Türkei: Döhler-Group gegen Tekgıda-İş

Lieferkettengesetz Das Darmstädter Unternehmen Döhler-Group bekämpft die Rechte von Gewerkschaften und Arbeitnehmern am türkischen Standort Karaman

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Die Döhler-Group ist ein weltweit agierendes Unternehmen mit Sitz in Darmstadt. Gegründet wurde es 1838 in Erfurt als Gewürzmühle. 1957 verlegte es den Hauptsitz nach Darmstadt. Heute produziert das Unternehmen Zutaten bzw. Zusatzstoffe für Lebensmittel und Getränke, wie Aromen, Farbstoffe. etc. Auf seiner Webseite beschreibt sich das Unternehmen wie folgt:

„Heute ist Döhler ein weltweiter Hersteller, Vermarkter und Anbieter technologie-basierter natürlicher Ingredients, Ingredient Systems und integrierter Lösungen für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie. Innovation, Vertrauen, Qualität und Nachhaltigkeit sind Werte, die uns auszeichnen und auf die wir stolz sind.“ (abgerufen am 21.02.2021)

Ganz dem Trend der Zeit folgend beschreibt sich das Unternehmen zudem als der Idee der Nachhaltigkeit verpflichtet. Unter der Rubrik „Sustainability Policy“ (Nachhaltigkeitsleitlinie – Original in Englisch) heißt es:

„We understand sustainability to be an opportunity to balance economical, ecological and social issues, in order to achieve and guarantee long-term and lasting success. In pursuing these principles effectively and engaging our customers and partners to do the same, we focus on three pillars: People, Performance, Planet.“ („Wir verstehen Nachhaltigkeit als Chance, ökonomische, ökologische und soziale Belange in Einklang zu bringen, um einen langfristigen und dauerhaften Erfolg zu erreichen und zu gewährleisten. Um diese Prinzipien effektiv zu verfolgen und unsere Kunden und Partner dazu zu bewegen, das Gleiche zu tun, konzentrieren wir uns auf drei Säulen: People, Performance, Planet.“)

Zum Stichwort „People“ führt die Nachhaltigkeitsrichtlinie aus (Original in Englisch):

People

  • Protecting Human Rights

  • Ensuring social compliance through internationally-recognized standards

  • Treating all employees equally

  • Having satisfied employees

  • Accepting and fostering the diversity of people

  • Acting responsible in the supply chain

  • Ensuring employee welfare through an integrated health & safety system

  • Steadily increasing our internal knowledge base

Menschen

  • Schutz der Menschenrechte

  • Sicherstellung der Einhaltung sozialer Standards im Rahmen international anerkannter Standards

  • Gleiche Behandlung aller Mitarbeiter

  • Zufriedene Mitarbeiter haben

  • Akzeptieren und Fördern der Vielfalt der Menschen

  • Verantwortliches Handeln in der Lieferkette

  • Sicherstellung des Mitarbeiterwohls durch ein integriertes Gesundheits- und Sicherheitssystem

  • Unsere interne Wissensbasis stetig erweitern

In ihrem “Code of Conduct”, der im Internet abrufbar ist (abgerufen am 25.02.2021), betont die Döhler-Group:

Dieser Kodex basiert auf Grundprinzipien gemäß:

• International Bill of Human Rights

• Fundamentalen Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO, auch ILO; International Labour Organization)

• Ethical Trading Initiative (ETI) Base Code

• Einschlägigen Konventionen und Leitlinien der Vereinten Nationen

• Sustainable Agriculture Initiative (SAI) Farm Sustainability Assessment (FSA)

• „Code of Business Conduct 2015“ der europäischen Fruchtsaftvereinigung AIJN (European Fruit Juice Association)

Unter Überschrift “2.4. Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen” heißt es dann konkreter (Hervorhebungen im Original):

