Wem nutzt die EU-Urheberrechtsrichtlinie?

Urheberrecht Die linke MdEP Martina Michels erläutert in dem folgenden Interview, weshalb Die Linke die aktuelle Fassung der Richtlinie ablehnt und wie Alternativen aussehen könnten.

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Jürgen Klute: Wie steht Die Linke im Europäischen Parlament zur EU-Urheberrechtsrichtlinie?

Martina Michels: Wir haben von Beginn an begrüßt, dass - vor allem die Ausnahmen vom Urheberrecht - in der Bildung, der Wissenschaft und beim Kulturerbe - (derzeit Art. 3 - 5) harmonisiert werden und auch, dass Fragen der miesen Bezahlung von Kreativen in einem fairen Ausgleich mit Rechten von Nutzerinnen und Nutzern von Sharing- und Videoplattformen, die im Übrigen auch sehr kreativ sein können, angegangen werden. Dass uns dabei das in Deutschland und Spanien gescheiterte Leistungsschutzrecht der Presseverleger erneut ins Haus steht, war schon die erste Überraschung, die Ende 2015 greifbar wurde. Mit der verbindlichen Einführung von automatischer Erkennungssoftware als Mittel der Wahl, um Urheberrechtsverletzungen schon beim Upload zu unterbinden - den sogenannten Uploadfiltern - kam dann ebenfalls ein Vorschlag von Seiten der Kommission auf den Tisch, der das Herz der Musik- und Filmindustrie höherschlagen ließ, aber zurecht Daten- und Grundrechtsaktivistinnen auf den Plan rief. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, und ein von der Kommission zurückgehaltenes Gutachten finden diesen Lösungsvorschlag zum Schließen der Einkommenslücken fatal und warnen vor der Einführung einer Zensur- und Überwachungsstruktur, die auch noch gesetzlich in die Verantwortung privater Hände gelegt werden soll. Dies ist keine Lösung des eigentlichen politischen Konflikts, der sich mit neuen Bezahl- und Lizensierungsmodellen lösen ließe, sondern eine Kanone auf die freie Kommunikation im Netz.

Derzeit genießen wir weitgehend die Freiheit zu berichten, zu parodieren, zu zitieren, Material im Remix zu bearbeiten. Trotzdem können zugleich Urheberrechtsverletzungen im Netz zur Anzeige zu gebracht und juristisch zu verfolgt werden. Doch das Narrativ vom „gesetzlosen Netz“ scheint mit den, auf die Art. 11 und 13 reduzierten Debatten bei den Befürwortern der Richtlinie wieder große Beliebtheit erlangt zu haben.

Jürgen Klute: Die SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley hat der EU-Richtlinie zugestimmt, weil sie es für dringend nötig hält, dass das Urheberrecht auf EU-Ebene an das Internet angepasst wird. Wenn Die Linke der Richtlinie nicht zustimmt, dann hat sie in diesem Punkt offensichtlich eine völlig andere Einschätzung der Richtlinie als die SPD-Spitzenkandidatin und deutsche Justizministerin. Was schätzt Die Linke anders ein als die SPD-Spitzenkandidatin?

Martina Michels: Vieles, was wir bei dem Stand der Urheberrechtsrichtlinie anders sehen als die deutsche Justizministerin, zumindest in ihrem Handeln, habe ich schon beantwortet. Absurderweise kam auch der Koalitionsvertrag der CDU/CSU und SPD-Regierung in Deutschland zum Ergebnis, dass Uploadfilter nicht die angemessene Lösung für ein modernes Urheberrecht und damit geeignet sind, um die Einkommen der Kreativen zu sichern. Insofern ist die Haltung Deutschlands auf Europäischer Ebene und deren Vertretung durch die Justizmisnisterin Barley doppelt absurd. In der Journalisten- und Politikerblase - namens twitter - hat Katarina Barley denn auch noch verkündet, dass sie alles getan hätte, um die Zustimmung Deutschlands im Rat aufzuhalten. Das ist schon eine Tragödie in mehreren Akten, was die Bundesregierung hier vorführt. Vielleicht geht die Angst um, dass große Presseverleger im Wahlkampf ihre Konsequenzen ziehen, wenn ihr Art. 11 nicht verteidigt wird. Doch mit den derzeitigen Pirouetten gegen den eigenen Koalitionsvertrag zu stimmen, kann man vor der Öffentlichkeit auch nicht geheim halten. Noch greift ja nicht der Artikel 13 und Liveübertragungen von Demonstrationen gegen Art. 11 und 13 haben die große Chance nicht wegen Hintergrundgeräuschen wie Musik auf einem Truck oder einem Klingelton vom Handy, plötzlich als Urheberrechtsverletzung verkannt und geblockt zu werden.

