Der klassische soziale Wohnungsbau existiert nur noch als Restgröße, die Wohnbaupolitik ist dem Markt überlassen. Und so sieht sie auch aus: Die Wohnungskosten für Mieterinnen und Mieter steigen vor allem in den Ballungsgebieten in schwindelerregende Höhen, viele Wohnungen sind – ja nach Wohngebiet – trotzdem in einem schlechten Zustand.
Das einzige, was der Bundesregierung zu diesem für viele Bürgerinnen und Bürger brennenden Problem einfällt ist, den Beirat des Wirtschaftsministeriums ein Gutachten zum Sozialen Wohnungsbau anfertigen zu lassen. Das liegt seit dem 23. August vor. Und erschöpft sich in den Vorschlägen, die Mietpreisbremse (die tatsächlich nur ein begrenzt wirksames Mittel ist) wieder abzuschaffen und den sozialen Wohnungsbau noch weiter zurück zu fahren, also den Wohnungsbau und die Mieten noch weitreichender dem Markt zu überlassen als bisher schon (Vgl.: Regierungsberater fordern weniger sozialen Wohnungsbau, Die Zeit vom 23.08.2018).
Das Ergebnis einer Umsetzung dieser Empfehlung ist unschwer zu erraten: Weiter steigende Mieten und eine weitere soziale Segmentierung der Städte.
Dabei hätte es genügt, einfach mal ins Nachbarland Österreich zu schauen, nach Wien. Ein Blick dorthin hätte nicht einmal Fremdsprachenkenntnisse erfordert. Und der Wiener Magistrat unterhält eine eigene Wohnbauforschung. Dort werden Anfragen zur Wiener Wohnbaupolitik gerne und sachkundig beantwortet.
Wien gilt weltweit als eine der Städte mit der höchsten Lebensqualität und der fortschrittlichsten Wohnbaupolitik. Dabei blickt die Wiener Wohnbaupolitik auf eine bald 100-jährige Geschichte zurück. Sie entstand nach dem Zusammenbruch des Habsburger Reiches Ende des ersten Weltkrieges und zielte darauf, ein Übergreifen der russischen Revolution auf Österreich zu vermeiden, in dem die katastrophale Wohnsituation des Großteils der damaligen Arbeiterfamilien in Wien schnell und wirksam verbessert wurde. Die damalige sozialdemokratische Stadtregierung setzte die bis heute wirksame Wohnbaupolitik durch, die auf ganz Österreich ausstrahlt.
Den Kern dieser Wohnbaupolitik bildet ein starkes kommunales Engagement im Wohnungsbau. 25 % der Einwohnerinnen wohnt in Wohnungen, die im Eigentum der Stadt Wien sind, 20 % in Genossenschaftswohnungen, 33 % wohnt in privaten Mietwohnungen, die teilweise mit staatlicher Förderung gebaut wurden. Gefördert werden sowohl gemeinnützige als auch gewerbliche Bauträger. Eine staatliche Förderung begründet allerdings eine unbefristete Sozialbindung.
Bewusst verzichtet die Stadt Wien auf so genannte Fehlbelegungsabgaben. Dieser Verzicht ist ein wesentliches Instrument, um Ghettobildungen zu verhindern. Zwar gibt es immer mal wieder Diskussionen um diesen Punkt. Da eine soziale Mischung in den Wiener Stadtvierteln aber erklärtes Ziel der Wohnbaupolitik ist, ist die Wiener Stadtregierung bis heute konsequent bei diesem Verzicht geblieben.
Ein weiteres entscheidendes Instrument der Wiener Wohnbaupolitik ist ihre aktive Grundstückspolitik. Damit gemeint ist eine Bevorratung von Grundstücken in der Hand der Stadt, um Spekulationen und auch so genannte Immobilienblasen zu unterbinden. Bisher ist das auch gelungen.
Das zentrale Instrument der Stadt Wien zur Planung und Realisierung von Wohnbauprojekten ist der wohnfonds_wien, der 1984 als gemeinnützig tätige Organisation gegründet wurde und der als Koordinationsstelle zwischen Bauträgern, HauseigentümerInnen und Magistratsabteilungen (im speziellen Förderstellen) fungiert. Präsident des wohnfonds_wien ist der altführende Stadtrat für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung (mehr dazu hier).