2.4.1. Alle Mitarbeiter unseres Unternehmens haben das Recht, Gewerkschaften ihrer Wahl oder interne Arbeitnehmervereinigungen zu bilden, ihnen beizutreten und sie zu organisieren und in ihrem Namen mit dem Unternehmen Tarifverhandlungen zu führen. (Siehe IAO-Konvention 87 und 98). Wir verpflichten uns, dieses Recht zu respektieren und unsere Mitarbeiter entsprechend darüber zu informieren, dass der Beitritt zu einer Organisation ihrer Wahl keine negativen Konsequenzen oder sonstige Sanktionen seitens unseres Unternehmens nach sich ziehen wird. Wir verpflichten uns, die Bildung, Vorgehensweise oder Verwaltung solcher Arbeitnehmervereinigungen oder kollektive Verhandlungen in keiner Weise zu behindern.

2.4.2. Wir verpflichten uns sicherzustellen, dass Arbeitnehmervertreter und alle Mitarbeiter, die Arbeitnehmer organisieren, aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder ihrer Beteiligung an Gewerkschaftsaktivitäten keiner Diskriminierung, Belästigung, Einschüchterung oder Sanktionsmaßnahmen ausgesetzt sind und dass solche Arbeitnehmervertreter Zugang zu den Arbeitsplätzen ihrer Mitglieder haben.

Das klingt zunächst einmal beeindruckend. Allerdings scheint die Praxis zumindest an Standorten in der Türkei diesen Anforderungen nicht zu entsprechen. Die türkische Gewerkschaft Tekgıda-İş, die für den Lebensmittel- und Genusssektor zuständig ist, berichtet über ein gezieltes Vorgehens des Unternehmens am türkischen Standort Karaman gegen Gewerkschaftsmitglieder, gegen Tekgıda-İş und über massive Verstöße gegen das türkische Tarifrecht, nach dem Tekgıda-İş bereits 2016 vom türkischen Arbeitsministerium als zuständige Tarifvertragspartei für das Unternehmen Döhler bestätigt wurde.

Daraufhin hat die Gewerkschaft Tekgıda-İş Anfang 2021 beim zuständigen Gericht in Karaman Klage erhoben gegen das Unternehme Döhler. Eine Kopie der englischsprachigen Version der Klageschrift liegt Europa.blog vor

Seit 5 Jahren, so der Vorwurf der Gewerkschaft Tekgıda-İş, unternimmt das Management der Döhler-Gruppe in der Türkei eine konzertierte Aktion, um den Beschäftigten ihre Gewerkschaftsrechte zu vorzuenthalten. Sie hat:

  • Gewerkschaftsmitglieder ungerechtfertigt entlassen;
  • seit dem 9. Januar 2021 illegal Arbeiter nach ihren E-Status-Daten befragt, um zu überprüfen, ob sie Gewerkschaftsmitglied sind und sie ggf. zu drängen, ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft aufzugeben;
  • Arbeiter gezwungen hat, zu kündigen und sich von einem Subunternehmer wieder einstellen zu lasse, um die Gewerkschaft aus dem Unternehmen zu drängen;
  • sich geweigert, mit der offiziell anerkannten Gewerkschaft der Beschäftigten, der IUL-Mitgliedsorganisation Tekgıda-İş, Tarifverhandlungen zu führen.

Nachdem im März 2016 das türkische Arbeitsministerium Tekgıda-İş den Tarifverhandlungsstatus gewährte, entließ die Döhler-Gruppe in der Türkei 32 Arbeiter, die Mitglieder von Tekgıda-İş waren. Türkische Gerichte bestätigten, dass die 32 von der Döhler-Group wegen ihrer Gewerkschaftsaktivität entlassenen Mitarbeiter ungerechtfertigt entlassen worden waren.

Seit mehr als 4 Jahre weigere sich die Döhler-Group Tekgıda-İş als Tarifverhandlungspartei anzuerkennen, die höchsten Gerichte der Türkei den Tarifstatus von Tekgıda-İş bestätigten. Die Gerichte ordneten auch Tarifverhandlungen an, die am 1. Januar 2021 hätten beginnen sollen. Aber das lokale Management der Döhler-Group ist nicht zu den Verhandlungen erschienen, so die Gewerkschaft Tekgıda-İş.

