„Eine europaweite Antwort“

Wohnbaupolitik Karin Zauner-Lohmeyer, Sprecherin der Europäischen Bürgerinitiative “Housing for All”, erläutert im Interview das Ziel ihrer Initiative

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„Eine europaweite Antwort“

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Jürgen Klute: Frau Zauner-Lohmeyer, Sie sind Sprecherin der Europäischen Bürgerinitiative „Housing for all“. Wie ist es zu dieser Initiative gekommen?

Karin Zauner-Lohmeyer: Ich bin beruflich in den vergangenen Jahren in Europa viel herumgekommen. Ich habe auf Konferenzen und Tagungen mit vielen Wohnbau-Expertinnen und -experten, Kolleginnen und Kollegen aus anderen Städten gesprochen. Fakt ist: Überall gibt es ähnliche Probleme: Wohnen ist zu teuer, die Boden- und Immobilienpreise explodieren, es wird viel zu wenig in bezahlbares Wohnen investiert und mit dem Recht auf Wohnen wird in einem unfassbaren Ausmaß spekuliert. Wohnen ist heute ein riesengroßes Geschäft, das für die Investoren, wie Pensionsfonds, Hedgefonds, Versicherungen etc. unfassbare Renditen abwirft. Übrig bleibt die arbeitende Bevölkerung. Immer mehr Menschen müssen die Städte verlassen und stundenlang einpendeln. Viele verlieren ihre Wohnung. Die Obdachlosigkeit steigt in fast allen Mitgliedsstaaten rasant an! Vor diesem Hintergrund habe ich mit Freundinnen und Freunden beschlossen, dass wir dringend etwas gegen diese Entwicklung unternehmen müssen. Unsere Erkenntnis: Ein europaweites Problem braucht eine europaweite Antwort. So ist „Housing for All“ entstanden.

Jürgen Klute: Wer sind die Initiatoren?

Karin Zauner-Lohmeyer: Eine Europäische Bürgeriniative muss laut den Vorschriften der EU Kommission von einem so genannten Bürgerkommittee, das aus sieben Bürgerinnen und Bürgern aus sieben verschiedenen Mitgliedsstaaten bestehen muss, organisiert werden. Unser „Housing for All“-Bürgerkommitee besteht aus Bürgerinnen und Bürgern aus Österreich, Spanien, Deutschland, Schweden, Kroatien, Portugal und Zypern. Ich bin die Sprecherin.

Jürgen Klute: Was ist das Ziel der Initiative? Wozu wollen Sie mit Ihrer Initiative die EU verpflichten?

Karin Zauner-Lohmeyer: Mit der Europäischen Bürgerinitiative „Housing for All“ wollen wir, dass die EU Gesetzgeber diese Fehlentwicklung auf den europäischen Wohnungsmärkten als gesamteuropäisches Problem ernst nehmen. Wir fordern sie auf, in ihrem Kompetenzbereich bessere gesetzliche Rahmenbedingungen für bezahlbares, öffentliches und soziales Wohnen zu schaffen, dass Regionen und Städte und Gemeinden wieder mehr in bezahlbares Wohnen investieren können.

Jürgen Klute: Sozialpolitik – und dazu gehört die Wohnbaupolitik – gehört zu den sogenannten geteilten Kompetenzen der EU-Politik – geteilt zwischen der EU und den EU-Mitgliedsländern. Welcher Teil der Wohnungsbaupolitik fällt also in die Zuständigkeit der EU und welche Forderungen richten Sie dem entsprechend konkret an die EU bzw. an die Kommission, die ja Adressatin Europäischer Bürgerinitiativen ist?

Karin Zauner-Lohmeyer: Wohnen ist die Sache des Mitgliedsstaates und das ist sehr gut so, denn lokale Politikerinnen und Politiker kennen die Bedürfnisse ihrer Bürgerinnen und Bürger am allerbesten. Sie brauchen entsprechende rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen und Know how, dass sie die Wohnversorgung der Bevölkerung sicherstellen können. Seit Jahren behindern EU Gesetze, wie Bestimmungen im Beihilfenrecht oder die Fiskalregeln, Städte und Gemeinden in ihrem Bestreben, in bezahlbaren, öffentlichen und sozialen Wohnbau zu investieren. Das muss sich ändern!

Jürgen Klute: Wie viele Unterschriften aus wie vielen EU-Ländern braucht Ihre Initiative, um von der EU-Kommission akzeptiert zu werden?

Karin Zauner-Lohmeyer: Wir brauchen in ganz Europa mehr als 1 Million und in sieben Mitgliedsstaaten eine von der EU Kommission vorgegebene Mindestanzahl an Unterschriften.

Jürgen Klute: Und in welchem Zeitraum bzw. bis wann müssen die Unterschriften gesammelt sein?

Karin Zauner-Lohmeyer: Bis zum 18.3.2020 dürfen wir sammeln.

Jürgen Klute: In wieviel Ländern ist Ihre Initiative bereits präsent und aktiv und wo suchen Sie noch Aktivist*innen?

Karin Zauner-Lohmeyer: Wir sind bereits in folgenden Ländern gestartet: Österreich, Spanien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Ungarn, Portugal, Frankreich. In allen anderen EU-Mitgliedsländern suchen wir noch Partner-Organisationen.

