Was ist links, was ist rechts?

Streit um Asylsuchende Bereits zum dritten Mal in wenigen Monaten streitet die Linke über Äußerungen von Sahra Wagenknecht zu Asylsuchenden. Was läuft da eigentlich schief?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Debatte um die Linksfraktionschefin der Linken läuft weiter. Doch wo bleibt linke Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung?
Die Debatte um die Linksfraktionschefin der Linken läuft weiter. Doch wo bleibt linke Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung?

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Die Linke streitet mal wieder. Bereits zum dritten Mal über Äußerungen von Sahra Wagenknecht zu Asylsuchenden. Es ist schon eigenwillig, wenn in vielen Facebook-Posts die Kritik an diesen Äußerungen als undemokratisch und als Diffamierungskampagne diskreditiert wird. Denn gerade in der kritischen Auseinandersetzung über Äußerungen von PolitikerInnen wird Demokratie real. Gerade in einer linken Partei sollte das unumstritten sein.

Gegenwärtig entwickelt sich die Debatte zu einer Bekenntnisfrage: Wer ist für und wer ist gegen Sahra Wagenknecht. Statt dessen wäre es sinnvoller, sich Gedanken über eine linke Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zu machen und sich in einem aufklärenden Sinn – Die Linke sieht sich selbst ja in der Tradition der Aufklärung – mit den Anschlägen der letzten Wochen und Monate auseinanderzusetzen.

Dann hätte Die Linke darauf verweisen können, dass die Anschläge von dem Anschlag auf Charlie Hebdo bis zu dem Anschlag in Anspach mit einer einzigen Ausnahme –nämlich Anspach – allesamt von Franzosen, Belgiern und Deutschen verübt wurden. Von über einer Million Asylsuchenden, die seit Sommer 2015 in die BRD gekommen sind, hat lediglich einer einen Anschlag verübt. Mit den kritisierten Äußerungen ist Sahra Wagenknecht schlicht in die Falle des IS gestrauchelt, der mit allen Mitteln darauf setzt, Misstrauen zwischen den Asylsuchenden und der aufnehmenden Gesellschaft zu schüren.

Die eigentliche Bedrohung kommt aber nicht von den Asylsuchenden, sondern aus den hiesigen Gesellschaften. Das verweist darauf, dass es in der französischen, belgischen und deutschen Gesellschaft ungelöste Probleme gibt.

Dazu passt eine Meldung des Luxemburger Tageblatt vom 04. August 2016 (IS in Europa viel enger vernetzt als bislang angenommen). Danach bedient sich der IS vornehmlich aus Europa kommender Konvertiten, um sie für Terroranschläge in Europa auszubilden.

Nicht Flüchtlinge stellen eine Bedrohung dar, sondern junge Europäer, die sich aus welchen Gründen auch immer dem IS andienen. Dies hätte Die Linke zunächst einmal in einem aufklärenden Sinne feststellen können. Das hätte Druck von den Asylsuchenden nehmen können.

Weiterhin hätte Die Linke fragen können, inwieweit sich die Bundesregierung mit dem zuvor beschriebenen Sachverhalt, dass die bisherigen Anschläge bis auf eine Ausnahme von Franzosen, Belgiern und Deutschen verübt wurden, auseinandersetzt. Sie hätte fragen können, welche Erklärung die Bundesregierung dafür hat und welche Strategien sie verfolgt, um dem etwas entgegenzusetzen.

Vor allem aber hätte sie die Bundesregierung fragen müssen, wie es denn um die Bekämpfung des rechten Terrors gegen Asylsuchende und deren Unterkünfte in der BRD bestellt ist. Die Statistiken über Angriffe auf Asylsuchende und deren Unterkünfte zeigt ganz eindeutig, dass die Asylsuchenden einer erheblichen Gefährdung in der BRD ausgesetzt sind – und nicht umgekehrt.

Die Linke hätte darauf verweisen können, das Asylrecht und Menschenrecht keine Gnade sind, sondern eben Rechte. Manch Bürger und manche Bürgerin mögen das nicht gut finden. Aber es wäre im Sinne des Parteiprogramms der Linken, Menschenrecht und Asylrecht zu verteidigen. Immerhin bilden Menschenrechte eine wesentliche Säule unserer Zivilisation. Und die Zahl der Menschen, die Asyl suchen, wird in Zukunft wohl eher zunehmen als abnehmen. Bürgerinnen und Bürger damit zu konfrontieren, wäre nötig und durchaus auch links.