Schließlich habe das lokale Management der Döhler-Gruppe ein Subunternehmen für Arbeitskräfte gegründet, um die Gewerkschaft auszuboten. Döhler habe 105 Mitglieder seiner festangestellten Kernbelegschaft in dieses Subunternehmen ausgegliedert, indem sie gezwungen wurden, zu kündigen und sich anschließend von diesem Subunternehmer wieder einstellen zu lassen. Über 40 dieser Arbeiter sind Tekgıda-İş-Mitglieder. Das türkische Gesetz ist in diesem Punkt eindeutig: Arbeiter, die in Subunternehmen ausgegliedert werden, dürfen keine “Kern”-Produktionsaufgaben mehr ausführen.

Trotz der Tatsache, dass die IUL*-Mitgliedsgewerkschaft Tekgıda-İş einen gesetzlich vorgeschriebenen Verhandlungsstatus im Döhler-Werk in Karaman hat, weigere sich das Management von Döhler in der Türkei nicht nur, den Verhandlungsprozess zu beginnen, sondern habe stattdessen seine Angriffe auf die Arbeitnehmerrechte eskaliert, indem es weiterhin Gewerkschaftsmitglieder unter Druck setze, ihre Mitgliedschaft aufzugeben, und Arbeiter unter Druck in ihr Subunternehmen auszulagern, um die gewerkschaftliche Verhandlungsmacht zu untergraben.

Tekgıda-İş fordert die Döhler-Gruppe auf, die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen zu respektieren und ihnen nachzukommen und die Rechtsverletzungen durch Aufnahme von Tarifverhandlungen zu beenden und die gesetzlich vorgeschriebene Regelungen bezüglich Tarifverhandlungsbeziehungen einzuhalten.

Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben Kristjan Bragason (EFFAT General Secretary), Sue Longley (IUF General Secretary) und Guido Zeitler (NGG-Vorsitzender) einen gemeinsam unterschriebenen Brief an den Vorstand der Döhler Group in Darmstadt geschrieben, in dem sie die Situation am türkischen Standort Karaman schildern und den Vorstand auffordern, dafür zu Sorge zu tragen, dass das Management am türkischen Standort Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte respektiert und ihre gewerkschaftsfeindliches Verhalten beendet. Eine Kopie des Briefes liegt Europa.blog vor.

Laut IUL gab es bisher keine Antwort auf dieses Schreiben, obgleich sich das Unternehmern auf seiner Webseite damit brüstet, die Menschenrechte zu schützen, die Einhaltung sozialer Standards im Rahmen international anerkannter Standards sicher zu stellen (wie sie vor allem über die ILO definiert sind) und alle Mitarbeitenden gleich zu behandeln.

Solch wohlklingenden Selbstverpflichtungen scheinen eher eine PR-Funktion zu erfüllen, nicht aber das, was sie vorgeben zu erfüllen. So zeigt auch dieser Fall eines weltweit agierenden deutschen Traditionsunternehmens, wie wichtig es ist, das die Bundesregierung endlich das heftig umstrittene Lieferkettengesetzt zu einem Abschluss bringt – allerdings in einer Weise, dass es tatsächlich Menschenrechte verteidigt und stärkt. Das gilt aber auch für eine entsprechende EU-Gesetzgebung und für das UN-Abkommen über Menschenrechte für Unternehmen (vgl.: UN-Abkommen über Menschenrechte für Unternehmen erfährt Unterstützung).

(Aktualisiert am 26.02.2021: Ergänzung der Auszüge aus dem "Code of Conduct".)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

klute

Jürgen Klute, Mitglied des Europäischen Parlaments von 2009 - 2014. Theologe, Sozialpfarrer, Publizist & Politiker aus dem Pott.

klute

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