Bei Wohnbauprojekten bis 300 Wohneinheiten steuert der so genannte Grundstücksbeirat (mehr dazu hier) des wohnfonds_wien die Planung und Realisierung. Bei Projekten mit mehr als 300 Wohneinheiten schreibt der wohnfond_wien einen Bauträgerwettbewerb aus (mehr dazu hier), an dem sich Projektteams aus Architekten und Bauträgern mit Entwürfen und Kalkulationen beteiligen können. Eine Jury entscheidet dann über die eingereichten Vorschläge. Bei der Bewertung sind vier Kriterien relevant: Soziale Nachhaltigkeit, Architektur, Ökonomie und Ökologie. Mit diesem Verfahren bei der Planung und Realisierung von Wohnbauprojekten zielt die Stadt Wien auf die Sicherung hoher Qualitätsstandards im Wohnungsbau.
Zur Wohnbaupolitik gehört in Wien auch die Entwicklung von für unterschiedliche Bedarfe ausgelegte Wohnungstypen. Dieses Programm läuft unter dem Namen „Smart Wohnungsprogramm“.
Ein ebenfalls wichtiges Element der Wohnbaupolitik ist, dass kommunale Baubestände grundsätzlich nicht privatisiert werden.
Schließlich betreibt die Stadt Wien eine so genannte sanfte Stadterneuerung, die gezielt Mieter orientiert angelegt ist. Das heißt, die Wohnungen und Wohnanlagen werden kontinuierlich gepflegt und modernisiert. Die Mieter und Mieterinnen werden frühzeitig über entsprechende Maßnahmen informiert und sie werden in die Planungen einbezogen.
Für diese sanfte Stadterneuerung gibt es ebenfalls ein spezielles Förderprogramm. Auf dieses Weise wird erreicht, dass Wohnungen, Gemeinschaftseinrichtungen (Waschküchen, Sportanlagen, etc.) und die Grünanlagen um die Häuser herum auf einem hohen Niveau erhalten bleiben und nicht verwahrlosen.
Außerdem haben die Mieter einen sehr hohen Rechtsschutz und ihnen stehen Beratungsstellen zur Verfügung.
Diese Beratungsdienste für Mieter, die kontinuierliche Instandhaltung und Modernisierung sowie die Verwaltung der Wohnanlagen schaffen etwa 30.000 Arbeitsplätze.
Das Ergebnis dieser Art von Wohnbaupolitik sind bezahlbare Mieten: In gemeindeeigenen Wohnungen liegt die Miete – je nach Alter der Wohnung – zwischen 6 und 8 Euro Warmmiete pro Quadratmeter und bei gefördertem Wohnungsbau (also auch bei gewerblichen Bauträgern) zwischen 7 und 9 Euro pro Quadratmeter Warmmiete.
Hier zeigt sich, dass die Wiener Wohnbaupolitik etwas anderes als sozialer Wohnungsbau nach deutschem Muster ist. Der Wiener Wohnbaupolitik geht es generell um hohe Wohnstandards zu bezahlbaren Mieten für alle Mieterinnen und Mieter.
Dieses Ziel wird erreicht, obgleich Wien derzeit einen Zuzug von 200.000 Menschen pro Jahr verzeichnet und damit rechnet, dass diese Zahl bis 2025 auf diesem Niveau bleibt. Denn die Wiener Wohnbaupolitik reagiert nicht erst im Nachhinein, sondern sie ist vorausplanend angelegt.
Der wissenschaftliche Beirat beim Wirtschaftsministerium der Bundesregierung hätte also einiges über Wohnbaupolitik in Wien lernen können, hätte er sich die Mühe gemacht, über den Tellerrand zu schauen. Natürlich ist eine fast 100 Jahre existierende erfolgreiche Wohnbaupolitik nicht einfach von Wien auf die Bundesrepublik übertragbar. Aber von einem wissenschaftlichen Beirat wäre zu erwarten gewesen, dass er sich genau zu dieser Herausforderung Gedanken macht und Ideen und Vorschläge entwickelt, was wie von der Wiener Wohnbaupolitik unter Berücksichtigung aller Unvergleichbarkeit und aller Unterschiede eben doch übertragbar ist.