Die Linke hätte auch darauf hinweisen können, dass nationalstaatliche Rechte bzw. staatliche Souveränität Grenzen haben. Die alte Logik absoluter Souveränität von Staaten – also das so genannte westfälische Modell, das nach dem 30-jährigen Krieg im Prozess des westfälischen Friedens entwickelt wurde – hat spätestens mit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen das Ende ihrer Gültigkeit erreicht: Völkerrecht und Menschenrechte stellen heute eine irreversible Grenze einzelstaatlicher Souveränität dar. Das ist ein nicht zu überschätzender zivilisatorischer Fortschritt. Das darf eine linke Partei auch mal laut sagen. Und diesen zivilisatorischen Fortschritt zu verteidigen wäre links!
Wer mehr zu diesem Thema wissen möchte, dem sei das Buch von Seyla Benhabib „Die Rechte der anderen“ (Frankfurt am Main, 2008) empfohlen.

Und ja, es ist eine Herausforderung, über eine Million Menschen, die Asyl suchen, innerhalb weniger Monate aufzunehmen. Der Libanon zählt übrigens vier Millionen Einwohner und Einwohnerinnen – und zusätzlich zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien. Das heißt: auf zwei EinwohnerInnen kommt ein Flüchtling.

In der BRD sieht das Verhältnis etwas anders aus: auf ca. 80 EinwohnerInnen kommt ein Asylsuchender bzw. eine Asylsuchende. Kommt hinzu, dass die BRD eine entwickelte Infrastruktur, eine funktionierende Verwaltung und ein funktionierendes politisches System hat. Und, dass die BRD zu den reichsten Ländern dieser Welt gehört. Das sind keine schlechten Voraussetzungen für die Aufnahme der Asylsuchenden, die seit Sommer 2015 in die BRD gekommen sind.

Trotzdem oder gerade deshalb gibt es gute Gründe für Kritik an der Bundesregierung. Die Aufnahme und Betreuung der Asylsuchenden läuft viel zu langsam. Es müssten mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Die Asylsuchenden werden viel zu langsam ins Berufsleben integriert – zudem fehlt es an geeigneten Maßnahmen.

Wie schon gesagt, mangelt es nach wie vor an einer konsequenten Verfolgung und Bekämpfung des rechten Terrors gegen Asylsuchende und ihrer Unterkünfte. Das müsste ein zentrales Thema für Die Linke sein.

Die Zahl der Asylsuchenden verknappt den ehe schon teuren Wohnraum. Die Linke könnte fragen, weshalb bisher noch nicht mehr bezahlbare Wohnungen neu gebaut wurden. Sie könnte fragen, weshalb in der BRD die EU-Fördermittel nicht auch für den sozialen Wohnungsbau genutzt werden – das wäre nach den Förderregeln der EU möglich. Die BRD nutzt diese Möglichkeit aber nicht. Um bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen, könnte die Bundesregierung z.B. von Wien (die Stadt Wien unterhält sogar ein eigenes Institut für Wohnungsbau) und Linz lernen. Warum passiert das nicht?

Schließlich könnte die Linke Druck machen, um endlich zu einer EU-weiten Lösung zu kommen, um die Dublin-Verordnung zu revidieren, wie das Europäische Parlament in einer Resolution vom 23. Oktober 2013 bereits gefordert hat. Denn gegenwärtig tragen Griechenland und Italien die Hauptlast, da dort die Asylsuchenden in der Regel ankommen. Die Linke könnte fragen, welche Strategie die Bundesregierung verfolgt, um zu einer europäischen Lösung zu kommen, damit das Massensterben von Flüchtenden auf dem Mittelmeer endlich ein Ende findet.

Das alles hätte Sahra Wagenknecht ansprechen können in ihrer Pressemeldung und ihren Statements. Hat sie aber nicht. Sich auf die Sorgen rechter BedenkenträgerInnen einzulassen halte ich nicht für links.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

klute

Jürgen Klute, Mitglied des Europäischen Parlaments von 2009 - 2014. Theologe, Sozialpfarrer, Publizist & Politiker aus dem Pott.

klute

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden