich nicht mehr vermittelbar!

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„Es besteht keine Staatskirche“?
„Es besteht keine Staatskirche“?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

In diesen Tagen jährt sich zum 100. Male die Unterzeichnung und Verkündung der Weimarer Reichsverfassung.

Religionspolitisch war sie ein wichtiger Entwicklungsschritt. Nach Jahrhunderten der Allianzen von Thron und Altar, so heißt es in einer Pressemeldung der BAG Christinnen und Christen in der Linken, hat die Weimarer Reichsverfassung eine klare Trennung zwischen Staat und Kirchen vollzogen. In Artikel 137 (1) heißt es kurz und bündig: „Es besteht keine Staatskirche.“

Tatsächlich wurde mit der Weimarer Reichsverfassung sowohl die Finanzierung von Religionsgemeinschaften als auch das Verhältnis zwischen Staat und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in einem demokratischen Sinne grundlegend neu geregelt.

Mit der flächendeckenden Einführung der so genannten Kirchensteuern sollte, so ist es in den Protokollen des Verfassungsausschusses nachzulesen, eine Instrumentalisierung der Kirchen durch vermögende Einzelpersonen verhindert werden. Das Ausschussmitglied Max Quarck (MSPD) wird dort wie folgt zitiert: „Für die Forderung steuerlicher Vorrechte habe ich praktisches Verständnis. Das amerikanische Vorbild der Unterhaltung von Kirchen durch einzelne Großkapitalisten mit entsprechendem Einfluss des Großkapitals auf das kirchliche Leben ist nicht nachahmenswert und auch nicht im Sinne des Sozialismus“ (zitiert nach: Ahment Cavuldak: Gemeinwohl und Seelenheil. Göttingen 2015, S. 214). Der damalige Verfassungsausschuss hatdiese Position in Form des Artikels 137 (6) WRV übernommen.

Gleichzeitig wurde mit der Einführung der so genannten Kirchensteuern die praktische Voraussetzung für eine Ablösung der im wesentlichen 1803 mit dem Reichsdeputationshauptschluss eingeführten Staatskirchenleistungen geschaffen. Artikel 138 der WRV beauftragt die damalige Reichsregierung damit, die nötigen rechtlichen Voraussetzungen für die Ablösung zu schaffen.

Dieser Verfassungsauftrag, der 1949 mit der Übernahme der kirchenpolitischen Artikel (135 bis 141) der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz (Artikel 140) auf die Bundesrepublik übertragen wurde, ist trotz wiederholter Intervention durch die Linksfraktion im Bundestag bis heute auch von der Bundesregierung nicht umgesetzt worden – obgleich sich nicht einmal die Kirchen dagegen wehren. Die Bundesregierung ist gefordert, ein Rahmengesetz zu verabschieden, damit die Ablösung der Staatszuschüsse für die Kirchen auf der Ebene der Bundesländer erfolgen kann. Daran erinnert auch eine Pressemitteilung des Vorstandes der Bundesarbeitsgemeinschaft linke Christ*innen in der Partei Die Linke vom 22. August.

Es ist nicht nur einfach ein Skandal, dass nach 100 Jahren ein solcher Verfassungsauftrag noch immer nicht umgesetzt ist und damit der Vollzug von Artikel 137 (1) der Weimarer Reichsverfassung „Es besteht keine Staatskirche“ bis heute unvollendet bleibt. Zugleich blockiert die Nichtumsetzung bzw. das Festhalten an historisch überlebten und gesellschaftlich nicht mehr vermittelbaren Regelungen bis heute die grundgesetzlich und menschenrechtlich vorgeschriebene Gleichbehandlung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in der Bundesrepublik.

Tatsächlich war das bei der Einführung der Weimarer Reichsverfassung eher eine theoretische Frage. Gleichwohl spricht sie – abgesehen von den Stellen, in denen es explizit um die Kirchen geht – nicht von Kirchen, sondern ganz in einem progressiven demokratischen Sinn von Religionsgemeinschaften und in Artikel 137 (7) von ihnen gleichgestellten Vereinigungen zur gemeinschaftlichen Pflege einer Weltanschauung, die offensichtlich von den Autoren der Weimarer Reichsverfassung als wesentlich für eine Demokratie eingeschätzt wurde.