Jürgen Klute: Die Verteidiger der Richtlinie behaupten, die EU-Richtlinie schütze die Interessen von Autor*innen, Künstler*innen und Kreativen. Kannst du kurz erläutern, weshalb die Interessen dieser Akteuere aus linker Sicht nicht durch die Richtlinie geschützt werden?

Martina Michels: Die Rechte der Kreativen werden vorrangig in den Artikel 14 - 16 behandelt. Dort geht es um das UrheberVERTRAGSrecht, also um eine Stärkung der Handlungsmacht der Kreativen wenn sie Verträge/Mitgliedschaften mit Rechtverwertern und Verwertungsgesellschaften, wie in Deutschland mit der GEMA oder der VG Wort abschließen, die in ihrem Auftrag Gemeinschaftsverträge mit Medien aushandeln. Hier liegen auch die Schlüssel für mehr Transparenz und bessere Auskunftspflichten, z. B. was haben die Rechteverwerter eigentlich zur Verbreitung meiner Werke im letzten Jahr getan. Der Trilog (= Kompromissverhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament, dem EU-Rat und der EU-Kommission) hat hier interessanterweise eine schwächere Fassung gebracht, als die Parlamentsposition vom vergangenen September. Also dort, wo es um die Verhandlungsmacht der Kreativen geht, ist eher Verzagtheit und Zurückhaltung im Trilog am Werke gewesen. Vieles wurde wieder in die Verantwortung der Mitgliedsstaaten verlagert oder in Tarifverträge, denen leider oft die vielen Kreativen gar nicht unterliegen, sondern real eher die Beschäftigten einer Verwertungsgesellschaft, die - wenn man so will - auch von den Leistungen der Kreativen leben. Das führt das Geschrei der Befürworter der Richtlinie: „Wir tun das doch alles für die Kreativen!“ etwas ad absurdum.

Ähnlich verhält es sich beim Paragraph 11. Da gibt es keine verbindliche Festlegung, dass Journalistinnen und Journalisten von diesem Leistungsschutzrecht partizipieren, im Gegenteil. Miese total-buy-out-Verträge wurden nicht einmal verboten und werden wohl nach Einführung des Art. 11 noch mehr um sich greifen und damit viele Autorinnen und Bildjournalisten noch schlechter stellen als bisher. Hätte man hier ein Zeichen für faire Vergütung setzen wollen, hätte man diese Vertragspraxis ausdrücklich unterbunden. Dies kritisieren auch der Europäische und Internationale Journalistenverband und lehnen das Ergebnis ab, genau weil für die Journalist*innen gar nichts geregelt ist. Der Deutsche Journalistenverband war übrigens bis vor einem Jahr auch gegen die Reform, schwenkte dann aber kurz vor der Abstimmung im September auf eine Zustimmung ein. Er sollte sich besser an den erneuten Kritiken der Kolleginnen und Kollegen weltweit orientieren.

Jürgen Klute: Wem und weshalb nütz die aktuelle Fassung der EU-Richtlinie aus deiner Sicht am meisten?

