Pedro lernt Multikulti

Integration "Nicht deutsch statt portugiesisch, sondern beides – und das richtig". Ein Leitsatz der nicht nur sogenannte Europaschulen erfordert sondern auch viel familiären Einsatz.

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„Vamos Pedro, o sinal ja tocou“, ruft die schwarzhaarige Frau, mit dem straff nach hinten gebundenen langen krausen Haar und schließt mit schnellen Bewegungen ihr Fahrrad am Geländer des Schulhofes an. Ja, er habe das Klingeln auch gehört, erwidert der Junge neben ihr etwas genervt. Seinen Schulranzen hinter sich her schleifend schließt er sich eiligst einer kleinen Gruppe von Kindern an. „Tchau, Pedro“ verabschiedet sich Juliana und wirft dem davon Eilenden noch eine Kusshand zu. Der zarte Junge, der schwer unter der Last seiner Bücher keucht, schenkt seiner Mutter noch ein letztes Lächeln, bevor er hinter einer großen hölzernen Eingangstür verschwindet.

Noch gefangen von dem Bild ihres fröhlich winkenden Sohnes, gibt sich Juliana einen Ruck und öffnet ihr Fahrradschloss. Sie schiebt das Herrenrad mit dem kleinen Kindersattel auf der Stange und dem Korb, in dem sich gerade noch Pedros Ranzen befunden hat, durch das Tor des Schulhofes hinaus auf die Straße. Die sportlich wirkende Dreißigerin tritt in die Pedale. Sie hat sich vorgenommen den Heimweg in zwanzig Minuten zu schaffen um rechtzeitig im Laden zu sein.

Während seine Mutter zu ihrer Arbeitsstelle radelt, beginnt in dem großen gelb-roten Backsteingebäude der Schulunterricht. Pedro und seine Klassenkameraden schauen sich Fotos und Bilder an. Er freut sich, als er ein Foto von sich entdeckt, auf dem er mit der Zunge eine Schneeflocke zu erhaschen sucht. Überraschend schneite es letzte Woche und die Lehrerin ließ sie alle auf den Pausenhof gehen. Später malten sie Bilder davon; das hat ihm gefallen.

Die Jul 5, so heißt Pedros Klassengemeinschaft, besteht aus drei Altersjahrgängen. Mit seinen fünfeinhalb Jahren ist Pedros der jüngste in der Gruppe. Bewundernd sucht er die Nähe von Gabriel, der mit seinen acht Jahren schon groß sei und dennoch mit ihm Quatsch mache. Heute bastelt die Klasse ein großes Plakat für die Wand vor dem Klassenzimmer. Es soll, ‚der erste Schnee‘ heißen, ruft Birgit, eines der Mädchen. „Gabriel, schreibst du das auf“, bittet die Lehrerin. A primeira neve malt Gabriel auf die Pappe, wobei ihm vor Eifer die Zunge aus dem Mund hängt.

In der Regel weist das Schulamt den rund 25 000 Berliner Kindern, die jedes Jahr neu eingeschult werden, eine Grundschule zu. So war es bei Pedros Halbbruder. Seine Schule liegt genau gegenüber dem Haus in dem die Familie wohnt. Sie gilt als gute Schule. Manche Eltern tun fast alles, um dort einen Platz für ihr Kind zu erhalten.

Aber Juliana ist Brasilianerin. Seit seiner Geburt spricht sie ausschließlich portugiesisch mit Pedro. Ihrem blonden, blauäugigen Sohn, der so deutsch aussieht, sollen seine brasilianischen Wurzeln gewiss sein.

Für Berliner Eltern, die sich wünschen, dass ihre Kinder zwei gleichberechtigte Unterrichtsprachen erlernen, gibt es in neun Sprachkombinationen den Modellversuch der Staatlichen Europaschule Berlin (SESB)*. In einem Faltblatt des Berliner Bildungssenators ist nachzulesen, dass die Stadt bewusst kein Schulgeld erhebe. Und in Länderabkommen aushandele, dass Schulabschlüsse wie die Mittlere Reifeprüfung oder das Abitur auch in den Partnerländern anerkannt werden.

„Wir achten sehr darauf, dass der Unterricht tatsächlich zur einen Hälfte in der Muttersprache zur anderen Hälfte in der Partnersprache stattfindet“, erklärt Pedros Klassenlehrerin. Sie erläutert, dass sie Deutsche sei, aber passabel portugiesisch spräche, während ihre Teamkollegin Brasilianerin mit ausgezeichneten Deutschkenntnissen sei. Und fügt hinzu: „Meine Schüler sind deutsche oder portugiesische Muttersprachler und kommen aus sechs verschiedenen Nationen.