Die heutige Gesellschaft in der Bundesrepublik ist jedoch religös und weltanschaulich sehr viel pluraler geworden. Die zwischen dem Staat und den etablierten Kirchen über Jahrzehnte eingespielten rechtlichen Beziehungen sind, wie sich am Beispiel der Moschee-Steuer-Diskussion zeigt, keine Blaupause für alle Religionsgemeinschaften.

Die bis heute auf der Weimarer Reichsverfassung basierenden Beziehungen zwischen dem Staat und den Kirchen müssen daher der heutigen veränderten religions- und weltanschauungspolitischen Situation in der Bundesrepublik angeglichen werden. Der Auftrag der Weimarer Reichsverfassung, eine demokratische Gestaltung des Verhältnisses zwischen Staat, Gesellschaft und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (und damit lebensfähige und für eine Demokratie lebensnotwendige Zivilgesellschaft, zu er auch Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gehören) zu entwickeln, ist auch nach 100 Jahren noch nicht abgeschlossen, sondern muss entsprechend der heutigen Gegebenheiten weiterentwickelt werden.

In diesem Sinn fordert der Vorstand der BAG linke Christ*innen in seinerbereits zitierten Pressemeldung sowohl eine unverzügliche Umsetzung der Ablösung der Staatskirchenleistungen ein als auch eine Weiterentwicklung der Rechtsformen sowie der Finanzierung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die dem verfassungs- und menschenrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung entspricht. Das Modell der italienischen Kultursteuer, bei der alle zahlen und die Empfänger der Zahlungen an Organisationen der Zivilgesellschaft bestimmen können, kann dabei aus Sicht der BAG eine Orientierung geben. Letztlich muss eine solche Weiterentwicklung in einer Neugestaltung und Stärkung des gesamten zivilgesellschaftlichen Sektors münden, dessen Teil Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind.

Die Linksfraktion im Bundestag hatte bereits 2012 eine Initiative zur Umsetzung des noch offen stehenden Auftrags aus der Weimarer Reichsverfassung gestartet, war damit aber nicht durchgedrungen. Bleibt zu hoffen, dass Bundesregierung und Bundestag angesichts des 100. Jahrestages der Unterzeichnung der Weimarer Reichsverfassung endlich tätig werden.

Der Autor dieses Artikels ist Mitglied der BAG linke Christ*innen in der Partei Die Linke und Mitglied des Vorstandes der BAG und Mitglied der "Kommission Religionsgemeinschaften, Weltanschauungsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft" (kurz: religionspolitischen Kommission) beim Parteivorstand der Partei Die Linke. Darüber hinaus ist er Koordinator des Gesprächskreises der Rosa Luxemburg Stiftung Linke im weltanschaulichen Dialog. (Aktualisiert: 13.09.2019)

Die Partei Die Linke versteht sich als weltanschaulich plurale Partei, in der sich Menschen für gemeinsame politische Ziele einsetzen, die jedoch auf ganz unterschiedlichen weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen fußen. Da es in sozial-, asyl-, friedens- und umweltpolitischen Fragen zwischen der Partei Die Linke und den christlichen Kirchen eine ganze Reihe an Übereinstimmungen gibt, überrascht es nicht, dass auch Christinnen und Christen in der Linken aktiv sind. Sie haben sich als Bundesarbeitsgemeinschaft linke Christ*innen in der Partei Die Linke organisiert.

Die in der "Kommission Religionsgemeinschaften, Weltanschauungsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft" beim Parteivorstand Die Linke erarbeitete und abgestimmte und vom Autor des obigen Artikels ausformulierte Position zur Ablösung der Staats-Kirchenleistungen ist hier zu finden. (Ergänzt am 13.09.2019)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

klute

Jürgen Klute, Mitglied des Europäischen Parlaments von 2009 - 2014. Theologe, Sozialpfarrer, Publizist & Politiker aus dem Pott.

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