Martina Michels: Das ist noch nicht ganz ausgemacht, ob die Presseverleger wie Springer, Funke, Burda, die hinter dem Art. 11 stehen, davon wirklich partizipieren. In Spanien hatte Google-news einfach zeitweilig dicht gemacht nach Einführung des Leistungsschutzrechtes. Die Umsatzeinbrüche der Tageszeitungen waren enorm. Das sind also keine Lösungen. In Deutschland flossen Millionen an Anwaltskosten, um das Leistungsschutzrecht durchzusetzen. Google bekam dann abschließend sogar eine Gratis-Lizenz. Aber nicht alle News-Portale heißen Google und können sich solche Prozesse leisten. Das Ganze dient doch ganz offensichtlich der Marktbereinigung und es ist für kleine und innovative Unternehmen und Einzelkämpferinnen ein Horror, denn wie sollen die für Snippets (also Überschriften und Anmoderationen von Presseartikeln) täglich Lizenzen erwerben, wo sie doch eigentlich mit ihren Besprechungen und Erwähnungen oder Auflistungen dafür werben.

Auch beim Artikel 13 bin ich mir nicht ganz sicher, wem das nützen soll. Da stehen die Musik- und Filmindustrie und Verwertungsgesellschaften dahinter, die ihre Positionen beim Lizenzverkauf einfach stärken wollen, weil sie damit ihre Gewinne machen und ja vermittelt könnte dies auch Kreativen zugutekommen, nur ist dies im Art. 13 gar nicht geregelt. Mit den verpflichtenden Uploadfiltern würde eventuell das Netz so nachhaltig in seiner Kommunikationsstruktur zerstört, dass die Referenzen auf urheberrechtlich geschützte Werke in Form von Parodien, Remixen und Zitaten letztlich auch ausfallen. Ich denke, mit diesem absurden Weg werden nicht mehr Einnahmen generiert.

Jürgen Klute: Was müsste aus linker Sicht an der Richtlinie konkret geändert werden, damit sie Autor*inne, Künstler*innen und Kreativen im Blick auf das Internet einen effektiven Interessenschutz bietet? Oder reicht es, die umstrittenen Artikel einfach zu streichen? Wäre die Richtlinie dann aus linker Sicht akzeptabel?

Martina Michels: Derzeit würde ich aus pragmatischen Gründen dafür plädieren, die Artikel einfach zu streichen, dann ist ein wenig gewonnen. Grundsätzlich würde ich es jedoch begrüßen, wenn hier alle Akteure noch einmal in einen fairen Dialog treten, sich die Zeit nehmen und Lösungen in der nächsten Legislatur erarbeiten. Auch derzeit lassen sich Urheberrechtsverletzungen anzeigen und verfolgen. Das Narrativ vom rechtsfreien Internet ist einfach Unsinn, das übereilte Handeln immer verkehrt. Man sollte immer auch bedenken, ich habe ja oft die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer stark gemacht, dass wir dabei auch von institutionellen Nutzerinnen und Nutzern sprechen, wie den sogenannten GLAM-Institutionen (Galleries, Libraries, Archives, Museums) und da wäre viel Weitergehendes möglich gewesen, das mit dem Zugang aller zu Wissen und Kultur zu tun hat, einer grundlegenden Frage linker Kulturpolitik.

Jürgen Klute: Es wird zwar viel über Artikel 11 und 13 der EL geredet. Aber die genauen Inhalte und Wirkungen sind kaum bekannt. Kannst du noch einmal die Kritik der Linken an diesen beiden Artikeln auf den Punkt bringen? Was ist aus linker Sicht das Kritikwürdige an diesen Artikeln?

Martina Michels: Art. 11 löst nicht das Zeitungssterben und den schlecht bezahlten Journalismus, sondern will Einkünfte von den Plattformen zu Presseverlegern umverteilen. Dafür würden wir eher vorschlagen: Besteuert Google&Co richtig, dann entscheidet die ganze Gesellschaft, ob wir damit Kreative besser fördern. Ich möchte eigentlich nicht, dass Springer, Funke und Burda das allein entscheiden.

Art. 13 führt eine Zensurinfrastruktur ein und legt sie auch noch überdies in private Hände. Kein Kreativer, keine Künstlerin wird dadurch einen Cent mehr erhalten. Das Problem ist erkannt, aber falsch und gefährlich gelöst. Da ist Widerstand dringend!