Jürgen Klute: Mit welchen Organisationen kooperieren Sie und von welchen gesellschaftlichen Gruppen bzw. Organisationen oder von welchen bekannten oder politisch relevanten Persönlichkeiten erfahren Sie Unterstützung?

Karin Zauner-Lohmeyer: Wir kooperieren mit Organisationen der Zivilgesellschaft, die – so wie wir – begeisterte Europäerinnen und Europäer sind, sich für ein soziales Europa einsetzen und unsere Werte teilen. Das sind vor allem Gewerkschaften, Mieterverbände, Menschenrechtsorganisationen, soziale und kirchliche Organisationen, die sich für die Interessen von obdachlosen Menschen, von Arbeiterinnen und Arbeiter, Studierenden, Pensionistinen und Pensionisten, Frauen und Migrantinnen und Migranten einsetzen oder die Zwangsräumungen verhindern wollen. Wir werden aber auch von Städte-Netzwerken und von der UN Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen, Leilani Farha, unterstützt.

Jürgen Klute: Ihre Initiative ist nicht die erste Europäische Bürgerinitiative, insgesamt ist die EBI allerdings noch ein relativ neues Instrument. Sie wurde mit dem Lissabon Vertrag eingeführt. Deshalb wäre es gut, wenn Sie noch einmal etwas erläutern könnten, wie man/frau bei der EBI mitmachen kann. Wie kann man/frau mit seiner/ihrer Unterschrift Ihre Initiative unterstützen, wo kann frau/man ihre/seine Unterschrift abgeben? Und: Wer ist berechtigt, an der EBI teilzunehmen? Braucht man die Staatsangehörigkeit eines EU-Landes oder reicht eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung? Kann ich als EU-Bürger*in auch unterschreiben, wenn mein Wohnsitz nicht in dem EU-Land ist, dessen Staatsangehörigkeit habe – wenn also als Expat in Brüssel lebe?

Karin Zauner-Lohmeyer: Die Petition wurde in alle Amtssprachen übersetzt und kann online unter www.housingforall.eu und auf analogen Unterschriftenlisten, die bei allen Partnerorganisationen aufliegen, unterzeichnet werden. Unterzeichnen können alle EU-Bürgerinnen und -Bürger, die das Wahlrecht bei Europäischen Parlamentswahlen besitzen – d.h. ab 18 Jahren in allen EU-Ländern mit Ausnahme Österreichs und Maltas (Stimmrecht ab 16 Jahren) sowie Griechenlands (Stimmrecht ab 17 Jahren). Nicht-EU BürgerInnen, auch wenn sie in der EU leben, dürfen nicht unterschreiben.

Jürgen Klute: Die Wohnungsfrage beschäftigt viele Menschen derzeit in Deutschland, aber auch in anderen EU-Ländern. Wie können interessierte Bürger*innen außer mit ihrer Unterschrift Ihre Bürgerinitiative unterstützen? Ihre Initiative arbeitet zum Großteil auf ehrenamtlicher Basis und verfügt auch nicht über ein großes Budget.

Karin Zauner-Lohmeyer: Das ist richtig. Wir haben ganz wenig Geld, keine Millionen Euro an Werbe- und Marketingbudget. Wir setzen auf die Solidarität mit unserer Aktion. Für die Koordination von „Housing for All“ haben wir in Österreich den Verein „Europeans for Affordable Housing“ eingerichtet. Dort sammeln wir Spenden für die Kampagne und koordinieren die Bewerbung. Wir freuen uns über jede Unterstützung!

Jürgen Klute: Wenn Ihre Initiative Erfolg hat, wie sieht dann der weitere Prozess aus?

Karin Zauner-Lohmeyer: Wenn unsere Initiative erfolgreich ist und über eine Million Menschen hinter unseren Anliegen stehen, wird sich dadurch das Problembewusstsein und der Diskurs über das Thema in Europa verändern. Rein formal betrachtet müssen sich in der Folge die VertreterInnen der EU Kommission mit den Organisatoren treffen, die dabei die Forderungen erläutern. Die EU Kommission veröffentlicht in der Folge eine offizielle Antwort, in der sie darlegt, ob und welche Maßnahmen sie als Antwort auf die Bürgerinitiative vorschlägt, und in der sie die Gründe für ihre – möglicherweise auch negative – Entscheidung argumentiert. Die Organisatoren können auch bei einer öffentlichen Anhörung im EU Parlament ihre Forderungen präsentieren.

Jürgen Klute: Vielen Dank für das Interview

Karin Zauner-Lohmeyer lebt in Wien. Sie ist promovierte Publizistin und arbeitet in der Wiener Stadtverwaltung im Bereich des öffentlichen Wohnbaus. Dort leitet sie den Fachbereich Soziales Management, der sich mit Wohnungssicherung, Wohnqualität und internationalen Entwicklungen im Wohnbau auseinandersetzt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

klute

Jürgen Klute, Mitglied des Europäischen Parlaments von 2009 - 2014. Theologe, Sozialpfarrer, Publizist & Politiker aus dem Pott.

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