Pedros Muttersprache ist Deutsch, da zuhause mit dem Vater, dem Bruder, in seinem gesamten Umfeld deutsch gesprochen wird und deutsche Gewohnheiten gepflegt werden.

„Aber“, führt die der Jul 5 zugeteilte Erzieherin aus, „Pedro spricht und versteht sehr gut portugiesisch.“ Sie vermute, dass seine Mutter sehr konsequent sei. Juliana vernimmt die Einschätzung der Erzieherin mit Erleichterung. Pedro antwortet seiner Mutter nämlich nur auf Deutsch. Kein Wort Portugiesisch kam bis zur Einschulung von seinen Lippen.

Nun wird Portugiesisch für Pedro selbstverständlicher, und das war Juliana wichtig, als sie und ihr Mann sich vor knapp drei Monaten entschieden, auf welche Schule ihr Kind nun tatsächlich gehen soll.

Seitdem ist Einsatz gefragt. Im Berliner Schulgesetz steht, dass der Schulweg eines Schülers maximal zwei Kilometer lang sein soll. Seit Pedros Einschulung im September 2009 fährt Juliana die sieben Kilometer lange Strecke zwischen ihrem Zuhause und der Schule-am-neuen-Tor in Mitte viermal am Tag.

Morgens um 7 Uhr 30 mit Pedro und dem schweren Tornister zum ersten Mal. Eine halbe Stunde Fahrzeit. Auf dem Radweg entlang der verkehrsdichten Straße. Quer durch den Tiergarten, vorbei am Bundeskanzleramt und dem Reichstag bis Mutter und Kind hinter der Charite ihren Zielort erreicht haben.

Bei schlechtem Wetter oder wenn der innere Schweinehund Juliana plagt, nehmen sie schon einmal das Auto. Aber die fünf Euro Benzingeld pro Tag belasten das Familienbudget. Hinzu kommt, dass es je nach Verkehrslage nicht wirklich schneller geht.

Pedro mag das Fahrradfahren. Er genießt es vor seiner Mama zu sitzen und mit ihr diese abwechslungsreiche Strecke zu fahren. Die Innigkeit, die beide dabei empfinden, habe sie zu schätzen gelernt, betont Juliana.

Die Brasilianerin, freut sich, dass ihr Kind eine zweisprachige Schulbildung erhält. Sie räumt ein, dadurch jedoch sehr eingespannt zu sein. „Aber Pedro auch“, fügt sie rasch hinzu. Jetzt im Winter ist es dunkel, wenn er aus dem Haus muss und dunkel, wenn er zurück kommt.

Aber anders geht es nun mal nicht. Irgendwann könne Pedro auch alleine gehen, spätestens nach der sechsten Klasse, wenn er in die weiterführende Schule gehe, hofft Juliana. Sie sei näher an ihrer Wohnung und leicht mit dem Bus zu erreichen.

Ab und an fährt Pedro mit der U-Bahn nach Hause. Mit dem Babysitter läuft er zur U-Bahn und vergewissert sich lautstark, ob er den Weg schon richtig kenne: „Erst drei Stationen fahren. Durch den langen Tunnel zur anderen U-Bahn gehen. Fünf Stationen fahren, dann das doofe Laufen und dann sind wir zu Hause“.

Gestern stürmt Pedro am Bahnsteig auf einen dunkelhaarigen Jungen zu. „Das ist Paulo aus meiner Klasse“, so der stolze Zuruf an seine Betreuerin.

Angeregt unterhalten sich die beiden Jungen auf Portugiesisch bis sich der augenscheinlich brasilianische Vater an Paulo wendet mit der Mahnung, deutsch zu sprechen.

„Warten Sie“, bittet der Babysitter, „ich habe Pedro noch nie Portugiesisch sprechend erlebt“. „Oh, er spricht aber ganz richtig. Gehört er nicht zu den portugiesischen Muttersprachlern“, fragt der Vater überrascht. Pedro schaut verwirrt auf und sagt: „Aber an meiner Schule sprechen alle zwei Sprachen ganz richtig“.

*www.sesb.de/europaschulstandorte/europaschulstandorte.html

www.berlin.de/sen/bildung/besondere_angebote/staatl_europaschule/

grundschule-in-berlin.de/europaschulen/

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kmv

kmvotteler | Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn. (Ottilie, Die Wahlverwandtschaften)

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