Kommentare 3
Die "Berater"-Vorschläge sind großteils (ca. 40-60%) tiefste Nachfrage-Orientierung (Keynesianismus). Sie beruhen auf dem bei "Linken" wie auch "Kapitalisten" weit verbreiteten Glauben, man müsse nur genügend Geld in die Hand nehmen (hier die drastische Erhöhung von Wohngeld u. ä.), um ein Problem zu lösen/zu lindern, aber das ist eben nur die eine Hälfte der Wahrheit, - dies zumal in weniger flexiblen, infrastrukturellen und anderen Sektoren wie dem Immo-bereich, in denen die Konkurrenzen bzw. deren (z. B. preisdämpfende) Wirkungen nicht so entstehen wie in klassischen "Märkten" vom Lebensmittel bis zum Friseur, - bzw. die IM MODELL nur auf sehr lange Sicht entstünden/wirksam würden und damit faktisch-real aufgrund von Änderungen im 'Gesamtaufbau, die in Modellen nicht über die erforderlichen 100 Jahre usw. antizipiert werden können, gar nicht entstehen.
[In Wien hat entsprechende Wo.-Politik, AUCH mit einiger Fokussierung auf die Angebotsseite, siehe nächster Absatz, (-> Neolib/Neokons) immerhin TEILWEISE geklappt, woanders haben die gleichen Mittel aber auch schon versagt. Zumindest auf den ersten Blick könnte die relativ hohe Konstanz der österr.-wienerischen Verhältnisse und (Haupt-) Stadtrollen für das auch nur leidliche Wiener gelingen i. GGs. zu anderen Städten/Kommunen/Bu.-Ländern/Staaten ursächlich sein.
Offen bleibt die Frage, wieviel/was es die anderen Städte, Kreise usw. Österreichs denn wohl gekostet haben könnte, dass nun das Machtzentrum "Wien" seit längerem zu den lebenswertesten Städten der Welt gehört, weil sie bisher so nicht gestellt wurde: viele andere österr. Lokationen fallen eben NICHT gerade durch hohe Lebenswertigkeit auf ... ]
Jedenfalls beruht noch die "freieste" Wirtschaft aber auf politisch und kulturell gewonnenen, gesetzten, geschöpften etc. Ressourcen, wie Boden, Recht, Rechtstreue, (Steuer-) Ehrlichkeit, Bildung/Know-How, interstaatlichen Handelsbeziehungen usw., - erst Recht aber das städtische Bauen und die Infrastruktur i. e. S. !
NEBEN der Stärkung der Nachfrageseite sind also restriktiv-negative wie auch fördernd-positive Maßnahmen auf der Angebotsseite nötig. Wobei die restriktive Seite jetzt nachreguliert werden soll, was zwar erstmal in eine richtige Richtung von zweien, aber vermutlich wieder in unzureichend-schlampige Umsetzung geht: siehe MPB.
Aber selbst bei perfekter Umsetzung der MPB baut sie bzw. bauen restriktive Regulierungen eben keine Wohnungen oder förderten solchen Bau, erst recht NICHT MIT der zugehörigen Infrastruktur vom (auch: Ab-) Wasser & Strom bis zu KiGa/KiTa, Schulen, Spielplätzen, behindertengerechten Verkehrswegen, Ärzten, guten Einkaufsmöglichkeiten usw., ja sie hemmen auf mittlere bis lange Sicht den Wohnbau eher, da hat die "Berater"-Kommission schon recht. So rückt neben der Nachfragekaufkraft und den Restriktionen beim Angebot dann eben die Angebotsförerung in Fokus, die neben den vorgeschlagenen Maßnahmen bei der Baugrundverfügbarkeit, den Grundstückskosten, den Baurichtlinien und den zughörigen Bauämterverfahren der Genehmigung und KONTROLLE sicher einerseits Spekulationsabschöpfungen bei Extremgewinnen über ca. 10 % in 12 Jahren bei Veräußerungen, Beteiligungen usw. nötig (eher restriktive Seite, z. T. auch ähnlich vorgeschlagen), zugleich aber auch die politisch ausgerufene, und legislativ bis exekutiv und juristisch sorgfältig und wirksam umgesetzte Rendite-Sicherheit von 2-5% pro Jahr wichtig, um seriöse, nicht zu große, aber leistungswillige u. - fähige Investorengruppen ins Boot zu bringen. Den für Kleinsparer wichtigen Lebensversicherern gehen mit der - politisch u. ökononomisch guten/richtigen - Zinsenthaltung bei den Staatsanleihen die Anlagemöglichkeiten aus, aber auf die Aktienmärkte u. ä. dürfen sie aus guten Gründen nur in sehr beschränktem Umfang ...
