Wann ist ein Experte noch ein Experte?

Katastrophen Medien Journalisten beobachten und kommentieren stellvertretend für uns das Weltgeschehen. Ihre Auftraggeber die Medienunternehmen unterliegen dabei ihren eigenen Gesetzen.

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Quotendruck, Sendezeit, Programmgestaltung, Zuschauerbindung, Produktionsbedingungen, Finanzierung, um nur einige Stichworte zu nennen. Alles in allem eine gigantische Maschinerie und das alles, um für uns die Zuschauer Geschichten über die Welt zu (re)produzieren.

Heute bestimmt das Horrorszenarium der Kernspaltung die Medien. Warten, hoffen jetzt alle darauf, dass der Ernstfall eintritt? Ist die Kamera schon gezückt, liegt der Stift bereit, sind genug Leitungen für die Liveschaltung offen?

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen mein Mitgefühl gilt jedem Einzelnen dieser Naturkatastrophe in Japan, sowie der ganzen Nation. Ich habe auch Verständnis dafür, dass nicht nur die Bewohner Japans sich große Sorgen machen über eine weitere Bedrohung. Dieses Mal über den der Entwicklung von Gesellschaften geschuldete, atomaren Gau.

Ja, die Ängste und Not der Menschen in Japan nehme ich wahr, aber ebenso die ausufernde Berichterstattung, die Instrumentalisierung von Leid für politische Zwecke.

Hören Politiker und sogenannte Experten sich eigentlich selbst zu, wenn sie sich öffentlich darüber wundern, dass hier wohl ‚das Restrisiko‘ auf den Prüfstand gestellt wird? Hallo?!? Früher oder später wird jeder Jackpot geknackt, das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche. Sich hinzustellen und sich verwundert die Augen zu reiben grenzt an bodenlose Dummheit und ist pure Heuchelei.

Die Medientechnik holt die Katastrophe so nah heran, als wären wir selbst dabei. Das sind wir aber nicht. Wir sind die Zuschauer. Wir sehen die Tragödie. Müssen wir deshalb wie gebannt auf den Schauplatz starren? Gaffend und sensationslüstern? Von „meinen“ Medien erwarte ich statt dem ‚Schauer des Grauens‘ per Endlosschleife redaktionell aufgearbeitete d.h. recherchierte und urheberrechtlich gekennzeichnete Filme, Bilder und Informationen.

Gerade deshalb, weil mir die Bilder der Menschen in Not nahe gehen möchte ich sie nicht als Dauerschleife, wie die Videoclips bei MTV über meinen Bildschirm laufen sehen. Meine Empathie ist ausreichend, den unermesslichen Schmerz und die Verzweiflung zu fühlen angesichts des Verlustes all dessen, was gerade noch das eigene Leben bestimmte.

Als Zuschauer möchte ich Berichte über Ereignisse, Kommentare und Darstellungen, wenn schon nicht gutheißen, aber nachvollziehen und überprüfend verstehen können. Die Glaubwürdigkeit ist hierbei das größte Pfund. Bilder konterkarierten immer häufiger das Gesagte. Unsere Wahrnehmung ist so viel schneller als das gesprochene Wort. Wir hören das Gesagte und nehmen die Studioinszenierung mit dem Korrespondenten und dem Experten wahr, während über die große Monitorwand unaufhaltsam die Bildströme der Katastrophenorte laufen von denen er fast so weit entfernt ist wie wir.

Sondersendungen, Brennpunkte und Diskussionsrunden widmen sich der Krisen und Katastrophen Berichtserstattung und nicht immer ist der Zweck vom Selbstzweck zu unterscheiden. Ein medienwirksamer run auf Experten jeglicher Couleur ist zu beobachten. Das Problem ist nur, dass keiner dieser Leute vor Ort ist und deshalb auch der sachkundigste Fachmann nur den Konjunktiv verwenden kann. Leerformeln, wie "unter Umständen“, „wenn - dann“, „kann man davon ausgehen, dass“, sowie „aber genaues weiß man nicht“ füllen die Sendeminuten.

Wer fasst noch Fakten zusammen, stellt sie in einen größeren Bedeutungszusammenhang und versucht mit einer gewissen Distanz den einordnenden Überblick über politische, wirtschaftliche und soziale Folgen? Mutmaßen und spekulieren kann ich selbst.

Ist nicht der der Experte, der sich unter diesen Umständen hinstellt und einfach mal den Mund hält?

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Geschrieben von

kmv

kmvotteler | Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn. (Ottilie, Die Wahlverwandtschaften)

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