Militärische Integration der EU?

Militärische Kooperation Der Brexit beflügelt militärische Poltergeister: Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien wollen militärisch enger kooperieren, um unabhängig von der NATO zu werden

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Quo vadis?
Quo vadis?

Bild: Sean Gallup/Getty Images

Schon länger wird in Brüssel über eine engere militärische Kooperation debattiert. Den Haushältern im Europäischen Parlament geht es u.a. darum, durch eine Zusammenlegung der Streitkräfte der EU-Mitgliedsländer eine einheitliche EU-Armee aufzubauen. Die Gesamtzahl der bisher mehr als eine Million Soldaten der 28 Armeen der EU-Mitgliedsstaaten ließe sich dann auf weniger als ein Drittel reduzieren, so argumentieren die Haushälter im Europäischen Parlament.

Bisher haben sich vor allem die Briten einer solchen Idee verweigert. Doch der anstehende Brexit hat dieser Idee einer stärkeren militärischen Integration der EU neuen Schwung verliehen.

Mehrere Medien berichteten heute (12.10.2016) darüber, dass sich Spanien und Italien einem schon länger vorbereiteten Vorschlag der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihrem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian angeschlossen haben. Laut Spiegel online haben diese vier Länder sich mit einem gemeinsamen Brief an die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini gewandt, in dem sie sich für eine neue, das heißt stärkere und integriertere EU-Verteidigungspolitik aussprechen. Das Hauptziel ist laut Spiegel, auch ohne die NATO auf globaler Ebene militärisch handlungsfähig zu sein.

Eine europäische Armee, deren einziger Zweck in der territorialen Verteidigung der EU bestünde und die dem entsprechend defensiv aufgebaut und ausgerüstet wäre, wäre unter pragmatischen Gesichtspunkten vielleicht noch diskutabel gewesen. Aber eine militärische Struktur aufzubauen, die auf Interventionen rund um den Globus ausgerichtet sein soll, ist ohne Wenn und Aber abzulehnen.

Zum einen ist die Zeit der Kolonialkriege vorbei – aber genau daran erinnern die von den Verteidigungsministern genannten Beispiele für denkbare Einsätze der beabsichtigten EU-Verteidigungsgemeinschaft: Mali, Somalia, Kongo. Auf wundersame Weise ergänzt sich das mit der Afrikareise der Bundeskanzlerin, deren Hintergrund nicht nur die Bekämpfung von Fluchtursachen ist, sondern auch die seit einigen Jahren wieder zunehmende wirtschaftliche Bedeutung Afrikas.

Zum anderen steht eine weltweite EU-Eingreiftruppe im krassen Gegensatz zur Gründungserzählung der EU. Gedacht war und ist die EU als politisch-zivile Alternative zur militärischen Konfliktlösung, die Europa Jahrhunderte lang prägte und im letzten Jahrhundert gleich zwei Mal nicht nur den europäischen Kontinent, sondern den ganzen Globus mit Krieg und Vernichtung überzog.

Es gibt nur eine Lehre, die aus der europäischen Geschichte gezogen werden kann: Politische Konflikte lassen sich nicht militärisch lösen. Militärische Konfliktlösungen führen zu Leid, Elend und Zerstörung mit jahrzehntelangen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Nachwirkungen.

Die Alternative zur militärischen Konfliktlösung sind zivile, politische Konfliktlösungsstrategien. Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs ist eine ansehnliche Friedens- und Konfliktforschung entstanden, die Einblicke in die Entstehung von Konflikten gibt und die zur Entwicklung von Methoden beigetragen hat, um entstehende Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu entschärfen.

Die EU selbst stellt einen politisch-institutionellen Rahmen dar, der der politisch-zivilen Lösung von Interessenkonflikten zwischen den Mitgliedsstaaten dient. Bei aller berechtigten Kritik an der gegenwärtigen Verfasstheit der EU lässt sich nicht leugnen, dass die EU in diesem Sinne einen zivilisatorischen Fortschritt bedeutet.

Statt an diesen Erfahrungen und an den bisherigen Ergebnissen der Friedens- und Konfliktforschung anzuknüpfen und politische Institutionen zu stärken, weiterzuentwickeln und – wo nötig – neu aufzubauen, die eine politisch-zivile Konfliktlösung fördern und ermöglichen, fallen die Verteidigungsminister Deutschlands, Frankreichs, Spaniens und Italien in Denk- und Verhaltensmuster des 19. Jahrhunderts zurück.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

klute

Jürgen Klute, Mitglied des Europäischen Parlaments von 2009 - 2014. Theologe, Sozialpfarrer, Publizist & Politiker aus dem Pott.

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