Jürgen Klute: Was wären die voraussichtlichen langfristigen Wirkungen er EU-Richtlinie?

Martina Michels: Beim Artikel 11 würde ich absurde Rechtsstreits wie in Deutschland erwarten, eine Verunsicherung vieler kleiner Newsportale und eventuell das Ende von Google-news. Letztlich würde die Pluralität von News und Informationen im Netz leiden. Dass dann alle wieder gedruckte Tageszeitungen abonnieren, halte ich allerdings für Unsinn. Überdies haben die Presseverleger in den vergangenen Jahren ihre Printsparten selbst geschrumpft und damit z. T. auf den kulturellen Wandel reagiert.

Beim Artikel 13 ist unklar, ob die uns bekannte Netzkommunikation, die auch Nutzerinnen und Nutzer zum Teil zu Kreativen macht, schleichend zerstört wird. Solche Fälle, wie das Blockieren der Pinkstinks-Kampagne gegen Germanys Next Top Model würden zunehmen. Das bedeutet, es gehen wichtige kritische Stimmen im Netz verloren, Meinungsfreiheit, und auch Kreativität werden beschnitten.

Jürgen Klute: Es gibt auf internationaler Ebene längst Internet bezogenen Urheberrechtsregelungen, nämlich die Creative Commons Lizenzen. Waren die eigentlich Gegenstand der Diskussionen zur EU-Urheberrechtsrichtlinie? Weshalb sind solche längst in der Praxis erprobte und verankerte Regelungen in der EU-Richtlinie nicht (stärker) zum Zuge gekommen?

Martina Michels: Konkrete Lizenzdebatten haben möglicherweise im Rechtsausschuss eine größere Rolle gespielt. Offene Lizenzen, Erweiterte Kollektivlizensierung, wie es zum Teil die Medien brauchen, all dies sind wichtige Ansätze, bei denen allerdings auch viel Fachkenntnisse vonnöten sind, um hier die besten Lösungen zu erstreiten.

Jürgen Klute: Letzte Frage: Wie schätzt du die Wirkungen der bisherigen Proteste gegen die EU-Richtlinie ein? Werden sie zur Ablehnung der Richtlinie im Europäischen Parlament reichen?

Martina Michels: Also wünschen würde ich mir das schon, dass die Proteste dazu führen, dass viele Abgeordnete erkennen, dass man hier vielleicht noch einmal auf Anfang gehen sollte und eine sachbetonte Neuverhandlung allen, den Kreativen, den Rechteverwertern, der Industrie und den Nutzern gut tun würde. Derzeit wird man ja das Gefühl nicht los, dass sich die Chefetagen von Facebook, Google und Youtube, wenn auch offiziell gegen die Vorschläge, gemütlich im Sessel sitzen und Popcorn kauen. Sie scheinen, obwohl sie doch gerade eingehegt werden sollten, die Gewinner der Scheinlösungen zu sein.

Ich kann alle nur ermuntern zum europaweiten Aktionstag am 23.3.2019 zu gehen und die Abgeordneten des Europaparlaments aufzufordern gegen Art. 11 und 13 zu stimmen. Auf https://savetheinternet.info/ sind alle Demoorte zu finden auch die Petition gegen die EU-Urheberechtsrichtlinie, die derzeit schon fast 5 Millionen Menschen unterschrieben haben. So eine Abstimmung wie bei ACTA 2012, das dann letztlich auch vom Parlament abgelehnt wurde, und u.a. auch mit dem Urheberrecht zu tun hatte, würde der europäischen demokratischen Debatte um die besten Lösungen wirklich nützen. Ich werde in Erfurt oder Berlin an diesem Tag sein und auch mit demonstrieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

klute

Jürgen Klute, Mitglied des Europäischen Parlaments von 2009 - 2014. Theologe, Sozialpfarrer, Publizist & Politiker aus dem Pott.

klute

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