Am wichtigsten wäre aber, die Bauwiligen (inkl. Erweiterung und moderater Verbesserung/'Modernisierung' ) bei Ämtern u. Behörden nicht wie heute als die Scheißkerle/Schlampen a priori/per se/ zu behandeln (es sei denn, diese zahlten in die Partei- u. Privatkassen der jew. Polit- u. Amts-Protagonisten ein): DAS lassen sich eben nur Jene gefallen, denen bei "Immo" sofort die Dollarzeichen in die Augen rattern wie das Gewinn-Tripel am Spielautomaten, sondern es schreckt nur die seriösen, auf langfristige und daher rendite- wie risikobegrenzte Wertanlage achtende, mittlere und kleine Anleger bzw. deren Institute ab.
Eine gute, BUNDESWEITE Baugesetzgebung zu entwickeln, mit denen auch Großkommunen wie München oder Berlin etwas anfangen KÖNNTEN, wenn sie WOLLTEN, bedarf es ca. 50 geübter, gut ausgebildeter Wirtschaftsimulatoren für ca. 2-3 Jahre mit entspr. technischer (IT-)Ausstattung, Personen-Panels an Spielern usw., um etwas belastbar Dichtes dazu zustandebringen, dem die guten Absichten NICHT aus allen Lücken und Ritzen davonrinnen wie den bisherigen Regelungen. So ist z. B. die zulässige Höchstmiete eines Baues AUCH in Relation zum offiziellen Kaufpreis zu festzusetzen, um die, z. B. in den 60ger u. 70ger Jahren verbreiteten Schwarzanteile von bis zu 40 o. 50% bei Privatübergängen zu mindern. Mit der Globalisierung ist das heute selbst für hochoffiziöse Großinstitute gut verschleierbar, wo früher vor allem kleine Selbstnutzer sich ihre Grunderwerbsteuer, die Verkäufer E.-Steuer usw. minderten/sparten, der Metzger, Elektriker u. ä. sein Schwarzgeld in hiesigen Sachwert bringen konnte usw. (Letzteres auch sehr verantwortlich für die - relativ zu DDR und europ. Ausland wie Italien, Frankreich natürlich stets knappe, aber letzlich bessere Wohnungsversorgung in der BRD: Was hat uns "Jungen Leuten" nicht schon der besetzbare Leerstand weitergeholfen, den es so woanders, in Paris, Rom, Florenz, Mailand, Ostberlin, Leipzig usw., gar nicht in dem Umfang gab, Ausnahmen wie Amsterdam (->Kabouters), London, Kopenhagen gab's natürlich. ...)
Dass moderne Gesetzes-Entwicklung im Bereich der Wirtschaft so gut wie keine Rolle spielt und auch die "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) des dt. BuTages diesbezüglich weitgehend aus hohlen Bauch klassischer Glaubenslehren der Ökonomie schöpft, das ist - sorry Pfarrer Klute -, sicher auch der Leitung der SWP geschuldet, - die in den HÄNDEN EINES THEOLOGEN LIEGT!
Korr'en,GROß-Geschrieben:
" ... Spekulationsabschöpfungen bei Extremgewinnen über ca. 10 % in 12 Jahren bei Veräußerungen, Beteiligungen usw. nötig HAT (eher restriktive Seite, z. T. auch ähnlich vorgeschlagen), und zugleich aber auch die politisch ausgerufene, und legislativ bis exekutiv und juristisch sorgfältig und wirksam umgesetzte Rendite-Sicherheit von 2-5% pro Jahr wichtig IST, um seriöse, nicht zu große, aber leistungswillige u. - fähige Investorengruppen ins Boot zu bringen."
" ... besetzbare Leerstand weitergeholfen, den es so woanders, in Paris, Rom, Florenz, Mailand, Ostberlin, Leipzig usw., gar nicht in dem Umfang gab, Ausnahmen wie ..." Korrektur: in der DDR gab's Whgs.-Leerstand & Besetzung: https://de.wikipedia.org/wiki/Wohnungsbesetzungen_in_der_DDR#Die_Praxis_der_Wohnungsbesetzungen - also ebenfalls eher keine Ursache in Kap'mus o. ä. sondern relativer 'Überschuss' aus Verwaltungsmangel.